Merkel: Stolz und Schreck.

Bundeskanzlerin Merkel hielt für die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) 2019 eine Rede zu Fragen globaler Sicherheit, die mit „standing ovation“ gewürdigt wurde. Scheinbar passten zu Merkels Analyse weltweiter sicherheitspolitischer Probleme und Lösungsansätze nicht ihre Hinweise auf demgegenüber triviale Zölle auf Autoimporte in die USA, mit denen Präsident Trump derzeit droht.

Über von Trump angedrohte neue Zölle auf Autoimporte der USA zeigte sich Merkel „erschreckt“, weil das US-Handelsministerium europäische Autos als Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA sieht. Obwohl viele deutsche Autos in den USA gebaut werden. „Wir sind stolz auf unsere Autos“, betonte die Kanzlerin. *1)

Lassen wir zunächst Merkels „Erschrecken“ über das sicherheitspolitische Urteil des US-Handelsministeriums und vor allem — Betrugsskandale wegen Abgas-Manipulationen von Autoherstellern in Deutschland — ihren „Stolz auf unsere Autos“ beiseite.

Wesentliche Fragen im Streit über den transatlantischen Handel mit Kraftfahrzeugen (PKW, LKW) sind derzeit:

1. Was haben Handels- und Zollfragen mit Sicherheitspolitik zu tun?

2. Wieso können Autoimporte die nationale Sicherheit der USA gefährden?

1. Handels- und Sicherheitspolitik.

Bundeskanzlerin Merkel hat den transatlantischen Handelsstreit um Importe von Autos im Rahmen einer sicherheitspolitischen Rede thematisiert.

Damit folgt Merkel der in Artikel 2 des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949 festgelegten Verpflichtung der Mitglieder der NATO-Allianz: „Die Parteien … werden bestrebt sein, Gegensätze in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen oder allen Parteien zu fördern.“ *2) Folgerichtig betonte die Bundeskanzlerin: „Die NATO wird ihren Aufgaben nur gerecht, wenn sie auch den vernetzten Sicherheitsbegriff immer wieder ins Auge fasst.“ *1) Dieser Begriff der „Vernetzten Sicherheit“ betont gegenüber militärischen Mitteln den Vorrang von politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Instrumenten bei der Bearbeitung von Konflikten.

Präsident Trumps wiederholte Drohungen gegen die europäischen Handelspartner der NATO-Allianz mit Strafzöllen und sogar mit Rücktritt von der Bündnissolidarität nach Artikel 5 NATO-Vertrag verletzen dieses Abkommen so offensichtlich, dass der Zusammenhalt der NATO gefährdet wird.

Transatlantische Abstimmung der Wirtschaftspolitik und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Handelsfragen wird also von Bundeskanzlerin Merkel mit Recht als Teil der westlichen Sicherheitsallianz eingefordert.

2. Autoimporte der USA aus Deutschland als Gefährdung der nationalen Sicherheit?

Merkel hat in ihrer Rede die Frage aufgeworfen, was es bedeutet, „wenn es uns mit der transatlantischen Partnerschaft ernst ist“.*1) Sicher nicht das, was vom amerikanischen Handelsministerium zu hören ist: Europäische Autos bedrohten die nationale Sicherheit der USA. Eine Begründung für diese Behauptung liegt nicht vor.

Es sei daher versucht — unabhängig vom Urteil über die Verhältnismäßigkeit dieser These gegenüber Bündnispartnern — eine solche Begründung argumentativ aus mutmaßlicher Sicht des US-Handelsministeriums zu entwickeln.

