Gabriels politische Rangordnung.

„Verunsicherung“ *1) ist das treffende Wort für den aktuellen Stand der transatlantischen Beziehungen, seit Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde.

Dem wirkte Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung, in einer herausragenden Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) gemeinsam mit US-Secretary of Defense, James N. Mattis, entgegen: Bekenntnis zur atlantischen Sicherheits- und Wertegemeinschaft, also zur NATO und ihrer globalen Partnerschaftspolitik, zur EU-Verteidigungsunion und zum sicherheitspolitischen burden sharing mit den USA. *2)

Nicht ganz so der Bundesminister des Auswärtigen, Sigmar Gabriel. Trotz einer in weiten Teilen glänzenden Rede zu den Herausforderungen der Europäischen Union (EU) als gestaltungsfähiger „weltpolitischer Akteur“ machte er auf der MSC ein merkwürdiges Fass auf. *3)

Für mich … So jedenfalls habe ich das Primat der Politik immer verstanden: Außenpolitik muss der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorangehen und nicht umgekehrt.“ *3)

Der „Neudiplomat“ Gabriel *4), wie die FAZ Gabriel etwas süffisant tituliert, mag nicht wenige für die EU-Ziele engagierten Bürger durch den Eindruck irritiert haben, dass er den Rang der Außenpolitik über den der Sicherheits- und Verteidigungspolitik stuft.

Dies „verunsichert“ uns EU-Bürger deshalb, weil in der EU die Außen- und die Sicherheitspolitik als Politikfelder weder getrennt, schon gar nicht hierarchisch, sondern ausdrücklich als „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)“ bereits 1993 mit dem Vertrag von Maastricht geschaffen wurden. *5)

Wenn also Sigmar Gabriel aus dringenden Gründen ein „stärkeres Europa“ fordert, verwundert, dass er angesichts der heutigen Bedrohungen in der Nachbarschaft der EU die „Stärkung der EU“ mit Status-Huberei zwischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik beginnt.

Gabriels Absicht: Den von den Bündnispartnern vereinbarten, bis 2024 zu realisierenden 2 %-Anteil der Ausgaben für Verteidigung an der Wirtschaftsleistung im “burden sharing“ der NATO aufzuweichen. In Gabriels Worten: nicht zu „überinterpretieren … nicht in Glückseeligkeit über eine neue Aufrüstungsspirale (zu) verfallen!“ *3) Diesen Beitrag für das MSC-Publikum verstand Gabriel als Aufruf zu „Maß und Mitte“ …

Gabriel hätte sich leicht über den alarmierenden Task-Force-Bericht „More Union in European Defence“ informieren können, den eine von Javier Solana *6) geleitete Expertengruppe über Defizite auf dem Gebiet der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Mitte 2015 vorgelegt und in Berlin in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) vorgestellt hat. *7)

Diesen Experten-Bericht sieht Javier Solana als “Weckruf für eine europäische Verteidigungsunion“! *8)

Wenn die EU-Verteidigungsunion darauf zu warten hat, dass, wie Gabriel fordert, die „Außenpolitik der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorangehen (muss)“, dann überrascht nicht, wie zäh der Fortschritt auf dem EU-Politikfeld der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)“ ist.

Die Bundesministerin der Verteidigung, Frau von der Leyen, hat nicht auf Vorgaben von Außenminister Gabriel gewartet, sondern „gemeinsam mit Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden und anderen Partnern Initiativen ergriffen“ für folgende Ziele: „Die EU muss ihre Missionen besser führen, aus einer Hand zivil-militärisch, sie muss besser gemeinsam planen und sie muss besser gemeinsame Rüstungsprojekte finanzieren. So wird europäische Sicherheit und Verteidigung effizienter und wirkungsvoller. Auch das ist ein Beitrag zum Burden sharing“ mit den USA. *2)

Ein „stärkeres Europa“ (Gabriel) entsteht vor allem durch Fortschritte in der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)“ — bestimmt nicht durch den wohl vom Wahlkampf getriebenen und durch die von Gabriel reklamierten Vorstellungen über den Primat „seiner“ Außenpolitik vor der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Javier Solana hatte beizeiten gewarnt — schon bald werden zwei Jahre vergangen sein: „Die Krisen in unserer eigenen Nachbarschaft sollten genügen, damit unser Weckruf gehört wird.“ *8)

Ist Solanas „Weckruf“ zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU auch an der Spitze des Auswärtigen Amtes gewürdigt worden? Wohl kaum! Was „Sicherheit“ und Bündnissolidarität gegenüber der aggressiven Politik Russlands bedeuten, hatte Außenminister Steinmeier als „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ diffamiert. Wer wollte solchen Primat der Außenpolitik über die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in der EU?

