EU: Traum und Analyse.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vor dem Europäischen Parlament in einer bewegenden Rede „meine eigene Geschichte von Europa erzählt“; denn „für die allermeisten Menschen in Deutschland ist Europa eine Herzenssache“. *1)

Deshalb sagt unser Bundespräsident zur erklärten Absicht Großbritanniens, die Europäische Union (EU) zu verlassen (Brexit): „Ich finde das bitter — nicht nur als Politiker, sondern zuallererst als Bürger Europas.“ Bundespräsident Steinmeier werde „Partei ergreifen für Europa“ und beschwor mehrfach den „europäischen Traum“. *1)

Unser Staatsoberhaupt bewertete die Brexit-Entscheidung in seiner Rede als „naiv“, „unverantwortlich“ und „falsch“. Mit dem Zurück „hinter die vertrauten Butzenscheiben der Nation“ werde keine „Souveränität“ gegenüber globalen „Gefahren wie Terrorismus oder Klimawandel“ gewonnen und auch nicht, um „seine wirtschaftlichen Interessen besser durch(zu)setzen“. Steinmeier zitierte den großen britischen Konservativen und Pro-Europäer, den ehemaligen Stellvertretenden Premierminister Michael Heseltine mit dessen Urteil, „der Brexit sei ´der größte britische Souveränitätsverlust`“. *1)

Hier ist nicht die britische Auseinandersetzung des Pro („Bremain“) und Contra („Brexit“) für die Mitgliedschaft in der EU zu wiederholen.

Eine Zukunft der EU jenseits des derzeitigen Verbundes von Mitgliedsstaaten könnte nach dem Brexit für die EU-Bürger sogar klarer definiert werden. Bundespräsident Steinmeier deutete die Richtung dieser Zukunft an: „Wir wollen mehr Europa!“

Gegenüber dem Ziel des „Vertrages über die Europäische Union“ — „der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas“ *2) — zieht Bundespräsident Steinmeier als Konsequenz aus der Brexit-Krise: „Die Krise … zwingt uns zur Antwort auf die Frage: Welche und wie viel europäische Einheit wollen wir? Das Weißbuch der Kommission hat unsere Optionen aufgezeigt. Das ist noch nicht die Lösung, nur eines ist klar: Eine dauerhafte Selbstblockade in der Europäischen Union ist die denkbar schlechteste!“ *1)

So gesehen ist der Brexit eine neue Chance für die EU: Mit Großbritannien wird der mächtigste Bremser auf dem Weg „zu einer immer engeren Union der Völker Europas“ die EU verlassen.

Dem Freund Großbritanniens und der Europäischen Union fällt zu Steinmeiers Rede im Europäischen Parlament auf: Sein Urteil zum Brexit — „naiv“, „unverantwortlich“ und „falsch“ — ist vielleicht zu „bitter“, zu sehr vom „europäischen Traum“ bestimmt. *1)

Eine Analyse der Brexit-Politik, die zum tieferen Verständnis britischer Motive und auch der Risiken dieser Entscheidung beiträgt, hat in eindrucksvoller Prägnanz der Staatspräsident der Französischen Republik, François Hollande, geleistet. „Das Problem des Vereinigten Königreichs ist dies: Es dachte, es könne per EU-Austritt eine strategische Partnerschaft mit den USA eingehen. Aber nun zeigt sich, dass Amerika sich dem Rest der Welt verschließt. Das Vereinigte Königreich hat die falsche Wahl getroffen, zum falschen Zeitpunkt. Ich bedauere das.“ *3)

Das Urteil des Staatspräsidenten Hollande zeigt, dass Großbritanniens Brexit-Ziel einer strategischen Partnerschaft mit den USA nicht dem Zurück „hinter die vertrauten Butzenscheiben der Nation“ (Steinmeier) entspricht. Das (noch) Vereinigte Königreich mag eine von der EU unabhängige internationale Rolle an der Seite der USA anstreben. Da könnten die Brexit-Strategen den „Sog Europas“ (Steinmeier *1)) als hinderlich beurteilt haben.

Neben dem „europäischen Traum“ wird gerade auch im Kontext der kommenden Brexit-Verhandlungen die europapolitische Analyse immer wichtiger.

Staatspräsident François Hollande hat mit seiner Analyse und Empfehlung für „die Idee eines differenzierten Europa, eines Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten“ richtungweisende Maßstäbe und Vorgaben formuliert.*3)

*1) Bundespräsident. Besuch des Europäischen Parlaments. Straßburg/Frankreich, 4. April 2017; http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2017/04/170404-Strassburg.html.

*2) Vertrag über die Europäische Union (konsolidierte Fassung), PRÄAMBEL und TITEL I. GEMEINSAME BESTIMMUNGEN. Artikel 1; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?

*3) Süddeutsche.de. Politik. 6. März 2017. Interview mit François Hollande. „Sonst explodiert Europa“. Interview von Christian Wernicke.

Staatspräsident François Hollandes bedeutende Analyse habe ich zusammenfassend im Blog „Weckruf für Europa“, 08. März 2017, referiert.