Die Qualität politischer Führung …
kann durch die Partei (z. B. die SPD) ermöglicht und durch den Bundeskanzler verwirklicht werden. Wir wählen die Parteien. Deren gewählte Mitglieder des Bundestages (MdBs) entscheiden, wer der nächste Bundeskanzler wird.
Bundeskanzler Scholz hatte den FDP-Vorsitzenden Lindner aus dem Amt des Finanzministers entlassen und damit das Ende der Ampel-Koalition (SPD, Grüne, FDP) herbeigeführt. Als Scholz danach im Berliner Willy-Brandt-Haus erschien, brandete ihm Jubelgeschrei seiner Parteifreunde entgegen. Denn, so hörte man im TV der ARD: Für viele Genossen sei die Koalition mit der FDP eine große Last gewesen.
Zumindest vielen SPD-MdBs durfte das Jubeln inzwischen vergangen sein.
Denn die derzeitigen Umfragen (SPD bei 16 %; CDU/CSU bei 33 %) deuten auf zahlreiche Mandatsverluste unter den SPD-MdBs. Kein Wunder, dass hochrangige SPD-Politiker plötzlich viel Zuspruch für den beliebten Minister der Verteidigung, Boris Pistorius, als Kanzlerkandidat der SPD entdecken.
Zum Beispiel Dirk Wiese (Stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender) und Wiebke Esdar, beide Vorsitzende der mächtigen NRW-Landesgruppe im Bundestag, zugleich Sprecher des eher konservativen Seeheimer Kreises (Wiese) bzw. der Parlamentarischen Linken (Esdar).
Wie immer die Wählerschaft die Leistungsbilanz des Bundeskanzlers Scholz beurteilt, hier ist nicht der Raum für Äußerungen des Unmuts.
Schlimm genug, dass die SPD-Führung die Kontroverse “Scholz oder Pistorius“ als Kandidaten für das Bundeskanzleramt nicht verhindern konnte (oder wollte?). Nun sind alle führenden Sozialdemokraten im Urteil vieler Politikbeobachter beschädigt.
Eine Regierungspartei, die sich bei sehr kurzfristiger Neuwahl nicht klar und sofort für ihren noch immer amtierenden Bundeskanzler entscheidet, kann in der Wählerschaft nur schwer die Zustimmung für eine Parlamentsmehrheit erringen.
Der in der SPD wegen seiner Freundschaft mit Putin umstrittene ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Recht: Es wäre absurd, würde die SPD jetzt den Kanzlerkandidaten wechseln.
Ein amtierender, wahlkämpfender Bundeskanzler Scholz, der dieses Amt behalten will, und ein ebenfalls wahlkämpfender Minister der Verteidigung, Pistorius, der zugleich mit Scholz um das vielleicht erreichbare neue Amt des Regierungschefs im Bund konkurriert — das ist eine bizarre Vorstellung.
Die Wählerschaft würde auf ein derartiges politisches Angebot bei konfliktivem Rollenverständnis der beiden SPD-Hauptakteure mit Zurückhaltung reagieren.
Jetzt rächt sich, dass Scholz 2019 mit seiner Bewerbung um den SPD-Parteivorsitz gescheitert war — trotz meiner Stimme für ihn und Frau Geywitz :-). Dies hat ihn auch im Amt des Bundeskanzlers von der SPD-Spitze abhängig gemacht.
Schon unser erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer (CDU), wusste: „Der Kanzler muss die Partei führen, nicht umgekehrt.“ *1)
*1) Adenauer für alle Lebenslagen. Eine deutsche Fibel. Gesammelt und erzählt von Hermann Otto Bolesch. München und Esslingen. Bechtle-Verlag. 1968. Seite 46.
Nachtrag: Boris Pistorius reagierte noch am Abend des 21.11.2024 auf das hilflose Gerede des SPD-Vorsitzenden Klingbeil, er wolle bis zur Entscheidung am kommenden Montag „in die Partei hineinhorchen“. Pistorius erklärte aus eigenem Entschluss, er stehe für eine Kanzlerkandidatur nicht zur Verfügung, er habe sich dafür nicht ins Gespräch gebracht. Pistorius forderte die SPD-Mitglieder auf: „Kämpfen wir gemeinsam und geschlossen für eine zweite Amtszeit für den sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz.“