  • Die Automobilindustrie ist der weltweit stärkste Treiber von wirtschaftlichem Wachstum, von Beschäftigung und Innovation.*3) Damit gilt die Autoindustrie als Schlüsselsektor auch für andere Industriezweige und für die Gesellschaft, die von einer „Auto-Kultur“ geprägt sei.*4)
  • Die Autoindustrie stehe vor weitreichender Transformation der Antriebstechnologien und der Marktentwicklungen, wie Christian Peugeot, seit 12.02.2019 Präsident des OICA-Weltverbandes der Automobilindustrie, hervorhebt: Schon heute führen das klimapolitische Ziel der CO2-Reduzierung, die kommende Elektromobilität und das Ziel digital vernetzter Autos zu einem „Paradigmenwechsel“ für Produzenten und Nachfrager. *5)
  • Nur Autoproduzenten, die in dieser Transformationszeit die richtigen strategischen Entscheidungen treffen, werden ihre langfristige Zukunft sichern können. Die Herausforderung für neue Mobilitätslösungen liege in zunehmend komplexer Regulierung, in Kostendruck, im rapiden Wechsel von Produktions- und Nachfragestruktur in verschiedenen Regionen und Marktsegmenten sowie in digital unterstützter Sicherheit und von Nutzungskomfort für anspruchsvolle Käuferschichten. *4)
  • Diese Gründe für eine Schlüsselrolle der Autoindustrie für Wirtschaft und Gesellschaft treffen insbesondere für die USA zu: Mit einer Fläche von 9,8 Mio. qkm sind die USA mehr als doppelt so groß wie die EU (28) mit 4,4 Mio. qkm. Damit haben Kraftfahrzeuge (KFZ: PKW, LKW) zentrale Bedeutung für die wirtschaftlich notwendige Mobilität von Gütern und Menschen in den USA. Der Erwerb eines Autos ist nach dem Haus-/Wohnungskauf die zweitgrößte „Investition“ amerikanischer Haushalte. Für das amerikanische „Center for Automotive Research“ ist die Automobilindustrie „kritischer Faktor für das Wirtschaftswachstum mit weitreichenden Vernetzungen in das industrielle und kulturelle Gefüge der Vereinigten Staaten … Ohne den Automobilsektor ist kaum vorstellbar, wie Industrie und produzierendes Gewerbe in diesem Land überleben können.“ *6)

Wilbur Ross, US-Handelsminister, wendet nun den auch von Bundeskanzlerin Merkel benutzten Begriff der „vernetzten Sicherheit“ auf die US-Autoindustrie an: „National security is broadly defined to include the economy, to include the impact on employment … Economic security is military security. And without economic security, you can’t have military security.“ *7) Der Marktanteil importierter Autos sei in den letzten 20 Jahren von 30 % auf 48 % gestiegen. Dies habe auch die für die USA rüstungspolitisch wichtige Stahl- und Aluminiumproduktion geschwächt, die bereits mit Sonderzöllen geschützt und damit gestärkt worden sei. Somit sei vom US-Handelsministerium zu prüfen, ob der starke Anstieg der Autoimporte die nationale Sicherheit der USA beeinträchtige, weil dadurch die Wirtschaftskraft geschwächt werde.

Die deutsche Sichtweise auf diesen transatlantischen Handelskonflikt sollte nicht Merkels „Erschrecken“ folgen; dies bedient ohnehin den ausgeprägten Antiamerikanismus in unserem Land. Einige Fakten zum internationalen KFZ-Handel belegen, dass die Position des US-Handelsministeriums nicht Merkels „Erschrecken“, sondern Analyse verdient. *8)

  • Zur Zeit beträgt der EU-Zollsatz für den Import von Autos aus den USA in die EU 10 %, während die USA auf Autoimporte aus der EU nur 2,5 % Zoll erheben. Ist das die von Merkel geforderte „Reziprozität“?
  • Für den US-Außenhandel mit neuen “PKW und leichten LKW“ liegen Befunde für 2017 vor. Hierzu sei der US-Export verglichen mit dem US-Import:
  • US-Export in die EU (27): 8,6 Mrd. $ — US-Import aus der EU (27): 42,8 Mrd. $.
  • US-Export nach Deutschland: 5,7 Mrd. $ — US-Import aus Deutschland: 20,2 Mrd. $.

3. Vorläufiges Ergebnis.

Kanzlerin Merkels „Stolz und Schreck“ im transatlantischen Konflikt um angedrohte Zölle auf Autoimporte der USA lässt sich nun auf eine Frage der Verhältnismäßigkeit reduzieren.

