Debattieren in Krisen.

Schon vor Jahren warnte ein Experte für politische Bildung in Afrika, Dr. Al-Fami`Daud, vor hohen Erwartungen an Demokratie und an den arabischen Frühling. *)

Dr. Al-Fami`Daud ist der brilliante Erfinder der listenmäßigen Orientierungshilfen für linke politische Multiplikatoren.

Stärken bzw. rauf mit: Staat; Steuern; Staatsausgaben für Bildung, Infrastruktur, Soziale Gerechtigkeit; Öffentlichen Unternehmen; Regulierung, Gewerkschaften usw..

Einschränken bzw. runter mit: Kapitalismus, Wettbewerb, Freihandel, Privateigentum, ungezügelter Freizügigkeit, Ungleichheit usw..

Natürlich hat der Denker und Vorkämpfer der Gerechtigkeit bereits zur Flüchtlingskrise viel beachtete Beiträge geleistet. Als Teil eines europäisch-afrikanischen Beratungsprojekts, finanziert aus Quellen, die lediglich als „Stiftungen“ beschrieben werden.

Auch hier gelang ein flüchtiger Blick in die „Dr. Al-Fami`Daud“-Liste für politische Multiplikatoren zum Thema Flüchtlingskrise.

Rauf mit: Humanität, Willkommenskultur, Integration; Stellen für Mitarbeiter, Geldern für Länder, Kommunen, Hilfsorganisationen; “rechtmäßigen“ Abschiebungen, Auffanglagern, aber nur weit weg, an den EU-Außengrenzen; Stabilisierung der Herkunftsländer.

Runter mit: der Zuwanderung, der Zahl der Flüchtlinge und der Zahl der Auffanglager in Deutschland; dem Gemecker über Flüchtlingszahlen weit über dem Königsteiner Schlüssel und den Forderungen nach entsprechender Umverteilung in Deutschland.

In seiner entwicklungspolitischen Bildungsarbeit für Demokratieförderung in Afrika stützte sich Dr. Al-Fami`Daud — etwas leichtsinnig, weil er Satire nicht gewohnt ist oder sie nicht zur Kenntnis nimmt — auf einen bedeutenden US-Ökonomen, John Kenneth Galbraith.

Seine hochgeachteten Beiträge zum europäisch-afrikanischen Dialog über entwicklungspolitische Bildung wurden durch Kernsätze von Galbraith informiert: Selbst in den USA und erst recht in Afrika reicht „Geld allein .. heute nicht mehr aus, das Renommee eines Menschen zu begründen.“ *1) Denn so argumentiere Galbraith: „Heute nun sind wir in eine weit schwierigere Periode eingetreten, in das Zeitalter der sozialen Verantwortlichkeit … Täglich werden landauf, landab Dutzende von Konferenzen, Seminaren, Foren, Arbeitskreisen, Diskussionszirkeln, Tagungen und Ausschusssitzungen abgehalten“. *1)

Alle diese Bemühungen — so die Denkweise von Dr. Al-Fami`Daud — dienen dem Ziel politischer Bildung des Bürgers: Er soll gegenüber „den wirtschaftlichen, sozialen, politischen, moralischen, ethischen und religiösen Problemen unserer Zeit“ befähigt werden, „eine verantwortungsbewusste Haltung einzunehmen.“ *1)

Die Methodik, Bürger durch politische Bildung mit einer „verantwortungsbewussten Haltung“ gegenüber komplexen Problemen zu imprägnieren, bestehe — so vertraut ist Dr. Al-Fami`Daud auch mit der deutschen Politik — in dem „Spagat“, also: einerseits — andererseits. Damit man als demokratische PolitikerIn oder als BürgerIn mit “verantwortungsbewusster Haltung“ nie auf dem falschen Fuß erwischt werde.

