Die Steilküste von Omaha Beach.

Vor 70 Jahren, am D-Day des 6. Juni 1944, fiel die Entscheidung in der Normandie.

An ihren Küsten – so Präsident Barack Obama – „the tide was turned“. *1) Das Blatt hatte sich gewendet, gegen das Naziregime, für die Befreiung Europas.

Einen gut 10 km breiten, leicht landeinwärts gebogenen Küstenabschnitt, genannt Omaha Beach, sollten amerikanische Soldaten einnehmen.

Ein Foto zeigt die Präsidenten Hollande und Obama, wie sie am sonnigen Gedenktag 2014 von der Höhe der Steilküste auf Omaha Beach schauen: „Ein schöner Strand, ruhig, friedlich, aber am 6. Juni 1944 ein grauenvolles Schlachtfeld“. *2)

Der Präsident der Vereinigten Staaten ist gekommen, um zu erinnern, warum Amerika und seine Verbündeten schwerste Opfer gebracht haben: „Für das Überleben der Freiheit in der Zeit ihrer größten Gefahr.“ *1)

Beide Staatsmänner, Barack Obama und François Hollande, bezeugen am 70. Gedenktag des D-Day, mit welchem Inferno die Befreiung Europas begann.

Bei Colleville-sur-Mer über der Steilküste von Omaha Beach ruhen 9387 amerikanische Soldaten. Präsident Obama nannte in seiner Rede zum D-Day ihre genaue Zahl.

Auch Präsident François Hollande erinnert an die amerikanischen Soldaten, die in der Normandie ihr Leben verloren: „20839, denn ich will nicht einen einzigen vergessen.“ Den amerikanischen Gästen zugewandt: „Sie waren eure Eltern, eure Brüder, eure Freunde. Sie waren unsere Befreier. Frankreich wird niemals vergessen, was es diesen Soldaten schuldet … Sie sind gefallen, damit wir frei sind.“ Frankreich werde nie vergessen, was es den Vereinigten Staaten schuldet. Die Dankesschuld begründe „Verbundenheit für ein gemeinsames Ideal, die Freiheit.“ *2)

Präsident Obama beschreibt, „was den Jungen aus Amerika geschah, als sie Omaha Beach erreichten.“ *1) Im Morgengrauen war das Meer blutgetränkt, in Minuten wurden ganze Kompanien ausgelöscht. „Hell`s Beach“ hatte seinen Namen gefunden.

Die Geschichte lehre immer wieder, so Präsident François Hollande, dass nichts so abläuft, wie es geplant ist, und „an diesem Morgen hatte alles schlecht begonnen.“ *2)

Zu viele Bomben hatten ihre Ziele verfehlt, waren hinter den deutschen Stellungen auf der Steilküste über Omaha Beach niedergegangen. Die ersten Angriffswellen fielen im Feuer von Mörsern, Kanonen, Maschinengewehren. Und die Überlebenden lagen unbeweglich „in den Sand gekrallt, zwischen Toten und Verwundeten, im tödlichen Kugelhagel, umspült vom blutigen Meer.“ *2)

Beide Präsidenten zitieren den Kommandeur der amerikanischen Landungstruppen, General Omar Bradley.

Bradley habe erwartet, dass gegen 8.30 Uhr die amerikanischen Truppen anderthalb Kilometer landeinwärts ständen. Stattdessen „hielten wir sechs Stunden nach den Landungen nur 9 Meter Strand“. *1)

Und General Omar Bradley hielt für die Nachwelt fest, was seine Soldaten erlitten: „Jeder Mann, der am 6. Juni 1944 seinen Fuß auf Omaha Beach setzte, war ein Held.“ *2)

30 bis 50 Meter hohe Steilhänge bestimmen die Küstenlinie von Omaha Beach. *3) Trotz schwerster Verluste an Menschenleben, an Material und Ausrüstung, trotz des Durcheinanders erkämpften die Soldaten schließlich ihren Weg über den flachen Strand hinauf in die Steilküste. Der entscheidende Faktor für den Sieg über die deutschen Widerstandsnester war soldatische Führungskraft *3).

Bewegende Beispiele von Tapferkeit werden überliefert und machen anschaulich, was General Bradley über die Helden von Omaha Beach sagte.*3).

Ein Leutnant und ein verwundeter Feldwebel standen unter feindlichem Feuer auf, um die Verhaue aus Stacheldraht am Steilhang zu untersuchen. Der Leutnant kam zurück, beugte sich über junge Pionier-Soldaten, die in der Deckung einiger Planken lagen: „Wollt ihr hier liegen bleiben und sterben oder aufstehen und etwas dagegen tun?“ In ihrer Panik rührten sich die Pioniere nicht. Daher nahmen der Leutnant und der verwundete Feldwebel ihnen den Sprengstoff ab und jagten die Drahtverhaue in die Luft.

Präsident Obama sprach im Sinne General Bradleys über die Helden von Omaha Beach: „Wann immer die Welt dich zynisch macht, halte inne und denke an diese Männer.“ *1)

Barack Obama grüßte drei anwesende Veteranen der Schlacht am D-Day 1944.

