Finanzielle Rat-Schläge.

Eine geschätzte Kommilitonin, 70 Jahre jung, hat 50 Tsd. Euro geerbt. Gestern war sie in Hamburg bei ihrem Bankberater und grübelt noch immer über dessen Ratschläge.

Als sie beim Berater Platz nahm, wollte sie sichere Bundeswertpapiere erwerben. Als sie die Bank kurz darauf verließ — ohne Entscheidung, deshalb kühl verabschiedet — nahm sie die Empfehlung mit, in Aktienfonds der Bank zu investieren.

Zwar unkundig in der Wissenschaft von der „optimalen Anlagestrategie“ — das war Gegenstand der Ratschläge des hochqualifizierten Bankberaters — half ich telefonisch, das beunruhigende Erlebnis aufzuarbeiten. Und anschließend in diesem Blogbeitrag zu erörtern.

Denn der geschätzten Kommilitonin, 70 Jahre jung, schwirrte der Kopf zu sehr! Wie kam es dazu?

Kaum hatte unsere Bankkundin den Wunsch nach sicheren Bundeswertpapieren geäußert, nahm der hoch qualifizierte Berater seine professionelle Verantwortung für intelligente Finanzentscheidungen wahr.

Auf dem Bildschirm seines Rechners erschien aus 2 m Entfernung sichtbar die Zahl 118, der Kurswert eines angesprochenen Bundeswertpapiers (dies war wohl ein Langfrist-Titel aus vergangenen Zeiten mit noch ca. 6 % Zins). Rund 20 % Kosten für Null-Rendite? Vor dem entsetzten Blick der Kundin wich das Bild und 101,187 erschien — das Gleiche in Grün, hieß es, für Nullzinsen auch noch draufzahlen! So etwas könne man nicht empfehlen …

Was dann der Bankkundin blühte, war eine eindrucksvolle finanzielle Fachberatung, professionell “Impulse für intelligente Finanzentscheidungen“ genannt: Aktienfonds, starkes Wachstumsumfeld, beste Unternehmensgewinne, der intelligente Algorithmus des Fondsmanagements, Sicherheit, Effizienz, Nachhaltigkeit und Rendite — deshalb: keine Angst vor fallenden Kursen.

Tief beeindruckt von solcher Eloquenz bei der Geldanlage suchte ich nach aktuellen Analysen zu den wirtschaftlichen Aussichten, vor allem an den Aktienbörsen.

Die bieten sich an:

  • Professor Thomas Mayer: „Stützten in den vergangenen Jahren vor allem die Vereinigten Staaten und China das globale Wachstum, so treibt nun die Eurozone dieses voran. Gegen Ende 2017 erreichte der Einkaufsmanagerindex, der die wirtschaftliche Aktivität misst, einen historischen Höchststand. Innerhalb der Eurozone nimmt die deutsche Wirtschaft einen Spitzenplatz ein.“ *1)
  • Die seit Anfang „2009 anhebende Börsenhausse“ (d.h. stark steigende Aktienkurse, von Beratern auch Börsenboom oder Bullenmarkt genannt, RS) wird von Dr. Christoph Bruns aus Chicago erklärt: „Befeuert von der stark wachsenden Technologiebranche und der Ubiquität von Mobiltelefonen legen viele Unternehmen seit Jahren sehr erfreuliche Gewinnentwicklungen an den Tag. Zum wirtschaftlichen Stabilitätsanker mutierte China, das seit Jahren ehrgeizige konjunkturelle Wachstumszahlen erwirtschaftet.“ *2)

Fast wäre ich soweit gewesen, dem Bankberater der geschätzten Kommilitonin Recht zu geben. Wenn mich nicht der Hinweis des Dr. Bruns auf den „wirtschaftlichen Stabilitätsanker China“ beunruhigt hätte.

Hatte nicht der Träger des Nobelpreises für Ökonomie, Professor Reinhard Selten, schon 2011 vor dem „wirtschaftlichen Stabilitätsanker China“ gewarnt?

Vor den „hohen Preise(n) für Grundstücke und Häuser in China. Dort gibt es viele Menschen, die Appartements nur als Wertanlage kaufen und nicht, um darin zu wohnen oder sie zu vermieten. Das kann nicht gut gehen. Chinas Markt ist total überhitzt. Ich bin der Meinung, dass er bald zusammenbrechen wird. Es lässt sich nicht voraussagen, wann das passiert, möglicherweise noch in diesem Jahr, vielleicht auch später.“ *3) Professor Selten sähe diese Entwicklung, die der in den USA 2007 ähnelte, schon seit langem kommen.

Steuert die Wirtschaft gar auf einem „Titanic-Kurs“, gefährdet durch den „Eisberg China“?