Daher empfiehlt Dr. Al-Fami`Daud gegenüber komplexen Problemen „verantwortungsbewusste Stellungnahmen“ etwa nach folgendem Muster: „Im Falle des … (Problems X, RS) … fehlt es den politischen Alternativen in nächster Zukunft an schöpferischen Möglichkeiten. Über den Wert der … (Maßnahmen, RS) … kann man geteilter Meinung sein. Bei der gegebenen Lage bleibt den … (Verantwortlichen, RS) … im eigenen interesse wie im Interesse einer aufgeklärten Politik nur eines übrig: Sie müssen unvoreingenommen erkennen, was … (das Problem X, RS) … heute darstellt und in welche Richtung es sich entwickeln wird.“ (a.a.O., S. 35).

Diese Empfehlung des internationalen Experten für politische Bildung, Dr. Al-Fami`Daud, hat beträchtliche, ja, universale Bedeutung für die demokratische Streitkultur, die wir liberal Gesinnten bisher wohl etwas missverstanden haben.

Das wurde heute im Plenum des Bundesrates klar, als Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eine eindrucksvolle Rede zum „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ hielt. *2) Frau Kraft bestätigte die Einsichten von Dr. Al-Fami`Daud.

Indem sie zuächst den obligatorischen Spagat vorführte: „Zuwanderung beschränken. Mit Menschlichkeit vorgehen!“ *2)

Dann forderte Frau Kraft: „Wir Politiker sitzen alle in einem Boot. Wir müssen „richtig und verantwortungsvoll“ kommunizieren, auch gegenüber dem Bürger. Keine Scheindebatten; keine Schnellschüsse; keine unausgegorenen Vorschläge; an den richtigen Stellen die richtige Diskussion führen; Diskussionen über unsere Werte, unsere „Leitkultur“ in bezug auf Flüchtlinge sind überflüssig; Höhe der Leistungen an Flüchtlinge, Transitzonen — alles Scheindebatten. Zuerst „verantwortungsvolle“ Problemanalyse und Lösungen, die tragfähig sind, erarbeiten, erst dann an die Öffentlichkeit gehen, weil wir sonst die Menschen verunsichern.“ *2)

Danken wir dem internationalen  Experten für politische Bildung, Dr. Al-Fami`Daud, und vor allem Frau Ministerpräsidentin Kraft für Orientierung über das Wesen “verantwortungsbewusster“ demokratischer Streitkultur in Krisenzeiten!

Bürgerinnen und WählerInnen mit “verantwortungsbewusster Haltung“, erlaubt euch keine Scheindebatten. Am besten gar keine Debatten! Und vor allem keine Vorschläge, ist doch eh` alles „unausgegoren“, was von „verunsicherten“ Leuten kommt.

Wartet doch geduldig, bis die, die im selben Boot sitzen, die von euch da hinein gewählten PolitikerInnen, eure Sorgen und Probleme „richtig und verantwortungsvoll“ geprüft haben. Geduldet euch, bis die mit “einer tragfähigen Lösung“ an die Öffentlichkeit gehen.

Und dann bitte ein wenig Dank und Beifall für die Bemühungen der Landesmütter und Landesväter!

*) Name geändert.

*1) John Kenneth Galbraith: Die McLandress-Dimension. Aus dem Amerikanischen von Gerda Kurz und Siglinde Summerer. München, Zürich 1970, S. 30 – 33.

*2) Zitiert aus dem „Redebeitrag im Bundesrat von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“, 16.10.2015; https://land.nrw/de/media/video/redebeitrag-im-bundesrat-von-ministerpraesidentin-hannelore-kraft-zum. In ihrer Rede engagierte sich Frau Kraft verdienstvoll für die Entwicklungspolitik, ein Thema, über das sie einst eine Dissertation geplant hätte.

Nicht nur „verantwortungsbewusste“ Bürger haben sich jeder „Scheindebatte“ zu enthalten. Auch der Oberbürgermeister von Magdeburg, Lutz Trümper, wurde von seiner SPD und der „Landesmutter“ in spe mit Schweigegebot belegt. Um die Anliegen seiner Stadt und ihrer Bürger zu vertreten, sah Trümper sich jetzt gezwungen, die SPD, die Partei der Aufklärung, zu verlassen.