Wilson Cowell. Wilson wollte Pilot werden, durfte aber nicht, weil ihm der Schulabschluss fehlte. Daher ging er zu den Fallschirmjägern und bekam sein Flugzeug. Für den Absprung, am D-Day, mit 16 Jahren.

Harry Kulkowitz. Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland. Er fälschte sein Alter, um mit seinen Freunden in der Normandie zu kämpfen. Am 70. Gedenktag sollte ihm jeder Wunsch für das Mittagessen erfüllt werden. Harry sagte nur: „Ein Hamburger wäre mir am liebsten.“

Rock Merritt. Er sah ein Plakat, das fragte, ob er Manns genug sei, um Fallschirmjäger zu werden. Rock unterschrieb auf der Stelle. Er kämpfte mit dem 508. Regiment am Omaha Beach, wo seine Einheit schwerste Verluste erlitt. Noch heute arbeitet der 91-Jährige mit jungen amerikanischen Soldaten.

Hier soll auch an Soldaten erinnert werden, die sich als Feinde am Omaha Beach gegenüberstanden. *4)

Heinrich Severloh erhielt am 6. Juni 1944 in seinem MG-Schützenloch über Omaha Beach den Befehl, „mit allen Mitteln die landenden Amerikaner abzuwehren.“ Der damals 20-jährige Bauernsohn aus der Lüneburger Heide hatte bereits an der Ostfront gekämpft. Bis zum Nachmittag des D-Day soll Heinrich Severloh mehr als zweitausend Amerikaner getötet oder verwundet haben. Amerikanische Soldaten, die Severloh gefangen nahmen, gaben ihm den Namen „the Beast of Omaha Beach“.

Heinrich kämpfte so verbissen bis zum Schluss, weil er Kameraden und seinen verehrten 32-jährigen Oberleutnant, den Lehrer Bernhard Frerking, nicht im Stich lassen wollte. „Schnell, Hein, wir müssen los, sie kommen“, hatte Frerking ihm kurz nach Mitternacht gesagt.

Als Frerking am Nachmittag in aussichtsloser Lage den Rückzug befiehlt, sieht Heinrich Severloh ihn zum letzten Mal. Oberleutnant Frerking fiel, als er den Rückzug seiner Soldaten deckte. Heinrich besuchte immer wieder sein schlichtes Soldatengrab in La Cambe, Normandie. *4b)

Ein wohl von Severlohs Beschuss schwer verletzter US-Soldat war der 19-jährige David Silva (1925 – 2010). Heinrich Severloh fand David Silvas Geschichte am Omaha Beach in dem Buch „Der längste Tag“, das Cornelius Ryan 1959 über die Invasion in der Normandie veröffentlicht hatte.

Severloh ging dem Hinweis nach und traf sich mit David Silva, der während der 1960er Jahre als Militärpfarrer in Karlsruhe bei der US-Army diente. Heinrich Severloh und David Silva wurden enge Freunde.

Ihr letztes Treffen arrangiert DER SPIEGEL – am D-Day 2005, am Omaha Beach. Mit dieser noblen Geste bezeugt der SPIEGEL eine bleibende Hoffnung: Dass aus „ehemaligen Todfeinden Freunde“ werden können. „Hein hat mich nie um Vergebung gebeten, aber ich habe ihm verziehen“, sagt David Silva über den Freund, „das ist wichtig für ihn.“ *4c)

Auch Präsident Obama betont am 6. Juni 2014 auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof von Colleville-sur-Mer diese Hoffnung: „Als der Krieg gewonnen wurde, haben wir keine Siegesbeute gefordert. Wir halfen, Europa wieder aufzubauen. Wir wollten kein Land – außer der Erde, wo wir jene Soldaten bestatteten, die ihr Leben für unsere Fahne ließen. Aber Amerikas Anspruch und Verpflichtung ist die Freiheit, ist die Gleichheit, ist die Würde aller Menschen. Und dieser Anspruch wurde an diesen Stränden mit Blut besiegelt. Für alle Ewigkeit.“ *1)

„Uns ist nur wenig Zeit auf dieser Erde gegeben,“ schließt Präsident Obama seine große Gedenkrede. „Und sehr wenige von uns haben noch Eltern oder Großeltern, die uns erzählen könnten, was die Soldaten des D-Day hier vor 70 Jahren geleistet haben. Für diese Soldaten müssen deshalb wir ihre Geschichte erzählen.“ *1)

*1) June 06, 2014. Remarks by President Obama at the 70th Anniversary of D-Day — Omaha Beach, Normandy. Normandy American Cemetery and Memorial Omaha Beach, Normandy, France. (Übertragung, RS).

*2) Le discours du Président de la République. Cérémonie franco-américaine à Colleville-Sur-Mer # DDay70. Publié le 06 Juin 2014. (Übertragung, RS).

*3) http://www.history.army.mil/books/wwii/100-11/ch2.htm#Terrain. S. auch „Omaha Beach“, Wikipedia.

*4a) Wikipedia, Heinrich Severloh (1924 – 2006). *4b) Die Bestie von Omaha Beach. Von Klaus Brinkbäumer, www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-39863549.html, 30.03.2005. *4c) D-Day. Wie aus zwei ehemaligen Todfeinden Freunde wurden. www.spiegel.de/sptv/special/a-302244.html. Juni 2005.