  • Der Vergleich der oben genannten transatlantischen Zollsätze und der Exportwerte für Autos zeigt einen “Vorteil“ der EU und Deutschlands gegenüber dem US-Absatzmarkt in der Größenordnung des Vier- bis Fünffachen im Hinblick auf Autohersteller in den USA.
  • Ferner erleben wir derzeit den Diesel-Abgas-Skandal der großen Automarken, die in Deutschland produziert werden, der bereits bei Gerichten bis hin zum Bundesgerichtshof angekommen ist: Millionenfach meldet die Presse zum Thema „Skandal­autos“ Betrug oder Täuschung bei Audi, Porsche, Seat, Skoda, VW, bei Diesel-KFZ der Daimler AG, bei BMW, bei Opel. *9) Der Betrug der VW-AG wurde bekanntlich erstmals in den USA aufgedeckt und strafrechtlich verfolgt.
  • Damit erscheint Bundeskanzlerin Merkels „Erschrecken“ über Präsident Trumps Drohung mit Zöllen auf Autoimporte und Merkels „Stolz auf unsere Autos“ *1) als ziemlich hohl klingende Rede.

Deutsche Bürger erwarten, dass die für Handelspolitik und die Aushandlung von Handelsverträgen allein zuständige EU-Kommission (Lissabonvertrag 2009) mit der Trump-Administration ein für beide Seiten faires Ergebnis erreicht. Da bedarf es im aktuellen Stadium des Beginns von Verhandlungen weder Merkels „Erschrecken“ noch Wirtschaftsminister Altmaiers „Kämpfen“ gegen Autozölle der USA. Trumps bekannte Art des deal-making läuft nach US-Presseberichten wohl darauf hinaus, ein Ergebnis zu erzielen, das für die Produktion europäischer Autos in den USA wirtschaftliche Anreize setzt.

Positive Erwartungen auf eine handelspolitische Einigung mit der Trump-Administration mögen sich stützen:

  • Auf starke Widerstände gegen Trumps Zoll-Drohungen nicht nur im US-Kongress, sondern auch in weiten Teilen der US-Wirtschaft und sogar in der US-Autoindustrie, deren Produktionskosten von preiswertem, kostenstabilen Autoteile-Import abhängen.
  • Auf die Rede von Cecilia Malmström, EU-Handelskommissarin, zum Beginn trilateraler Handelsgespräche zwischen den USA, der EU und Japan. Dieses Format für die EU-Handelspolitik beruhe darauf, so Malmström, dass die USA und Japan nicht nur wichtigste Handelspartner sind, sondern auch die Werte der EU teilen.

Cecilia Malmströms Rede zeigt, welche Bedeutung die EU für Stabilität und Wohlstand in unseren Ländern hat: „The US is currently trying to tackle these issues through unilateral action. We understand and shared the frustration with the current status quo, but we believe that only multilateral solutions can provide a sustainable response. We see that as one of the objectives of our trilateral meetings this week. The EU has a new plan to invigorate and revive the WTO. And we want to work with the US to do that with us.“ *10)

Merkels Redefigur “Stolz und Erschrecken“ erinnert zu sehr an Jane Austens „Pride and Prejudice“, um der heutigen handelspolitischen Realität gerecht zu werden. Sollte Merkels Kritik an der US-Handelspolitik die Landtagswahlen in Ostdeutschland anvisiert haben und den dort virulenten Antiamerikanismus, wäre ihre Äußerung zum transatlantischen Streit um Autozölle besonders fragwürdig.

Dann hätte Merkel der künftig notwendigen Akzeptanz eines Resultats der trilateralen Handelsgespräche zwischen den USA, der EU und Japan schon jetzt Schaden zugefügt.

*1) Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Im Wortlaut. Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur 55. Münchner Sicherheitskonferenz am 16. Februar 2019 in München; https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zur-55-muenchner-sicherheitskonferenz-am-16-februar-2019-in-muenchen-1580936.

