Bürger gegen Anmaßung.

Leider trog die nach öffentlichem Rat von Professor Manfred Lahnstein genährte Hoffnung auf Augenmaß bei den vom Wahlergebnis zu Recht und aus triftigen Gründen enttäuschten Sozialdemokraten.

Statt Einsicht in Ursachen erleben Bürger ein Schüren von Angst vor politischer Instabilität. Und dies in einer kritischen Lage der Eurozone, in der zuallererst Handlungsfähigkeit der Bundesregierung notwendig ist.

So verunsichert ein bekannter Abgeordneter des Deutschen Bundestags, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Axel Schäfer, die Bürger mit „Warnungen“ an die Bundeskanzlerin. *1)

Hierzu scheint eine Intervention des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Frank-Walter Steinmeier, geboten. Damit solche Begleittöne unterbunden werden. Denn wir Bürger hoffen, zügig eine neue, handlungsfähige Bundesregierung zu bekommen.

„Warnungen“ an die Bundeskanzlerin – wähnt sich Herr Schäfer bereits auf „Augenhöhe“ mit Frau Merkel? – belasten Gespräche mit der Union. Noch bevor die Sondierungskommission der SPD, der Schäfer nicht angehört, ihre Verantwortung und Aufgabe wahrnimmt!

Axel Schäfer ist MdB aus NRW. Der angesehene Europapolitiker gewann den Wahlkreis 140 Bochum I mit deutlichem Abstand vor Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU.

Umso bedenklicher ist, dass ein Parlamentarier mit dem europapolitischen Gewicht Schäfers mit folgenden öffentlichen Äußerungen beiträgt, das Vertrauen der Bürger in die Stabilität unserer parlamentarischen Institutionen und Verfahren zu zerrütten.

„Frau Merkel ist nicht mehr legitimiert, in grundlegenden europapolitischen Fragen zu entscheiden … Es gehe nicht an, dass Merkel wie bisher den Widerstand gegen die Kommissionspläne organisiere … In möglichen Koalitionsverhandlungen werde die SPD auf eine Wende in der Europapolitik hinwirken … Unser Kompass muss sein: Es geht nicht an, dass man die Krisenländer allein zum Sparen zwingt und dadurch kaputt macht … Alles, was die Bundesregierung macht, muss sie sich durch den Bundestag legitimieren lassen.“ *1)

Wer ermutigt Herrn Schäfer zu solchem Störfeuer gegen die SPD-Sondierungskommission, schon bevor Gespräche beginnen?

Das verheerende internationale Echo auf solche und ähnliche Äußerungen mit möglichen Rückwirkungen auf den internationalen Finanzmärkten wird in Daniel Brösslers Artikel deutlich genug: „Durch Europa geht bereits ein Seufzen angesichts schwieriger und vermutlich langwieriger Berliner Verhandlungen. ´Die europäische Politik dürfte zum Erliegen kommen, während Deutschland sich sortiert`, konstatierte die International Herald Tribune.“ *1)

Berechtigte Sorge des Bürgers treibt zum Griff nach dem Grundgesetz. Zum Glück haben wir einen hervorragend ausgestatteten Deutschen Bundestag. Für unser Parlament zahlen wir Demokraten Steuern gern. Ganz besonders gilt diese Feststellung heute für die hochqualifizierten Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Sie helfen uns mit orientierender Information.

Das Problem, mit dem MdB Axel Schäfer uns beunruhigt, beruht auf dem Datum 22. Oktober 2013. Dann ist die durch das Grundgesetz (GG; Art. 39; (2)) vorgegebene Frist abgelaufen: „Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.“ Bis dahin amtiert die derzeitige Bundesregierung ohnehin uneingeschränkt. Ändert sich dies grundlegend nach dem 22. Oktober?

Am 24. Oktober 2013 tagt in Brüssel der Europäische Rat der Regierungschefs. Auf der Agenda stehen wichtige Themen: Wettbewerbsfähigkeit der EU, Vorbereitung von Beschlüssen zur Wirtschafts- und Währungsunion (Euro), Koordinierung der EU-Staaten in der Wirtschaftspolitik.

Herr Schäfer scheint also zu verlangen, dass er vorher von Frau Merkel gefragt wird, was sie dort sagen darf. Entspricht solch erstaunliches Ansinnen unserem Grundgesetz?

