Dem Debattierstreik folgt der Wählerstreik.

Unser Bundestag mag rd. 700 Mio. € im Jahr kosten. Die politischen Parteien und die ihnen nahestehenden politischen Stiftungen benötigen eine ähnliche Summe.

Strittig wird nicht die Höhe solcher Demokratie-Kosten, sondern gelegentlich die Transparenz von Quellen und Verwendung diskutiert.*)

Solche Debatten erschienen diesem Bürger-„Journalisten“ bisher nicht so wichtig wie die Anlässe, mit der Qualität der Parlamentsdebatten hoch zufrieden zu sein. Nicht jedoch am heutigen Tag …

Die Übertragung der Debatte in Phönix-TV und der Blick in die Presse deuten auf folgenden Sachverhalt.

Heute am späten Vormittag sollte im Bundestag in der 185. Sitzung in Erster Lesung über das Gesetz der Bundesregierung zum Betreuungsgeld debattiert und abgestimmt werden.

Der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms konnte die Sitzung – zunächst zum Thema Wettbewerbsrecht – nicht pünktlich eröffnen: „Ich bitte, die Verspätung zu entschuldigen. Die Fraktionen von SPD und Grünen hatten noch Fraktionssitzungen … (Aha! Honi soit qui mal y pense, RS) … Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.“**)

Bundeswirtschaftsminister Rösler begann die interessante Aussprache über Änderungen zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Dieses Gesetz, so Herr Dr. Rösler, „ist seit mehr als 50 Jahren gleichsam das Grundgesetz unserer Wirtschaftsordnung. Ludwig Erhard hat das Wettbewerbs- und Kartellrecht als einen wesentlichen Baustein in das Fundament der sozialen Marktwirtschaft eingefügt.“ Ein wirtschaftspolitisch bedeutendes Thema und einer ernsten Parlamentsdebatte würdig.

Die Aussprache zum Thema Wettbewerbsrecht schloss auf Antrag von SPD und Grünen mit einer Abstimmung per „Hammelsprung“.***) So verfuhr jedenfalls die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Petra Pau (Die Linke). Vielleicht, weil sie bezweifelte, dass die üblichen Handzeichen bei dieser Abstimmung zu einem eindeutig feststellbaren Ergebnis führen würden.

Beim Hammelsprung „verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und betreten ihn wieder durch eine von drei Türen, die jeweils für Ja, Nein oder Enthaltung stehen. Schriftführer zählen sie dabei laut.“***)

Ergebnis: 204 Ja, 7 Nein, 0 Enthaltungen – und der Bundestag ist plötzlich beschlussunfähig. Weil die Opposition den „Hammelsprung“ verweigerte und ihre Abgeordneten „feixend vor den Türen“ blieben (Robin Alexander, Die Welt,15.6.2012).

Die Beschlussunfähigkeit des Parlaments verhinderte auch die von vielen Bürgern erwartete Erste Lesung zum Betreuungsgeld-Gesetz. So brachte die Opposition uns Bürger um eine wichtige familienpolitische Debatte des Für und Wider zum Betreuungsgeld.

Ein solches Bubenstück hätte ich bei der Sozialdemokratie und ihrer parlamentarischen Führung nicht für möglich gehalten. Zumal der SPD-Vorsitzende im Bundestag nicht oft genug über dieses Thema mit seiner tief durchdachten Formulierung „Herdprämie“ tönen konnte. Und auch deshalb nicht, weil in der Öffentlichkeit von der SPD eine intensive Kampagne zu diesem Thema geführt wird.

Da können auch einfältige Kommentare, etwa dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags solches Verhalten „hergäbe“, den Bürger nicht beschwichtigen.

Unerträglich MdB Volker Beck, Grüne: „Wir waren – ehrlich gesagt – von diesem Ergebnis überrascht.“ Und dann faselt der Herr noch vom „Gewissen“ des Abgeordneten.

Und MdB Thomas Oppermann, SPD, mutet uns die Behauptung zu, es habe sich um eine Art Aufstand der Koalitionsfraktionen gegen die Bundeskanzlerin gehandelt.

Jetzt ist wirklich die Frage nach den Zusatzkosten solch beispiellosen Umgangs mit der Geschäftsordnung des Bundestags für den obendrein um Information geprellten Bürger erlaubt. Auch weil man sich fragt, welchen Wert künftig noch die „interfraktionellen Vereinbarungen“ haben, die für effiziente und effektive Parlamentsarbeit notwendig sind.

Jedenfalls wünschen viele Bürgerinnen und Bürger die Debatte zu Familienpolitik und Betreuungsgeld im Deutschen Bundestag. Und zwar noch vor den Parlamentsferien.

Bis dahin wird ebenfalls eine Entschuldigung und restlose Aufklärung der Verantwortung für die von der Opposition vorgeführte Auffassung von parlamentarischer Arbeit erwartet.

Und bis dies geschehen ist – das sei gerade der SPD versichert – werden sehr viele familienpolitisch interessierte Wählerinnen und Wähler den folgenden politischen Bewertungen zustimmen:

„Ein kleines, dreckiges Foulspiel, vor allem der SPD“ – CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, MdB.

„Eine Heuchelei, Diskussionsbedarf anzumelden und dann die Diskussion zu verhindern, eine Heuchelei, die sich selber richtet.“ CDU-Generalsekretär Herrmann Gröhe, MdB.

Dieser Blogger, der sich ebenfalls von der Opposition um politische Information gebracht sieht, stimmt den beiden folgenden Aussagen der ausgezeichneten Parlamentarierin Frau Gerda Hasselfeldt, MdB, ohne jeden Vorbehalt zu (www.hasselfeldt.de/).

„Mit einem Geschäftsordnungstrick haben SPD, Grüne und Linke die wichtige 1. Lesung zum Betreuungsgeld verhindert. Es ist beschämend, mit einem vorsätzlichen und groben politischen Foulspiel eine wichtige familienpolitische Debatte im Bundestag zu sabotieren.“

Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag fährt fort:

„Die Opposition führt seit Wochen in Talkshows eine Kampagne und verweigert im Bundestag die Diskussion. Der Ort für Debatten ist aber das Parlament. Unabhängig davon, welche Ansichten man in der Familienpolitik vertritt, es muss möglich sein, diese im gewählten Parlament auszutauschen. Wer das Wesen der Demokratie so mit Füßen tritt, disqualifiziert sich für die Aufgabe als Abgeordneter.“

Für die Untersuchung dieses unparlamentarischen Verhaltens wird „abgeordnetenwatch“ gefördert werden.

*) S. www.ute-kumpf.de/fileadmin/daten/berlin/abgeordnete/; Prof. Dr. Karl-Heinz Naßmacher, Einblicke 39/2004, www.presse.uni-oldenburg.de/einblicke/39/; Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim, stern.de,18. Januar 2012.

**) Deutscher Bundestag, Vorläufiges Protokoll der 185. Sitzung vom 15. Juni 2012.

***) Deutscher Bundestag, www.bundestag.de/service/glossar/H/