Wagenknecht gescheitert?

Dass die Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Deutschen Bundestag, Sahra Wagenknecht, dieses Amt aufgeben will, weil sie sich „innerlich immer ausgebrannter“ gefühlt habe, ist zu respektieren. *1)

Die Brutalität innerparteilicher Machtkämpfe wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Sahra Wagenknechts Rückzug aus der ersten Reihe der LINKEN im Deutschen Bundestag liegt wohl nicht an mangelnder Konfliktfähigkeit. Sahra Wagenknecht konnte selbst bemerkenswert brutal austeilen.

Am Freitag, 7. November 2014, hatte im Deutschen Bundestag eine Debatte „Friedliche Revolution – 25 Jahre nach Mauerfall“ stattgefunden. Dabei trat der Lyriker Wolf Biermann mit dem Lied „Ermutigung“ auf, das vielen Gegnern des DDR-Unrechtsstaates die Kraft zum Durchhalten für die Wende gab.

Biermann ließ sich auch von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert nicht hindern, der Fraktion der LINKEN — darunter nicht wenige, die einst als „jeunesse dorée“ der DDR leben durften — einiges zuzumuten: „Reste der Drachenbrut … Ich weiß ja, dass die, die sich Linke nennen, nicht links sind, auch nicht rechts, sondern reaktionär, dass diejenigen, die hier sitzen, der elende Rest dessen sind, was zum Glück überwunden ist … Ich habe euch zersungen mit den Liedern, als ihr noch an der Macht wart.“ *2)

Dafür hatte die DDR den Liedermacher Wolf Biermann seit Mitte der 1960er Jahre immer wieder mit Publikations- und Auftrittsverboten malträtiert und ihn schließlich ausgebürgert.

Während der größte Teil der LINKEN Wolf Biermanns Auftritt wortlos ertrug, pöbelte Sahra Wagenknecht, MdB, die der Veranstaltung ferngeblieben war, gegen Biermanns Worte und Lied als politische „Gülle“. *3)

Aber nur wenige können mehr einstecken als austeilen …

Dennoch scheint der entscheidende Grund für Wagenknechts „burn out“ nicht die „Niedertracht“ ihrer „Parteifreunde“ oder ihre Erkenntnis „Politik ist eine Schlangengrube“ zu sein. Immerhin ist Frau Wagenknecht seit 10 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestags.

Der entscheidende Grund für Wagenknechts Rückzug aus der vordersten Fraktionslinie der LINKEN scheint das Scheitern des von ihr initiierten Projektes „Aufstehen“ zu sein.

Diese Vermutung lässt sich durch eine Analyse des Politikwissenschaftlers Professor Dr. Werner J. Patzelt stützen:

  • „Wagenknecht hat – wie andere auch – erkannt, dass die Aufrechterhaltung sozialstaatlicher Solidarität im Widerspruch zu einer permissiven Zuwanderungspolitik steht.
  • Anders formuliert: Sie will gerade im Interesse der kleinen Leute und sozial Schwachen die Zuwanderung nach Deutschland begrenzen.
  • Das widerspricht, obwohl von einer klar linken Position ausgehend, einer wichtigen Kernüberzeugung von Linken und Grünen, entspricht aber genau einem Kernanliegen von AfD-Sympathisanten.
  • Das ist übrigens genau jene Querfront, der entlang es längst große Wählerwanderungen von der Linken und der SPD hin zur AfD gibt. Diese Wählerwanderungen möchte so mancher stoppen, wofür allerdings eine veränderte programmatische Aufstellung gerade auch linker Parteien erforderlich wird. Insofern hat Wagenknecht durchaus eine klare Agenda und eine klare Kernforderung.“ *4)

Sahra Wagenknecht hat für ihre Agenda „Aufstehen“, mit der sie die Wählerwanderung zur AfD stoppen wollte, einen hohen politischen Preis gezahlt: „Wenn man mich in die Nazi-Ecke stellt, meine Auffassungen als nationalistisch oder gar rassistisch diffamiert. So etwas ist einfach niederträchtig.“ *5) Wie gesagt, nur wenige können mehr einstecken als austeilen …

Wagenknecht ist und bleibt nicht die einzige politische Führungspersönlichkeit, die politischer Heuchelei zum Opfer fällt.

Ich wünsche Sahra Wagenknecht nachhaltige Erholung, geläuterte Reflexion über Wolf Biermanns Lied „Ermutigung“ und bin sicher, dass sie „wiederkommt“.

*1) Wagenknecht bei „Anne Will“. „Innerlich immer ausgebrannter“. Von Arno Frank. 15. März 2019; http://www.spiegel.de/kultur/tv/anne-will-mit-sahra-wagenknecht-zu-burn-out-innerlich-immer-ausgebrannter-a-1258328.html.

*2) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. November 2014. Beginn: 9.00 Uhr; http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18064.pdf.

*3) Mauerfall-Gedenken. Wagenknecht attackiert Biermann für „Drachenbrut“-Rede. 12. November 2014; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/biermann-eklat-im-bundestag-linke-vize-wagenknecht-attackiert-saenger-a-1002586.html.

*4) Werner J. Patzelt. 15. AUGUST 2018. BEMERKUNGEN ZU WAGENKNECHTS „AUFSTEHEN“; http://wjpatzelt.de/2018/08/15/bemerkungen-zu-wagenknechts-aufstehen/ .

*5) „Politik ist eine Schlangengrube“. Wagenknecht wirft partei-internen Gegnern „Niedertracht“ vor. Mittwoch, 20.03.2019: https://www.focus.de/politik/deutschland/politik-ist-eine-schlangengrube-wagenknecht-wirft-partei-internen-gegnern-niedertracht-vor_id_10478230.html.