Bundespräsident für Machtwechsel?

Den vielen Kommentaren, die Frank-Walter Steinmeiers Glaubwürdigkeit, politische Erfahrung und Überparteilichkeit hervorheben, wird gern zugestimmt. Doch sollte der zentrale Punkt der Kandidatur Steinmeiers für das Amt des Bundespräsidenten nicht übersehen werden.

Es geht um den politischen Machtwechsel mit der Perspektive Rot-Rot-Grün unter einem Bundeskanzler Martin Schulz durch Sigmar Gabriels Erfolg, die Kandidatur Steinmeiers durchzusetzen.

Artikel 63 (1) und 68 (1) Grundgesetz *1) sind die verfassungsrechtlichen Instrumente des angestrebten Machtwechsels durch Sigmar Gabriel und Martin Schulz, SPD-Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers.

Die SPD (Landesverband Berlin) ist dreist genug, die Katze der Kandidatur Steinmeiers aus dem Sack zu lassen: „Wir freuen uns auf den neuen sozialdemokratischen Schlossherrn“ *2)

Nichts gegen einen politischen Machtwechsel, Frau Merkel hat das Kanzleramt wohl schon zu lange.

Doch es mag vielen Wählern auf die Richtung des Wechsels ankommen …

Ein Blick auf die Fülle der Umfragen zu den Wahlabsichten zeigt in den letzten Monaten etwa folgendes plausibles Normal-Bild: CDU/CSU 35 %. SPD 27 %. Grüne 10 %. LINKE 10 %. AfD 12 %. FDP 6 %. Nehmen wir dies als hypothetisches Ergebnis für die prozentuale Sitzverteilung im Bundestag nach der Wahl am 24. September 2017.

Was könnte von Bundespräsident Steinmeier erwartet werden?

Den Schlüssel finden wir in einer Bemerkung des Politikwissenschaftlers Professor Karl-Rudolf Korte. Er verweist auf die verfassungsrechtlichen Spielräume des Staatsoberhauptes. Bundespräsident Roman Herzog habe (wohl 1994, RS) „auch sehr stark überlegt, wen er vorschlägt, weil er nicht wollte, dass ein Kanzler ins Amt kommt, der damals mit PDS-Stimmen der Linken ins Amt käme.“ *3)

So könnte das linke Szenario Rot-Rot-Grün mit Bundeskanzler Martin Schulz zur realistischen Perspektive des Machtwechsels werden: Bundespräsident Steinmeier würde dem Beispiel des verehrten Amtsvorgängers Roman Herzog folgen. Und z. B. unter dem Rot-Rot-Grün Szenario — 47 % bei dem oben angenommenem Verhältnis der Sitzverteilung im Bundestag nach der Wahl — Martin Schulz als Bundeskanzler gegen Angela Merkel vorschlagen.

Wir werden dann, Prof. Kortes Erinnerung an Roman Herzog folgend, das noble Argument hören: Weil Bundespräsident Steinmeier nicht wolle, dass ein Kanzler ins Amt kommt, der mit AfD-Stimmen gewählt würde.

Deshalb sind für „strategische Wähler“ *4) nicht die unbestreitbaren Vorzüge der Persönlichkeit des Bundespräsidenten Steinmeier relevant.

Sondern die rot-rot-grünen Machtkalkulationen hinter seiner Wahl zum Staatsoberhaupt.

*1) Artikel 63 (1): Wahl des Bundeskanzlers auf Vorschlag des Bundespräsidenten durch den Deutschen Bundestag.

Art. 68 (1): Mögliche Auflösung des Bundestages auf Vorschlag des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten. Mit der Folge von Neuwahlen. Erinnert sei, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 nach der von seiner SPD-Bundestagsfraktion bewusst verneinten Vertrauensfrage für ihn als Bundeskanzler mit Hilfe des Bundespräsidenten Horst Köhler Neuwahlen herbeiführte.

*2) NOCH BEVOR DER BUNDESPRÄSIDENT GEWÄHLT IST. SPD macht Parteiwerbung mit Schloss Bellevue, 11.02.2017, bild.de. Schloss Bellevue ist bekanntlich der Amtssitz des Bundespräsidenten.

*3) „Ein Turbo-Rhetoriker ist Steinmeier nicht“.

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht auf den aller Voraussicht nach neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier große Herausforderungen zukommen. Steinmeier werde sich nicht nur rhetorisch umstellen müssen, sagte Korte im DLF: „Das Innenpolitische wird ihn stärker und schneller einholen, als ihm dies vielleicht bewusst ist.“

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Jürgen Zurheide; 11.02.2017.

http://www.deutschlandfunk.de/bundespraesidentenwahl-ein-turbo-rhetoriker-ist-steinmeier.694.de.html?

*4) Für “strategische Wähler“ ist bei der Entscheidung zur Wahl einer Partei für den Deutschen Bundestag nicht allein ihre Parteizugehörigkeit oder -sympathie wichtig. Sondern vor allem das Ergebnis für die neue Bundesregierung, das aus den Annahmen bzw. Wünschen strategischer Wähler über die Sitzverteilung im Bundestag nach der Wahl folgen könnte.

Wer z. B. Rot-Rot-Grün als Regierungskoalition ablehnt, wird als “strategischer Wähler“ keine der zu solcher Koalition gehörenden Parteien wählen. Wenn, wie derzeit, diese Parteien offen lassen, mit wem sie nach der Wahl koalieren wollen oder nicht.