Wer hat Gabriel gestürzt?

Nach der Schockstarre sei das Denken erlaubt. Wer war es, der Sigmar Gabriel so zusetzte, dass er „die Faxen dicke“ hatte, wie es Norddeutsche und auch Martin Schulz gelegentlich ausdrücken? So zusetzte, dass Gabriel als SPD-Vorsitzender und damit wahrscheinlicher Kanzlerkandidat zurücktrat.

Versuchen wir die Vorgänge zeitlich einzugrenzen.

Mitte November 2016 war klar, Frank-Walter Steinmeier ist der Kandidat der Großen Koalition für die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung am 12. Februar 2017.

Damit stellte sich seit Mitte November 2016 die Frage, wer ab 12. Februar 2017 Bundesminister des Auswärtigen ist. Diese Frage zu beantworten, stand dem Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zu.

In Medienspekulationen tauchte plötzlich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz als möglicher Außenminister auf.

Für Martin Schulz sprachen genaue Kenntnis und Erfahrung in den politischen Prozessen der EU.

Gegen ihn sprachen eine zunehmende Wechselstimmung für stärkere Subsidiarität in der EU, d. h. mehr Verantwortung auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der Regionen. Und eine wachsende Abneigung gegen die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“, d. h. eine wachsende Abneigung der „Mehr Europa“-DNA in Martin Schulz.

Darüber, also über die „Finalität“ der Europäischen Union, gab es erst kürzlich ein heftiges Wortgefecht zwischen Martin Schulz und Mark Rutte, dem Regierungschef der Niederlande. Dabei zeigte sich wieder, dass der temperamentvolle Kämpfer Martin Schulz ein Politikertyp ist, der im Rheinland als „Bölker“ bezeichnet wird.

Ohne Frage hätten sich aus SPD-Perspektive ohnehin einige überzeugende personelle Alternativen zu Martin Schulz als Außenminister angeboten. Hier sei die überzeugendste genannt: Thomas Oppermann, derzeit Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Das Jahr 2016 ging — nichts war klar: Weder wer die SPD als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt, noch wer Nachfolger von Außenminister Steinmeier wird.

10. Januar 2017: „Zum 22. Mal lud am 10. Januar 2017 der Hamburger Klönschnack-Verleger Klaus Schümann zu seinem bekannten Blankeneser Neujahrsempfang ins Louis C. Jacob Hotel an der Elbe ein.“ *1)

Dort gibt sich „die exquisite Hamburger Gesellschaft“ ein Stelldichein. Auch gelegentlich mit linken Zugereisten wie Andrea Nahles (die allerdings für 2016 absagte). Oder mit dem Grün-Linken Anton Hofreiter, MdB, der am 12. Januar 2016 dabei war. Und den Umweltschutz anmahnte, was bei den Reichen und Schönen mit ihren “exquisiten“ Wohnlagen in Hamburg sehr gut ankam!

Aber am 10. Januar 2017 musste die geplante Eröffnungsrede des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz ausfallen, weil Scholz „vom Bundesvorstand der SPD kurzfristig nach Düsseldorf zitiert wurde, um die Kanzler-Frage zu beschließen“. *1)

In diesem Gremium führender SPD-Persönlichkeiten dürfte um den 10. Januar 2017 herum kaum die Entscheidung über den Rückzug Sigmar Gabriels gefallen sein, der die gesamte Partei und auch die Bundestagsfraktion am 24. Januar so offensichtlich schockierte.

Für den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Volker Kronenberg fiel mit dem absehbar durchgesickerten STERN-Interview Gabriels und dem dadurch ausgelösten Informationschaos für das gesamte SPD-Führungspersonal „ein Schatten auf den improvisiert vergeigten Start. Im Hintergrund müsse es zu einer Eskalation gekommen sein.“ *2)

Nimmt man die aktuell berichteten, für einen Politikchef merkwürdigen, wenn auch vielleicht sachlich richtigen öffentlichen Andeutungen Gabriels, dass Ungemach weniger vom politischen Gegner, sondern eher von den Parteifreunden zu erwarten sei — dann kommt man vielleicht den Tätern auf die Spur: die Bundestagsfraktion der SPD, die das Wahlergebnis am 24. September 2017 fürchtet.

Und damit zurück zu Kronenbergs Vermutung einer kürzlichen Konflikteskalation.

Hier ist ein Indiz für solche Konflikteskalation: Thomas Oppermanns Interview mit dem Berliner Tagesspiegel vom 22. Januar 2017, abgedruckt auf Oppermanns Website. *3)

In diesem Interview erlaubte Fraktionsvorsitzender Oppermann den Journalisten die folgende Schlussfrage über seinen langjährigen Parteichef Sigmar Gabriel: „In Ihrer eigenen Fraktion fürchten etliche, dass die SPD mit Gabriel als Kanzlerkandidat nicht über 20 Prozent hinauskommen wird. Was halten Sie den Zweiflern entgegen?“

Thomas Oppermann antwortet etwas glatt im Stil des Chef-Diplomaten: „Sigmar Gabriel ist ein starker Parteivorsitzender und ein höchst erfolgreicher Wirtschaftsminister. In seiner Zeit sind viele Arbeitsplätze neu entstanden und andere gerettet worden. Und Sigmar Gabriel kann Wahlkampf wie kaum ein anderer. Wir können seinen Vorschlag in Ruhe abwarten.“ *3)

Hatte daraufhin Sigmar Gabriel „die Faxen dicke“? Jedenfalls ist Gabriel nunmehr von Parteifreund Oppermann in eine „dienende Funktion“ *4) eingestuft worden.

*1) www.kloenschnack.de/tag/neujahrsempfang/. 10. Januar 2017.

*2) So etwa die Formulierungen Kronenbergs im Phoenix TV am 24.01.2017.

Und noch am 15.01.2017 Sigmar Gabriel: „Wissen Sie, die Frage, wer erhebt für die Sozialdemokratie den Anspruch, eine Bundesregierung zu führen, das ist ja eine ernsthafte Frage. Deswegen haben wir uns in der Sozialdemokratie verabredet, dass wir zwei Dinge tun, dass wir natürlich diese Personalentscheidung vorbereiten, aber zweitens natürlich auch die Frage klären: Was eigentlich ist nötig für unser Land und für die Menschen? Und beide Dinge gemeinsam wollen wir am 29. Januar – also Ende des Monats – öffentlich vorstellen. Und ich bin eigentlich ganz stolz darauf, dass die SPD diesen unfassbaren medialen Druck, den hat die SPD – finde ich – ziemlich cool weggesteckt und gesagt: Wir machen das so, wie verabredet und dabei bleibt es auch.“ (Sigmar Gabriel im Gespräch mit Frank Capellan, http://www.deutschlandfunk.de/wahlkampfjahr-2017. 15.01.2017)

*3) http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1793; 22.01.2017.

*4) VIELE FLOSKELN, KEIN PROGRAMM. Wie Schulz gegen Merkel gewinnen will … und warum das noch nicht ausreicht. Von: ROLF KLEINE und HANS-JÖRG VEHLEWALD; 25.01.2017; bild.de