Dazu urteilte Anfang 2016 der Vorstandsvorsitzende des weltweit herausragenden Investors und Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink: China stelle das größte Risiko für die Finanzmärkte dar. Hinsichtlich der vielfach behaupteten Kreditblase bei Staatsunternehmen und nicht tragfähiger Verschuldung des Privatsektors sei Finks Einschätzung zwar optimistischer. Aber er könne auch falsch liegen. „Denn Krisen tauchen nicht auf, wenn wir die Gefahren kennen. Es ist wie bei einem Eisberg. Gefährlich ist, was unter der Wasserlinie liegt und nicht zu erkennen ist — wie das bei China der Fall ist.“ *4)

Die Sorgen vor Risiken an den Finanzmärkten werden für jene Anleger nicht geringer, die dem Urteil des bekannten Börsenmaklers und Autors Dirk Müller folgen, der als „Mister DAX“ bedeutendes Ansehen genießt. Auf die Frage, was einen Börsencrash auslösen könne, antwortete er kürzlich: „Lassen wir mal die geopolitischen Risiken außen vor. Für mich ist China das größte Risiko. Wir haben dort die größte Blase der Weltwirtschaftsgeschichte.“ *5)

Und Müller entwickelt ein beängstigendes Szenario: „Dazu ein Beispiel: Das Wachstum in China fällt auf fünf Prozent, und die Zinsen in den USA steigen auf vier oder fünf Prozent. Wer investiert dann noch in China bei den Risiken? Dann werden die Investoren ihr Geld vielmehr aus China abziehen und ihre Kredite in den USA zurückzahlen. Und genau das passiert im Moment schon … Rekorde am Aktienmarkt, aber auch Rekordschulden. Wenn also die China-Blase platzt, dann haben wir einen Crash, der mehr an 1929 erinnern würde als an 2008.“ *5)

Sind in Deutschland nicht auch bereits „Preis-Blasen“ — aufgeblähte Aktienkurse und Immobilienpreise — zu beobachten? Als Folge der seit Jahren währenden starken Geldvermehrung durch die Käufe von Staatsanleihen seitens der Europäischen Zentralbank (EZB)? *6)

Die Exportnation Deutschland ist auf ein stetiges Wachstum der Weltwirtschaft angewiesen. Und die Weltwirtschaft wie auch der deutsche Export werden vor allem durch die US-Wirtschaft bestimmt. Das hat die von den USA ausgehende, auf die Weltwirtschaft und gerade auch auf Deutschland übergreifende Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 gezeigt. Ein wettbewerbsfähiges Land wie Deutschland, das stark im Export von Produktions- und Investitionsgütern ist, wird von solchen Rückschlägen besonders hart getroffen. Weil in Wirtschaftskrisen der Absatz sinkt, ungewollte Lagerbestände wachsen, und die Produktion sowie erst recht die Investitionen dann zurückgefahren werden.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2018 warnten Wirtschaftsexperten vor einer neuen Finanzkrise durch Überschuldung, vor „Systemzusammenbruch und riesige(n) Gefahren für die Weltwirtschaft … Der US-Ökonom Kenneth Rogoff verwies darauf, dass die Aktienkurse vor allem durch die niedrigen Zinsen auf Rekordstände getrieben worden seien … ´Wir wissen nicht, was passiert, wenn die Zinsen steigen.`“ *7)

Was bleibt in unserer Situation des konjunkturellen Überschwangs bei bedrohlichen Risiken und Warnungen angesehener Finanzexperten? Sicher das Sprichwort: Guter Rat ist teuer!

Deshalb innehalten und nachdenken über die Gratis-Ratschläge der Bankberater, denn die werden bezahlt, um das Geld der Kunden einzuwerben!

Ausgangspunkt des Innehaltens mag der Eindruck sein, dass Bankkunden die Anlage in Aktien umso seltener empfohlen wird, je niedriger das Kursniveau (z.B. während oder nach einer Krise) und desto günstiger damit der Kaufeinstieg ist. Und umso eindringlicher scheint Bankkunden die Anlage in Aktien geraten zu werden, je höher bereits die Kurse der Aktien sind. Desto teurer und kurzfristig riskanter ist dann der Einstieg, während der Verkauf (aus Bankbeständen?) umso lohnender wird.

Daher sollte das Innehalten und Nachdenken über aktuelle Empfehlungen von Bankberatern zu den Grundsätzen einer langfristigen finanziellen Strategie führen.

Dankenswert haben sich große Ökonomen genau zu diesen Grundsätzen finanzieller Strategie geäußert.

Die Ökonomen Paul A. Samuelson (Träger des Wirtschaftsnobelpreises) und William Nordhaus vermitteln uns bleibende „Lehren aus den vielen Studien über das Verhalten von Finanzmärkten und von Finanzberatern“: *8)

