Gestalter und Verwalter.

Im Wesen vieler Amerikaner suchen und schätzen wir den Pionier, den Unternehmer, der die Freiheit nutzt, der andere Freie sucht, um gemeinsam Großes aufzubauen. Und wenn er zu uns kommt, erkennen wir ihn dann?

Ein amerikanischer Staatsmann vom geistigen Format eines Barack Obama tritt zugleich höflich, humorvoll, um Freundschaft werbend auf. Da kann passieren, dass viele Verwalterseelen nicht erfassen, warum der große Präsident auf uns zugeht. Wir merken es am hohlen Gerede „wie ein Popstar“ (bild.de) …

Hier mein Blick auf die Rede Obamas. Take it or leave it. Oder in den Worten von Thomas Paine, einem der intellektuellen Gründerväter der USA: Präsident Obama hat uns eine ernste, vielleicht die letzte Mahnung auf den Weg gegeben. Deutschland und Europa „lead, follow, or get out of the way!“ Damit acht drängende Aufgaben angepackt werden für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in der ganzen Welt.

Die Mahnung Obamas: Gegen die Selbstzufriedenheit.

„Wir sind die Erben eines Kampfes für Freiheit“, rüttelte uns Barack Obama 2008 in Berlin auf! Das heißt, so sagte er uns gestern mit den Worten des Präsidenten John F. Kennedy vom Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus: „Hebt den Blick über die Freiheit nur dieser Stadt Berlin oder Eures Deutschland“ – „lift your eyes … beyond the wall to the day of peace with justice, beyond yourselves to all mankind.“

„Zwei Jahrzehnte nach dem Triumph“, dass „our values won, openness won, tolerance won, and freedom won here in Berlin … we must acknowledge that there can, at times, be a complacency among our western democracies. Today, people often come together in places like this to remember history – not to make it.“

Beschämt müssen wir zugeben, so sind wir selbstzufriedenen, selbstgerechten Erben der Kämpfer für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Wir sind zu sehr der Versuchung erlegen, „to turn inward … to believe that we`ve settled history`s accounts, that we can simply enjoy the fruits won by our forebears.“

Und dann hören wir von Präsident Obama, warum er am 19. Juni 2013 nach Berlin gekommen ist. Um uns zu sagen, dass „Selbstzufriedenheit nicht den Charakter der großen Völker prägt“. Der „Kampf für Freiheit und Sicherheit und menschliche Würde – dieser Kampf geht weiter.“ Und gegenüber den Prüfungen, die uns unsere Zeit auferlegt, fordert er von uns „the same fighting spirit that defined Berlin a half-century ago.“

Für Präsident Kennedys Appell und Vermächtnis von 1963, uns für „peace with justice“ zu engagieren, damit Freiheit überall, für alle Menschen erreichbar wird, hat sich Präsident Obama acht Ziele gesetzt. Und er bittet uns Deutsche „im Herzen Europas“, mit Amerika für diese Ziele zu kämpfen.

Denn: „Our alliance is the foundation of global security. Our trade and our commerce is the engine of our global economy. Our values call upon us to care about the lives of people we will never meet. When Europe and America lead with our hopes instead of our fears, we do things that no other nations can do, no other nations will do. So we have to lift up our eyes today and consider the day of peace with justice that our generation wants for this world.“

Acht Ziele für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.

1. Gegen Intoleranz.
Alle Menschen, gleich welcher Rasse, Religion, Geschlecht, sexuellen Orientierung haben das Recht auf die gleichen Chancen im Leben. Unsere eigene Geschichte habe uns gelehrt: „intolerante breeds injustice … bring those walls of division down.“

2. Unternehmerische Freiheit für alle Menschen
ermögliche, dass Begabungen und Kreativität, die jeder in sich trägt, freigesetzt werden. Dies gelinge nicht in zentral, „top down“-gesteuerten Wirtschaftsordnungen oder dort, wo nur Bodenschätze ausgebeutet werden. Wohlstand erwachse allein aus der „wertvollsten Ressource – unseren Menschen“. Deshalb müsse in Bildung, Wissenschaft und Forschung investiert werden.

