Großer Tag im Bundestag.

Der 26. Oktober 2011 war ein besonderer Tag für den Deutschen Bundestag. Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier begann mit einer kalten Dusche.

„Das ist ein besonderer Tag, nicht nur für Europa, sondern auch für uns Deutsche. Griechenland ist ohne fremde Hilfe zahlungsunfähig. Italien ist seit Monaten politisch nahezu führungslos. In Portugal ist eine Regierung schon aus dem Amt. In Spanien steht ein Regierungswechsel bevor. Frankreich ringt um seine Bonität. Die europäischen Institutionen wirken hilflos, sind kaum sichtbar, und überall in Europa haben die Menschen Sorge um ihren Wohlstand … Das europäische Projekt steht auf der Kippe“. (Protokoll 135. Sitzung 26.Oktober 2011).

Bundeskanzlerin Merkel würdigte „das politische Signal, das heute der Deutsche Bundestag mit einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen an die Menschen in Deutschland, nach Europa und in die Welt aussendet … Er sendet die Botschaft aus, dass Deutschland parteiübergreifend das europäische Einigungswerk schützt und für dieses Ziel zusammensteht.“

Und diese Botschaft zeigt offenbar Wirkung bei den anschließenden Verhandlungen des Rates und der Euro-Gruppe in Brüssel. Viele Bürger werden sich nicht von Kommentaren einiger bekannter Journalisten beeindrucken lassen. Diese reichen von wuchtigen Aussagen wie „Die politische Analyse wäre, dass heute Abend wahrscheinlich keine Beschlüsse gefasst werden“ (Jan-Christoph Nüse, ZDF, Brüssel, 26.10.11). Dann sehen wir süffisantes Mienenspiel Frau Slomkas. Und schliesslich zur untersten Stufe der FAZ: „Das Pathos, mit dem Angela Merkel vorab den Bundestag auf die Brüsseler Beschlüsse einschwor, hatte etwas Unehrliches.“ Unehrlich ist vor allem die versteckte Euro-Feindlichkeit bei der FAZ.

Der Sachgehalt der Botschaft des Deutschen Bundestags ergab sich aus der  Analyse der Troika (IWF, EU, EZB): Die europäische Vereinbarung vom 21. Juli 2011 könne nicht gewährleisten, dass Hellas bis 2020 eine Quote der Staatsschulden von 120 % der Wirtschaftsleistung erreicht. Deshalb waren der Gläubigerverzicht auf 50 % und der EFSF-Rettungsfonds auf 1 Bio. Euro anzuheben, damit der Schuldendienst für die Griechen „tragfähig“ bleibt.

Ferner enthielt der Beschluss des Parlaments wichtige Festlegungen:

Erstens, es wird keine Banklizenz für den EFSF-Schirm geben, wie von Präsident Sarkozy zunächst gewünscht. Damit kann sich der Fonds nicht zugunsten der Schuldnerstaaten über die Notenpresse der Europäischen Zentralbank finanzieren. Das war der Sorge um die Stabilität des Euros geschuldet.

Zweitens, die infolge des Forderungsverzichts mit Verlust von Eigenkapital getroffenen Banken werden krisenfester durch „Rekapitalisierung“: Zunächst sind die Banken jedes Staates selbst verantwortlich, ihr Eigenkapital bis 2012 auf 9% der Bilanzsumme (Gesamtwert des Vermögens) aufzustocken. Sind sie dazu nicht in der Lage, ist der zuständige Staat in der Pflicht. Erst wenn ein Euro-Staat „das nicht leisten kann, kann es in Betracht kommen, dass die EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, Rettungsfonds, RS) dazu herangezogen wird. Das ist die Reihenfolge.“ (Zusage Bundeskanzlerin Merkel).

Dies soll einerseits die Steuerzahler der solide haushaltenden Euro-Länder schonen. Andererseits wird höhere Krisenfestigkeit das beschädigte Vertrauen der Banken untereinander stärken. Somit kann erwartet werden, dass die Kreditmärkte für Wirtschaft und Verbraucher wieder normal funktionieren.