  • Skepsis bewahren gegenüber Rezepten für schnellen Erfolg — vor allem dann, wenn Optimismus-Gefühle allein auf der Basis von Intuition adressiert werden.
  • Den besten Köpfen der Wall Street (New Yorker Straße mit der weltweit größten Wertpapierbörse) gelinge es kaum, die Kursentwicklung der Durchschnitt-Indizes (z.B. Dow Jones) in der Aktienauswahl ihrer Fonds zu übertreffen. Obwohl sie enorme Forschungsmittel einsetzen, sei dies nicht überraschend. Da sie alle miteinander im schärfsten Wettbewerb stehen, gleichen sich ihre Prognosen und Entscheidungen etwa der tatsächlichen Kursbewegung an.
  • Ratsam sei, eine gute Jahres-Rendite (d.h. oberhalb der Inflationsrate) bei möglichst geringem Risiko anzustreben. Durch einen Anlage-Mix von Aktien (breit gefächerte Index-Fonds mit Aktien z.B. auf Basis Dow Jones, DAX etc., die mit geringen Verwaltungsgebühren belastet sind) sowie Obligationen und Sparkonten.
  • Wer auf hohe Kursgewinne abziele, müsse auch ein hohes Risiko eingehen. Dies könne gelingen. Wenn es jedoch anders komme, stürzen die riskanteren Anlagen in der Regel am stärksten ab.

Abschließend empfehlen Samuelson und Nordhaus ihren Lesern, sich die Warnung des großen amerikanischen Finanziers Bernard Baruch (1870 – 1965) zu Herzen zu nehmen, wenn sie Wohlstand durch Teilnahme am Aktienmarkt erreichen wollen:

„Auch wenn man alles andere aufgibt, um sich ausschließlich dem intensivsten Studium der Geschichte und der Hintergründe der Marktentwicklung sowie der wichtigsten Unternehmen zu widmen, deren Aktien erworben werden, so reicht dies nicht aus. Außer dieser Anstrengung braucht man die eisernen Nerven des großen Spielers, den sechsten Sinn des Hellsehers und den Mut des Löwen. Wer alles dies auf- und mitbringt, hat vielleicht die Spur einer Chance.“ *8)

*1) MAYERS WELTWIRTSCHAFT. Die Mär von der Stagnation. AKTUALISIERT AM 13.01.2018; faz.net. Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des von Bankberatern gern zitierten Flossbach von Storch Research Institutes.

*2) Marktkommentar. Dr. Christoph Bruns (LOYS AG): Neun Jahre Aktienhausse; 14. März 2018; https://www.assetstandard.com/nachricht/7454/dr-christoph-bruns-loys-ag-neun-jahre-aktienhausse.

*3) INTERVIEW MIT NOBELPREISTRÄGER. Reinhard Selten: „Chinas Markt ist total überhitzt“. Reinhard Selten ist Deutschlands einziger Wirtschaftsnobelpreisträger. Er glaubt, dass der chinesische Immobilienmarkt kurz vor dem Kollaps steht. Warum? Das erklärt der 80-Jährige im BZ-Interview. Mo, 29. August 2011, von: Ronny Gert Bürckholdt.

Siehe auch: WIRTSCHAFT. NOBELPREISTRÄGER.“Die Ökonomie betrachtet zu wenig den Menschen“. Eingeschränkt rationales Verhalten war Schuld an der Krise, sagt der Ökonom Reinhard Selten. Im Interview geht der Nobelpreisträger mit seiner Zunft hart ins Gericht. Von Anja Müller. 04. Oktober 2010; zeit.de.

*4) DTS-Meldung vom 29.01.2016. Blackrock-Chef warnt vor fallenden Aktienkursen. Der Vorstandschef von Blackrock, Larry Fink, sagt weiter fallende Aktienkurse und einen nochmals sinkenden Ölpreis voraus. (Quelle: Handelsblatt-Interview).

(RS Hinweis: Die Warnungen China betreffend (*3) und *4)) wurden in meinem Blog „Konjunktur — Titanic-Kurs?“ vom 01.02.2016 referiert.)

*5) Interview mit „Mr. Dax“. Börsen-Guru Dirk Müller warnt: „Wir erleben die größte Blase aller Zeiten“. Dirk Müller, auch bekannt als Mr. Dax, im großen FOCUS-MONEY-Interview. Mittwoch, 31.01.2018; https://www.focus.de/finanzen/boerse/boersen-guru-dirk-mueller-.

*6) Noch wird über die Existenz von Preisblasen in Deutschland bei Aktien oder Immobilien kontrovers diskutiert. Vergl.: FMW-Redaktion. Daniel Stelter: Die drei gefährlichsten Blasen – und die Wohlstandsillusion in Deutschland: „Investiert woanders“ (Video); 23. Januar 2018; https://finanzmarktwelt.de/daniel-stelter-die-drei-gefaehrlichsten-blasen-und-die-wohlstandsillusion-in-deutschland-investiert-woanders-79181/.

*7) Weltwirtschaftsforum in Davos. Riesiger Schuldenberg in USA: Top-Ökonomen warnen vor neuer schwerer Finanzkrise. Dienstag, 23.01.2018; https://www.focus.de/finanzen/news/konjunktur/weltwirtschaftsforum-in-davos-riesiger-schuldenberg-in-usa-top-oekonomen-warnen-vor-neuer-schwerer-finanzkrise_id.

*8) Economics, 15th Edition, Paul A. Samuelson, William D. Nordhaus, International Edition, 1995, Abschnitt „Financial Strategies“, S. 501 f. (O. a. freie, nicht wörtliche Übertragung ins Deutsche RS).