3. Gegen die Beleidigung durch wachsende Ungleichheit
haben wir neue Chancen und Brücken zu Arbeit gerade auch für die Jugend zu schaffen. Diese Pflicht sieht Präsident Obama für unsere eigenen Gesellschaften, wenn wir Handel und Investitionen für das transatlantische Wirtschaftswachstum fördern.
Amerika stehe zu den Europäern, wenn sie ihre politische Union vertiefen. Die Vereinigten Staaten wollen mit Europa zusammen arbeiten für das Ziel, „that every person can enjoy the dignity that comes from work – whether they live in Chicago or Cleveland or Belfast or Berlin, in Athens or Madrid, everybody deserves opportunity. We have to have economies that are working for all people, not just those at the very top.“

4. Solidarität mit dem Streben nach Freiheit
sei unsere Verpflichtung gegenüber allen Menschen, wo auch immer sie leben und für ihre Freiheit kämpfen. „We must reject the lie that those who live in distant places don’t yearn for freedom and self-determination just like we do … We cannot dictate the pace of change in places like the Arab world, but we must reject the excuse that we can do nothing to support it.“
Die Werte, an die wir glauben, verpflichten uns: den Afghanen zu helfen, wenn sie ihre Zukunft in eigener Verantwortung bauen, für israelisch-palästinensischen Frieden zu arbeiten oder uns in Burma zu engagieren – für tapfere Menschen nach Jahrzehnten der Diktatur. „In this century, these are the citizens who long to join the free world. They are who you were. They deserve our support, for they too, in their own way, are citizens of Berlin. And we have to help them every day.“

5. Sicherheit ohne Nuklearwaffen
sollten wir für unsere Welt anstreben „no matter how distant that dream may be.“ Als Präsident der USA habe Barack Obama die Bemühungen verstärkt, die Ausbreitung nuklearer Waffen zu beenden, die Zahl und die Rolle der amerikanischen Nuklearwaffen eingeschränkt. Durch den „New START“-Vertrag sei der Weg geebnet, amerikanische und russische Nuklearwaffen bei den Militärführungen auf den niedrigsten Stand seit den 1950er Jahren zu bringen.
In Absprache mit den Bündnispartnern in der NATO „I intend to seek negotiated cuts with Russia to move beyond Cold War nuclear postures.“

6. Dem Klimawandel entgegenwirken
sei die Verpflichtung unserer Generation und bedeute „refusing to condemn our children to a harsher, less hospitable planet.“ Deutschland und Europa hätten auf diesem Weg Führungskraft bewiesen. Die USA seien dem Beispiel gefolgt und Obama wisse, dass noch mehr zu tun sei.
Der Klimawandel sei die globale Bedrohung unserer Zeit: Stürme, Hungersnöte, Überflutungen, Ströme von Flüchtlingen, durch ansteigenden Meeresspiegel verschwundene Küsten. „And for the sake of future generations, our generation must move toward a global compact to confront a changing climate before it is too late. That is our job.“

7. Überwindung extremer Armut in der Welt
sei nicht nur unsere moralische Pflicht, sondern auch unser eigenes vitales Interesse. Denn das Schicksal der reichen Länder sei mit dem der armen untrennbar verbunden: „when they succeed, we will be more successful as well.“
Obama nennt die Instrumente, um die Verelendung zu bekämpfen: Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, damit einem „heute geborenen Kind ein Leben in extremer Armut erspart bleibt.“ Investitionen in die Landwirtschaft und die Ausbildung für Bauern, die Nahrungsmittel anbauen. Öffentliche Gesundheitsdienste stärken. Nicht nur Medikamente senden, sondern auch Ärzte und Krankenschwestern ausbilden, damit Kinder nicht an Krankheiten sterben, denen vorgebeugt werden kann. Das Versprechen umsetzen, die erste von AIDS befreite Generation zu schaffen. Aufbau von Institutionen, um die Verkommenheit der Korruption zu beenden. Im Westen und überall in der Welt, die Fähigkeit fördern, „to create ties of trade, not just aid“.

8. Offenheit und Sicherheit unserer Gesellschaften bewahren.
Bedrohungen unserer Freiheit, warnt Präsident Obama, kommen nicht nur von außen. Sie können in unseren eigenen Gesellschaften entstehen, wenn Menschen sich abgrenzen oder ausgegrenzt werden.
Seit über einem Jahrzehnt befinde sich Amerika im Krieg. Seit seiner Rede 2008 sei einiges erreicht worden: Irakkrieg – beendet; der Krieg in Afghanistan gehe zu Ende; Osama bin Laden ist nicht mehr; Erfolge gegen Al Kaida zeichnen sich ab.
Barack Obama zitiert einen der amerikanischen Gründungsväter, James Madison: „No nation could preserve its freedom in the midst of continual warfare.“
Selbst wenn wir gegenüber dem Terrorismus wachsam bleiben müssen, stelle sich uns die Aufgabe, die Geisteshaltung ständiger Kriegführung zu überwinden.
Dies bedeute für die Vereinigten Staaten: Das Bemühen verdoppeln, Guantanamo zu schließen. Den Einsatz neuer Technologien wie Drohnen scharf zu kontrollieren. Die Maßnahmen für die Sicherheit unserer Bürger mit dem Schutz ihrer Privatsphäre zu verbinden.
Präsident Obama betont, er sei sicher, dass im amerikanischen Rechtsstaat der Ausgleich von Sicherheit, Freiheit und Menschlichkeit gelinge.
Die laufenden Programme richteten sich gegen reale Gefahren und dienten der Sicherheit der Menschen in den USA und hier in Europa.
Und der Demokrat Barack Obama akzeptiert die Herausforderung einer jeden demokratischen Regierung: „to listen to the voices who disagree with us; to have an open debate about how we use our powers and how we must constrain them; and to always remember that government exists to serve the power of the individual, and not the other way around. That’s what makes us who we are, and that’s what makes us different from those on the other side of the wall.“