Der Wissenschaftliche Dienst erklärt uns die rechtliche Lage. Sollte bis zum EU-Gipfel am 24. 0ktober keine Neuwahl für das Amt des Bundeskanzlers erfolgt sein, wird in jedem Fall ein „Zustand der Regierungslosigkeit bis zur Kanzlerwahl verhindert.“ *2)

Lassen wir eher unwahrscheinliche Ereignisse oder nicht erkennbare rechtlich-politische Komplikationen beiseite. Artikel 69 (3) GG ermöglicht stabile Regierungsführung auch dann, wenn sich die Regierungsbildung verzögern sollte: „Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen.“ Zu diesem „Ersuchen“ sei der Bundespräsident „nach überwiegender Ansicht … nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet.“ *2)

Dieses „Kontinuitätsprinzip“ sei – so der Wissenschaftliche Dienst – mit dem „Versteinerungsprinzip“ verknüpft. Das heißt, wenn nicht Unvorhersehbares geschieht, bleiben Kanzlerin und die derzeitigen Bundesminister im Amt, auch wenn die Bundesregierung „geschäftsführend“ amtiert.

Die vorherrschende Rechtsauffassung besage ferner: „Eine geschäftsführende Regierung besitzt … grundsätzlich dieselben Befugnisse wie eine ´regulär` im Amt befindliche Regierung. Ihr Handlungsspielraum ist von Rechts wegen nicht auf die ´laufenden Geschäfte` beschränkt.“ *2) Dies leuchtet ein. Hoffentlich auch Herrn Schäfer, MdB. Denn wir Bürger haben immer wieder erfahren, dass Regierungen nicht nur eigenen Plänen folgen, sondern auch durch „Ereignisse“ oder dringende Sachzwänge zum Handeln gezwungen sind.

Von der seit 1990 höchste Ämter ausfüllenden Bundeskanzlerin darf angenommen werden, dass sie sich im politischen Geschäft situationsgerecht verhält. Deshalb muss von ihr nicht erwartet werden, dass sie die „Warnungen“ von MdB Axel Schäfer überhaupt zur Kenntnis nimmt.

Bei übermäßig langer Verzögerung einer Entscheidung über eine Regierungskoalition *2) hat der Bundespräsident einen Vorschlag für die Wahl des Bundeskanzlers zu machen. Damit beginnt das Wahlverfahren nach Art. 63 GG: „(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt. (2) Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.“

Wenn auch in einem dritten Wahldurchgang „der für das Amt Vorgeschlagene … nicht .. von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt wird, .. hat der Bundespräsident nach Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG die politische Entscheidung zu treffen, ob er entweder den mit einfacher Mehrheit Gewählten ernennt oder den Bundestag auflöst. Dies löst die Rechtsfolge des Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG aus, d. h. Neuwahlen sind innerhalb einer Frist von sechzig Tagen durchzuführen.“ *2)

Was bei Neuwahlen auf politische Parteien zukäme, die den Bürger durch übermäßiges Verzögern der Regierungsbildung in kritischer Zeit verärgert haben, wissen die Spitzenpolitiker.

Die hier referierte Rechtslage wird auch ein so erfahrener Abgeordneter wie Axel Schäfer kennen.

Deshalb freut sich dieser Blogger über unser Grundgesetz, über das „Kontinuitätsprinzip“, das „Versteinerungsprinzip“ und über das erarbeitete Fazit zu den etwas anmassenden „Warnungen“ von Axel Schäfer: Wichtigtuerei.

Deutschland hat eine stabile Demokratie und eine handlungsfähige Regierung, was immer sich einzelne Politiker zur Zeit leisten, um die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu ziehen. Der Wahlkampf ist vorbei, doch nicht für alle, wie es scheint.

*1) Daniel Brössler, Gefesselte Kanzlerin, SZ vom 02.10.2013/mane, sueddeutsche.de/politik/.

*2) Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag, Aktueller Begriff Geschäftsführende Bundesregierung, Verfasserin: Regierungsdirektorin Patrizia Robbe – Fachbereich WD 3, Verfassung und Verwaltung, Nr. 31/13 (01. Oktober 2013).