Das öffentliche Interesse.

Die SPD-Führung im Willy-Brandt-Haus ist vermutlich bald an der Macht. Mit den Grünen und mit zunächst unauffälliger Hilfe der Linken.

Für den Gebrauch der Macht hat sie eine eindrucksvolle Liste von steuerpolitischen Maßnahmen gegen die „Reichen“ angekündigt. Alles im Interesse des Gemeinwohls.

Dies hören und kritisieren wir nun schon seit langem als Anmaßung, die einer einzelnen Partei nicht zukommt. Denn Begriff und Wesen von „Partei“ bestimmt das lateinische „pars“. Partei ist also nur als Teil eines Ganzen, des Gemeinwesens, zu verstehen. Vom Wettbewerb der Parteien bleibt zu hoffen, dass er das Gemeinwohl und damit das öffentliche Interesse fördert.

Jetzt enthüllt die SPD-Führung selbst, dass ihre Inanspruchnahme des Gemeinwohls wohl als Floskel gemeint ist. Dass sie selbst am Ende nicht so genau wissen will, was es bedeutet, wenn sie Gemeinwohl und öffentliches Interesse im Munde führt.

Diese ernüchternde Erkenntnis verdanken wir letztlich dem sozialdemokratischen Finanzminister des Landes Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn. Sein mit Peer Steinbrück langjährig verbundener Staatssekretär Heiko Geue wollte offenbar die Chance nicht verpassen, in der kommenden Bundesregierung unter Bundeskanzler Peer Steinbrück Staatssekretär des Bundesministers der Finanzen Jürgen Trittin zu werden. Und nicht länger in harter Arbeit die erfolgreiche Politik der Agenda 2020 seines Chefs Jens Bullerjahn bearbeiten.

Dieser Ehrgeiz, der in Herrn Staatssekretär Geue entbrannt sein mag, trieb ihn in das Wahlkampfteam, das Peer Steinbrücks Fehlstart verursachte. Nun hat Andrea Nahles dort das Kommando übernommen und Herrn Geue mal eben runtergestuft. Das mag berechtigt sein oder nicht.

Worum es hier geht, ist ein ernster Vorgang, für dessen Enthüllung der SZ zu danken ist *1). Danach war Herr Staatssekretär Geue nicht nur ehrgeizig, sondern auch durchaus sicherheitsbewusst, was die Einschätzung der Siegeschancen von Rot-Grün angeht. Er ließ sich nämlich vorsichtshalber beurlauben.

Jeder Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst, jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen weiß, dass eine Beurlaubung im Interesse des Dienstherrn sein muss. Beim Staat ist dies das öffentliche Interesse, dem eine Beurlaubung zu dienen hat. Dies gilt insbesondere, wenn es um politische Beamte höchsten Ranges geht.

War für solche Erwägungen der Ehrgeiz des Herrn Geue blind? Für ihn war Arbeit für den Wahlkampf Steinbrücks im öffentlichen Interesse. Ohne jeden Zweifel! Eine gewagte Annahme, wie ein Rechtsgutachten im Auftrag des Landtags von Sachsen-Anhalt erwies: Die Beurlaubung von Staatssekretär Geue sei „nicht im öffentlichen Interesse gewesen .. und (habe) damit gegen die Vorschriften verstoßen.“ *1)

Herr Finanzminister Jens Bullerjahn wurde von seinem Staatssekretär, Herrn Geue, in die Situation gebracht, dass er feststellen lassen musste: „Eine rechtlich unstrittige Lösung gemeinsam mit Herrn Geue konnte nicht gefunden werden. Das Vertrauensverhältnis ist damit gestört.“ *1) Herr Geue wurde deshalb in den einstweiligen Ruhestand versetzt. So weit, so gut!

Was nun überrascht und bei den Bürgern im Lande einen ganz schlechten Eindruck hinterlassen wird, ist die Stellungnahme aus der „Bundes-SPD“ (SZ): Man „sei von der Entscheidung Bullerjahns und den Begleittönen überrascht.“

Ausgerechnet die SPD-Führung, die ständig das Gemeinwohl u.ä.m. im Munde führt, kritisiert, wenn einer ihrer bedeutenden Hoffnungsträger dem Gemeinwohl und damit dem öffentlichen Interesse Geltung verschafft. Kritisiert das sogar dann, wenn es um etwas so Banales wie den Ehrgeiz eines Spitzenbeamten geht. Was bedeutet das Gemeinwohl für solche Leute?

Im „öffentlichen Interesse“ bleibt dem Bürger nur die Hoffnung auf baldige Veränderungen in der „Bundes-SPD“. Diese Hoffnung richtet sich gerade auch auf Herrn Minister Bullerjahn. Denn der stellvertretende Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt hat nun auch im Fall des Herrn Geue durch Handeln bewiesen, dass er sich dem öffentlichen Interesse verpflichtet weiß.

*1) Süddeutsche.de, Politik, 8. März 2013 20:31, Erneuter Rückschlag, Steinbrücks Wahlkampfleiter verliert Amt als Staatssekretär.