Diese acht Arbeitsziele der Präsidentschaft Obamas verkörpern „the beliefs that guide us, the values that inspire us, the principles that bind us together as free peoples who still believe the words of Dr. Martin Luther King Jr. – that ´injustice anywhere is a threat to justice everywhere`.“

Die Rede des Präsidenten Barack Obama am Brandenburger Tor am 19. Juni 2013 ist für mich eine der großen und nachhaltig wirkenden Reden zu den Herausforderungen unserer Zeit.

Deshalb schäme ich mich als transatlantisch denkender Bürger für den Presse-Kommentar „Flache Rede. Rückwärtsgewandte Nostalgie. Das deutsche Publikum reagierte seinerseits verhalten. Man spürt: Das transatlantische Band ist schwächer geworden.“ *1)

Ähnlich empfand ich den Auftritt des ZDF-Chefredakteurs Peter Frey, der den ausgewiesenen Amerika-Kenner Claus Kleber beiseite schob, um uns mit seiner Sicht auf die Rede Obamas zu beleidigen: Frau Merkel sei 2008 sicher „kleinlich“ gewesen, als sie dem Wahlkämpfer Senator Obama den Auftritt vor dem Brandenburger Tor verweigert habe. Aber vielleicht habe sie darauf spekuliert, wenn er diesen Platz als Präsident einnehme, sei er „auf Normalmaß geschrumpft.“ Zu diesem ganz kleinen, engen Kommentar setzt diese Leuchte des öffentlichen TV eine passend pfiffig-krämerische Miene auf.

Der Info- und Doku-Kanal Phönix tarnt den anti-amerikanischen Konformismus in unserem Land mit dem Hinweis „Viele US-Medien kommentieren Obamas Rede als schwach.“

Ich bin sicher, Frau Bundeskanzlerin Merkel, Michael Sommer, Vorsitzender des DGB, ihr Gast am Tisch mit Barack Obama im Charlottenburger Schloss, und auch Peer Steinbrück, der mit Barack Obama ein gutes Gespräch führte, sie alle teilen das Fazit zur Rede des Präsidenten: „Ein starkes Signal“ *2)

Die oben referierten dürftigen deutschen Reaktionen waren vielleicht absehbar, bedenkt man den Zuschnitt derer, die sich damit selbst bloß stellten.

Botschafter John C. Kornblum hat uns nahegelegt, dass Präsident Obama mit Botschaften gekommen sei, bei denen man genau zuhören sollte. Dr. Gary Smith, Executive Director of the American Academy in Berlin, stellte klar, dass Präsident Obama nicht die in Deutschland übliche Sonntagsrede, sondern eine „Arbeitsrede“ hielt.

Nico Fried, Leiter der Redaktion Berlin, Süddeutsche Zeitung, referierte verbreitete deutsche Geisteshaltung „Ach, was war das für ´ne blöde Rede.“ Dies in einem Land, das Amerika vielfältigen historischen Dank schuldet … Einem Land, das weltweit wirtschaftlich tätig ist und die USA als internationalen Partner braucht.

Nico Fried dürfte zu den wenigen gehören, die zur entscheidenden Frage vordrangen: „Wie können wir Obama unterstützen?“

Machen wir uns die Ziele zu eigen, die Barack Obama gestern formulierte. Und schließen wir uns diesem Präsidenten an „to lead, follow, or get out of the way!“ Dies war eine Rede für transatlantische Gestalter, nicht für Verwalter.

*1) Thomas Schmid, welt.de, 19.06.2013.
*2) Harald Leibrecht, Koordinator der Bundesregierung für die Transatlantischen Beziehungen.