Dem Terror getrotzt!

Sprüche dieser Art kennen wir seit 1972, als Avery Brundage, Präsident des International Olympic Committee (IOC), in München nach der Ermordung der israelischen Sportler anordnete: „The Games must go on!“ Kein Wunder, derartiges auch nach dem heimtückischen Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund (BVB) zu hören.

Von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und von BVB-Präsident Reinhard Rauball (SPD), einem ehemaligen Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW).

Keine 24 Stunden nach dem Anschlag zeigte das BVB-Team vorbildliche sportliche Haltung im Champions-League-Viertelfinale gegen den starken AS Monaco und verlor nur knapp mit 2:3 Toren.

Die Spieler haben ihre Verpflichtung gegenüber dem Verein BVB, seinen Mitgliedern und Fans sowie dem Ausrichter des Europäischen Champions-League-Fußballturniers, dem Europäischen Fußballverband UEFA, gekannt und respektiert.

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zur Entscheidung, das Spiel gegen AS Monaco nach dem Anschlag auf den nächsten Tag zu verlegen: „Was sollen wir machen? Das ist unsere Aufgabe. Wir müssen das irgendwie hinbekommen. Es gibt keine weiteren Termine. Es gibt keine Alternative!“ *1)

Am Spieltag des 12. April zogen treue BVB-Fans zum Trainingsplatz, um der Mannschaft zu versichern: „You`ll never walk alone“. Von vielen BVB-Fans wird berichtet, dass sie überzeugt waren: „Es ist die richtige Entscheidung, das Spiel nachzuholen. Das ist ein Zeichen, dass wir uns nicht herunterziehen lassen.“ *2)

So stimmten Fans und Sportminister de Maizière überein: „Wir dürfen nicht den Fehler machen und uns einschüchtern lassen. Dann hätten Terroristen schon gewonnen. Ich selbst habe daher und als Zeichen der Solidarität mit dem BVB das Spiel im Stadion verfolgt“.*3)

Umso größer ist die Bestürzung, dass ein so feiner Weltfußballer wie Sokratis nach dem verlorenen Spiel unter Tränen den Fans für ihre Unterstützung dankte. Und trotzdem die BVB-Führung und die UEFA anklagte: „Wir wurden wie Tiere behandelt und nicht wie Menschen.“ *4)

Und selbst BVB-Trainer Thomas Tuchel teilte mit, er sei per SMS über den um 22 Stunden verschobenen Spieltermin informiert worden: „Wir hatten das Gefühl, behandelt zu werden, als wäre eine Bierdose an unseren Bus geflogen … Wir haben zu funktionieren“. *4)

Bei solch bitteren Worten der sportlichen Leistungsträger ergreift den Bürger und Fußball-Fan der Wunsch, eine wertende Stellungnahme zu versuchen.

Bekanntlich ist der BVB einer der bedeutendsten deutschen und europäischen Sportvereine. Gemessen an der Zahl der Mitglieder (rd. 145 Tausend; Wikipedia) ist der BVB der weltweit viertgrößte Sportverein.

Der BVB ist ein gemeinnütziger Verein und zugleich ein börsennotiertes Großunternehmen in der Rechtsform der „Borussia Dortmund GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien“.

Das heißt vereinfacht: Gegenüber Gläubigern des BVB haften nicht der ehrenamtlich tätige Präsident Rauball, nicht der Geschäftsführer Watzke, auch nicht namhafte (Kommandit)-Aktionäre mit ihrem Vermögen. Sondern für Schulden des BVB haftet als gesetzlich vorgeschriebener geschäftsführender „Komplementär“ eine „juristische Person“, die BVB-„Geschäftsführungs-Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, eine 100 %-Tochter des gemeinnützigen „Ballspielvereins Borussia 09 e.V. Dortmund“.

Dieser Verein „verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke … Er ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.“ (§ 2 (5) Satzung des Vereins).

Also wie gesagt: Beschränkte Haftung für Verbindlichkeiten. Im Verbund mit Steuervorteilen und den beträchtlichen Leistungen des Steuerzahlers für Massensport, wie er von Vereinen wie dem „Ballspielverein Borussia 09 e.V. Dortmund“ organisiert wird, ein haftungs- und auch steuerrechtlich hoch durchdachtes und zugleich ertragreiches Konstrukt, dessen Geschäftsmodell in die „Borussia Dortmund GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien“ ausgelagert ist!