Merkel: „Dazu sage ich ganz offen: Ich unterstütze alle Bemühungen der Fairness und des Handels. Ich spreche von Reziprozität. Darüber müssen wir reden. Wir sollten das im Sinne der Partnerschaft und der Tatsache tun, dass wir noch so viele andere Probleme auf der Welt zu lösen haben, weshalb es hilfreich wäre, wir könnten uns verständigen. Ich setze ja in die Verhandlungen, die jetzt im Handelsbereich mit den Vereinigten Staaten von Amerika geführt werden, große Hoffnungen. Ich sage ganz offen: Wenn es uns mit der transatlantischen Partnerschaft ernst ist, dann ist es für mich als deutsche Bundeskanzlerin zumindest nicht ganz einfach, jetzt zu lesen, dass offensichtlich – ich habe es noch nicht schriftlich vor Augen gehabt – das amerikanische Handelsministerium sagt, europäische Autos seien eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika. Schauen Sie: Wir sind stolz auf unsere Autos; und das dürfen wir ja auch sein. Diese Autos werden auch in den Vereinigten Staaten von Amerika gebaut. In South Carolina ist das größte BMW-Werk – nicht in Bayern, in South Carolina. South Carolina liefert wiederum nach China. Wenn diese Autos, die ja dadurch, dass sie in South Carolina gebaut werden, doch nicht weniger bedrohlich werden als dadurch, dass sie in Bayern gebaut werden, plötzlich eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika sind, dann erschreckt uns das.“ (Hervorhebung RS).

*2) Der Nordatlantikvertrag. Washington DC, 4. April 1949; https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_17120.htm?selectedLocale=de. Last updated 29-Apr-2014.

*3) International Organization of Motor Vehicle Manufacturers. OICA is the voice speaking on automotive issues in world forums; http://www.oica.net/category/economic-contributions/facts-and-figures/ und http://www.oica.net/category/production-statistics/2017-statistics/.

*4) The road to 2020 and beyond: What’s driving the global automotive industry? https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/dotcom/client_service/%20Automotive%20and%20Assembly/PDFs/McK_The_road_to_2020_and_beyond.%20ashx.

*5) CHRISTIAN PEUGEOT ELECTED PRESIDENT OF THE „WORLD ORGANIZATION FOR THE AUTOMOTIVE INDUSTRY“ OICA; http://www.oica.net/christian-peugeot-elected-president-of-the-world-organization-for-the-automotive-industry-oica/.

*6) Center for Automotive Research. Contribution of the Automotive Industry to the Economies of all Fifty States and the United States. Report by: Kim Hill, Debra Maranger Menk, Joshua Cregger, Michael Schultz. January 2015; https://www.cargroup.org/wp-content/uploads/2017/02/Contribution-of-the-Automotive-Industry-to-the-Economies-of-All-Fifty-States-and-the-United-States2015.pdf. (Übersetzung RS).

*7) Wilbur Ross on auto import probe: ‚Economic security is military security‘. Berkeley Lovelace Jr.. Published 7:21 AM ET Thu, 24 May 2018 Updated 9:14 AM ET Thu, 24 May 2018; https://www.cnbc.com/2018/05/24/wilbur-ross-on-auto-import-probe-economic-security-is-military-security.html.

*8) International Trade Administration (ITA). Office of Transportation and Machinery. Automotive Team: Industry Trade Data. Motor Vehicle Trade Data; https://www.trade.gov/td/otm/autostats.asp. (The International Trade Administration (ITA) strengthens the competitiveness of U.S. industry, promotes trade and investment, and ensures fair trade through the rigorous enforcement of our trade laws and agreements. ITA works to improve the global business environment and helps U.S. organizations compete at home and abroad.)

*9) Testberichte von Stiftung Warentest. FAQ Abgas­skandal: Antworten auf Ihre Fragen. 21.02.2019; https://www.test.de/Abgasskandal-4918330-0/#question-0.

*10) Trade Trends 2019. Speech by Cecilia Malmström, European Commissioner for Trade at the Atlantic Council, Washington DC. 10 January 2019; http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1966. (RS: WTO = World Trade Organisation, ist zuständig für die Regelung der Beziehungen und Streitfragen im internationalen Handel, https://www.wto.org/english/thewto_e/thewto_e.htm).