Zum Risiko für den deutschen Steuerzahler, das die Kreditgarantien auslösen könnten, findet sich eine klare Aussage der Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Frau Gerda Hasselfeldt, MdB, stellt fest, dass mit der Aufstockung des EFSF-Fonds „Entspannung und Stabilisierung der Märkte und die Minderung der Ansteckungsgefahren verbunden ist. Allein dies bedeutet schon eine Verringerung des Risikos. Hinzu kommt, dass auch die Risikostreuung größer wird, weil … vermehrt privates Kapital mit einfließt. Auch das bedeutet eine Risikominderung für die öffentlichen Mittel.“

Frau Hasselfeldt sieht die dargestellten krisenpolitischen Maßnahmen im Dienst der „deutschen Interessen und (dem) Interesse an der Stabilität unserer gemeinsamen Währung in Europa“. Für Frau Hasselfeldt geht es „nicht um griechische Probleme, sondern es geht um die Bewältigung von Problemen, die sich auf uns, auf den gesamten Euro-Raum auswirken. Es geht um die Auswirkungen auf unsere Arbeitsplätze, unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherheit, unsere Spareinlagen.“ Eine bürgernahe Stellungnahme!

Zurück zum Beitrag des Oppositionsführers. Nein, eine große Rede war das nicht. Und dennoch bewies Herr Steinmeier durch diese Rede sein Format für das Amt des Bundeskanzlers.

Denn seine Zustimmung zum gemeinsamen Entschließungsantrag des Bundestages zeigte Standfestigkeit und Führungskraft: gegen populistische Widerstände in seiner Partei und gegenüber mächtigen Akteuren wie den DGB. Es war eine Rede „contra viento y marea“ – „gegen Sturm und Wogen“ (Mario Vargas Llosa).

Eine Rede gegen Wut in der SPD: „Verstehen Sie eigentlich, dass es in meiner Fraktion und vermutlich nicht nur in meiner Fraktion nicht wenige Kollegen gibt, die mich fragen: Warum sollen wir eigentlich für die die Kohlen aus dem Feuer holen, warum sollen wir für das Chaos, das die angerichtet haben, noch die Finger heben?“

Eine Rede gegen das in der Öffentlichkeit und besonders „Mitte-Links“ förmlich triefende „Verständnis“ für die „soziale Bewegung Occupy Wall Street“. Was soll man denn zum Protest junger Menschen – „Neoliberalismus, zockender Finanzkapitalismus usw.“ – äußern? „Unsäglich albern“, wie Joachim Gauck urteilt, der immerhin in einem Land gelebt hat, „in dem die Banken besetzt waren“? Um sich dann von Politikprofessoren, wie z.B. Hubertus Buchstein, vorhalten zu lassen, „Antikapitalismus ist nicht albern“? Also: Augen zu und durch, für die Stärkung der deutschen Verhandlungsposition in Brüssel. Für das europäische Zukunftsprojekt der jungen und der kommenden Generationen. (Nur das Feixen von Herrn Rösler während der Rede des Oppositionsführers störte den Bürger-„Journalisten“, störte ihn gewaltig!)

Und dann kommt noch der DGB, dem die ganze Richtung nicht passt. Der uns zumutet: „Frankreichs Präsident Sarkozy hat recht! Die EFSF muss mit einer Banklizenz ausgestattet werden … Der französische Vorschlag entspricht im Kern der alten Forderung des DGB … Die Ablehnung des französischen Vorschlags ist in erster Linie ideologisch motiviert.“ (DGB, PM 176, 21.10.11). Das hatte noch gefehlt. Wäre ich nicht seit fast 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied, bewertete ich diese Aussage als gemeingefährlich. Aber das ist die bekannte große Spur, das hohle Pathos, das uns in weniger als einem Jahr mindestens 5% Inflation bescheren würde.

Über all diese Widerstände hinweg stimmte Frank-Walter Steinmeier für „die Zukunft Europas“, denn die „SPD wird in diesen europäischen Fragen berechenbar und gegenüber den Europäern eine verlässliche Kraft bleiben.“

Standfestigkeit und das Format eines Bundeskanzlers!