Könnte der Primat der Außenpolitik mit dem „erweiterten Sicherheitsbegriff“ (s. UN *9)) begründet werden? Und damit ein Führungsanspruch des Außenministers Gabriel für alle Politikbereiche, die dieser Begriff der „menschlichen Sicherheit“ umfasst?

Wäre dies so, hätte Sigmar Gabriel das Amt des Bundeskanzlers anstreben müssen und nicht die Leitung des Auswärtigen Dienstes.

*1) Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, hat sich für eine Vertiefung der transatlantischen Kooperation ausgesprochen.

Kempf: Transatlantische Verunsicherung erfordert intensive Kooperation. DTS-Meldung vom 19.02.2017.

*2) Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen
zur Eröffnung der 53. Münchner Sicherheitskonferenz zusammen mit Secretary of Defense of the United States of America James N. Mattis, 17. Februar 2017.

*3) Rede von Außenminister Sigmar Gabriel auf der 53. Münchner Sicherheitskonferenz. 18.02.2017; http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden 2017/170218_Rede_BM_Gabriel_Muesiko.html. (Hervorhebung RS). Anteil der Ausgaben für Verteidigung an der jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) 2015: USA 3.6%; Deutschland 1.2 %; Polen 2.0. %; Großbritannien 2.2 % (welt.de, NATO, 06.07.2016). Deutschland leistet beträchtliche Beiträge zur Konfliktprävention, humanitären Hilfe und Entwicklungspolitik, die im verteidigungs- und friedenspolitischen Vergleich zu berücksichtigen sind.

*4) Sicherheitspolitik. Der Westen in Therapie. Ein seltenes Schauspiel der Unsicherheit: Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sucht die Elite der Außen- und Sicherheitspolitiker nach der Antwort auf eine Frage: Was macht den Westen aus – und hält er noch genug zusammen? 18.02.2017, von MATHIAS MÜLLER VON BLUMENCRON, MÜNCHEN; faz.net.

*5) http://eur-lex.europa.eu/summary/glossary/foreign_security_policy.html. (Hervorhebung RS)

*6) Javier Solana ist der ehemalige Hohe Vertreter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), Generalsekretär der NATO und Außenminister von Spanien.

*7) More Union in European Defence. Centre for European Policy Studies in cooperation with the Friedrich Ebert Stiftung; https://www.ceps.eu/publications/more-union-european-defence.

*8) Solana: Ein Weckruf für eine europäische Verteidigungsunion. Home. EU-Außenpolitik. Interviews. Von: Daniel Tost. EurActiv.de; 21. Juni 2015.

*9) „Threats to human security are varied – political and military, but also social, economic and environmental.“ „Human Security: a Refugee Perspective.“ Keynote Speech by Mrs Sadako Ogata, United Nations High Commissioner for Refugees, at the Ministerial Meeting on Human Security Issues of the „Lysoen Process“ Group of Governments. Bergen, Norway, 19 May 1999.

http://www.unhcr.ch/refworld/unhcr/hcspeech/990519.htm> 08/22/01.

United Nations Deputy Secretary-General Louise Frechette: „What do we mean by human security? We mean, in its most simple expression, all those things that men and women anywhere in the world cherish most: enough food for the family; adequate shelter; good health; schooling for the children; protection from violence whether inflicted by man or by nature; and a State which does not oppress its citizens but rules with their consent.“

Statement by the United Nations Deputy Secretary-General Louise Frechette to a high-level panel discussion on the occasion of the twentieth anniversary of the Vienna International Centre (VIC), October 9, 1999. 08/02/01. (Hervorhebungen RS).