So hatte der BVB vom 1. Juli 2015 bis zum 30. Juni 2016 (dem letzten Geschäftsjahr gemäß § 5 Satzung des Vereins) bei einem Rekordumsatz von 376 Mio. Euro einen Gewinn von 29,4 Mio. Euro erwirtschaftet. Etwa ein Viertel des Umsatzes, 95 Mio. Euro, hätte der BVB allein durch Spielerverkäufe eingenommen, berichtet die Presse. *5)

Der ehrenamtliche Präsident Reinhard Rauball (SPD) und der Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (CDU) sind für ihre Verdienste um die Solvenz und den sportlichen Erfolg des BVB anerkannt und fachlich hoch angesehen. In der Tat — große „Investoren“ in und „Verkäufer“ von Humankapital des Fußballsports!

Wie behandeln diese politisch bestens verbundenen BVB-Geschäftsherren der „GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien“ ihr wertvolles „Humankapital“? Die Spieler mit einem Marktwert von Hunderten Millionen Euro? Nach einem Mordanschlag gegen die Mannschaft mit dem schwer verletzten und noch in der Nacht operierten Marc Bartra?

Fassungslos registriert der BVB-Fan, dass Trainer Thomas Tuchel feststellen musste: „Als wäre eine Bierdose an unseren Bus geflogen“. *4)

Der Präsident, Ex-Politiker und Sozialdemokrat Rauball lässig: „Das sind Profis. Da bin ich der Auffassung, dass sie das wegstecken können“. *4) Und ebenso locker Hans-Joachim Watzke, Christdemokrat und Geschäftsführer des BVB: „Ich habe gerade in der Kabine an die Mannschaft appelliert, der Gesellschaft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken.“ *6)

Das war alles? Mal eben ein paar Sprüche? Mal eben eine SMS an den Trainer der Mannschaft? Keine Ärzte, keine Pharmazeuten, keine Psychologen, die der nach dem Mordversuch angespannten Mannschaft hätten helfen können, den notwendigen Schlaf und die Erholung vor dem Endtraining und dem Spielbeginn zu finden? Hatte nicht Präsident Rauball höchstselbst vor TV-Publikum über seine schlaflos verbrachte Nacht vor dem Spiel geklagt?

Wenn die Geschäfts-Herren Rauball und Watzke „mit beschränkter Haftung“ ihrem Trainer und seiner Mannschaft nicht mehr zu bieten haben als die “hohle Terroranschlagsrhetorik“ *7) von Spitzenpolitikern, dann sollten sie sich einem anderen Geschäft widmen.

Und „TINA-There Is No Alternative“-Watzke sei gesagt: Hier gibt es eine Alternative! Die Anregung für ein alternatives Geschäftsmodell könnten Rauball und Watzke den Worten des enttäuschten BVB-Trainers Thomas Tuchel entnehmen: „Bierdosen“!

Ja, Bierdosen! Verkaufen Sie das Massenprodukt Dosenbier! Statt Höchstleistungen von Menschen in einer der anspruchsvollsten und härtesten Sportarten unserer Zeit.

*1) http://www.sportschau.de/fussball/championsleague/video-watzke—es-gab-keine-alternative-100.html.

*2) Thomas Klein. FUSSBALL. Auf die BVB-Fans ist Verlass. 12.04.2017; www.dw.com/de/auf-die-bvb-fans-ist-verlass/a-38402053.

*3) TERRORISMUS. De Maizière verteidigt schnelle Neuansetzung des Dortmund-Spiels; www.dw.com/de/de-maizière-verteidigt-schnelle-neuansetzung-des-dortmund-spiels/.

*4) BVB nach Champions-League-Spiel. „Wir wurden wie Tiere behandelt, nicht wie Menschen“. Aus Dortmund berichtet Marcus Bark. 13. April 2017. SpiegelOnline.

*5) BVB-BILANZ. Mit Ausverkauf zum Rekordumsatz, von: Lukas Bay. 19.08.2016; http://www.handelsblatt.com/sport/fussball/bvb-bilanz.

*6) Anschlag auf BVB-Bus. Warum der Sport zum Terrorziel wurde. Vor allem der Fußball war schon öfter Zielscheibe. Seit den Attentaten in Paris 2015 hat sich das trügerische Gefühl der Sicherheit aufgelöst. Es gibt Gründe, warum Sportveranstaltungen im Fokus der Täter stehen. 13.04.2017, von EVI SIMEONI UND JAN EHRHARDT; faz.net.

*7) Borussia Dortmund. Es muss wohl erst einer sterben. Wegen kalter Geschäftslogik grauer Uefa-Herren musste der BVB wieder spielen. Einen Tag nach dem Mordanschlag. Auch deutsche Politiker reden in hohler Anschlagsrhetorik. Ein Kommentar von Oliver Fritsch. 13. April 2017; http://www.zeit.de/sport/2017-04/uefa-borussia-dortmund-anschlag-champions-league-spiel-ersatztermin-kritik?