Im Maschinenraum der Politik.

Dieses Bild wird gelegentlich von hoch qualifizierten Menschen verwendet, die den Persönlichkeiten an der Spitze als Büroleiter, Sprecher oder Berater unentbehrlich sind. In heiter-bescheidener Selbsteinschätzung. Aber man täusche sich nicht.

Für solche Leistung wird ein hoher Preis gezahlt: Ständige Bereitschaft, die täglich wechselnden politischen Themen fachlich zu beurteilen, politische Reden und Stellungnahmen vorbereiten und mit dem Chef zu erörtern. Brutales Arbeitstempo, Konkurrenz, Intrigen, Missgunst in der politischen Arena und nicht zuletzt im eigenen Partei-Umfeld.

Und in all der Hektik und Belastung ist das kühle Urteil und die Übersicht zu bewahren, um die Person und die politische Agenda des Chefs zu schützen. Der muss auf Loyalität zählen können; aber nicht auf den Jasager, sondern auf die eigenständige Persönlichkeit, den Gesprächspartner, der auch die Kraft zum Widerspruch aufbringen kann.

Kenner der Politik werden sich nicht der Illusion hingeben, dass sich der Spitzenpolitiker auf solch kompetente Loyalität bei seinen hochrangigen „politischen Freunden“ verlassen kann.

„The schedule of today`s political leader gets ever crazier“, so beschreibt Tony Blair die Situation. *1) Und dies gilt auch oder erst recht für die Profis im „Maschinenraum“.

Damit sollte geklärt sein: Mit „Handlanger der Macht“ *2) war der SÜDDEUTSCHEN seinerzeit zwar ein guter Titel, aber keine hinreichend aussagefähige Formel gelungen, den hier behandelten politischen Funktionsträger im „Maschinenraum“ zu charakterisieren.

Dennoch ist dieser journalistische Fund informativ. Hier wird gewürdigt, welche Verantwortung der „Maschinenraum der Politik“ trägt, wenn die politischen Weichen gestellt werden.

„Seit Beginn der siebziger Jahre arbeitet Klaus Lindenberg dem SPD-Ehrenvorsitzenden zu; seit 1987 leitet er das Büro … Die Visite Brandts bei Saddam Hussein ist auf sein beharrliches Engagement zurückzuführen. Als der Chef in den USA weilte, nahm er die Sache in die Hand. Eine Woche lang hat er nichts anderes getan, als die humanitäre Mission vorzubereiten … hat mit dem Außenministerium, der irakischen Botschaft, dem Kanzleramt verhandelt.“ *2)

Erinnern wir die dramatische Lage in den Monaten nach der Invasion Kuwaits durch irakische Truppen Anfang August 1990: „Im Geiselbasar von Bagdad“ wurde die „Stimmung unter den rund 400 festsitzenden Deutschen .. von Tag zu Tag schlechter, immer lauter ihre Frage: ´Was tut unsere Regierung?` Vorige Woche erreichten den Krisenstab im Außenamt dramatische Berichte. Vor allem die 77 an strategisch wichtige Orte als ´lebende Schutzschilde` verschleppten Deutschen seien in akuter Gefahr.“ *3)

Und das hatte Herr Lindenberg aus dem „Maschinenraum“ Willy Brandts geleistet: „Zur Reise in den Irak war Willy Brandt bereit, weil ihn Saddam Hussein wissen ließ, dass er Hunderte Geiseln mit sich nehmen darf … Sein Büroleiter Klaus Lindenberg vereinbarte mit Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau, dass dem SPD-Ehrenvorsitzenden eine Sondermaschine zur Verfügung stand.“ *3)

Der politische Kontext der Aktivitäten Lindenbergs war – wie der SPIEGEL eindrucksvoll schildert – äußerst konfliktträchtig:

Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher hatten Willy Brandt von der Reise nach Bagdad abgeraten. Vorgeblich mit Rücksicht auf die USA, die den Deutschen durchaus vorhalten konnten, Saddam für seine Kriegszüge und die Invasion Kuwaits „mit ihren Waffen, ihrem Giftgas und ihrer Raketentechnologie … gerüstet (zu) haben“. *3)

In Wirklichkeit aber – so der SPIEGEL – sei diese Sorge im deutschen Wahlkampf 1990 zunehmend dem Kalkül gewichen, Willy Brandt und der SPD „nicht allein den Triumph zu überlassen, Hunderten Geiseln zur Heimreise zu verhelfen.“ Hinzu kamen wenig hilfreiche Signale aus der SPD: „die vorsichtige, willfährige Attitüde, mit der Parteichef Hans-Jochen Vogel, begleitet von Hans-Jürgen Wischnewski und Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, am 24. Oktober im ersten Gespräch mit der Regierung aufgetreten war.“ *3)

So wurde Büroleiter Lindenbergs Initiative zum Hochseilakt ohne Sicherheitsnetz. Nur geleitet von der Maxime: „Ein guter Büroleiter muss die politischen Weichen stellen und alles tun, was dem Chef guttut.“ *2)

Und die Reise, die Willy Brandt mit seinem Büroleiter Klaus Lindenberg nach Bagdad zum Gespräch mit Saddam Hussein führte, wurde ein großer Erfolg. Der irakische Diktator „war bereit, alle jene unter den 400 Deutschen, die ausreisen wollten, sowie etwa 100 europäische Geiseln freizulassen. Unter den Heimkehrern sollten auch jene 77 Deutschen sein, die zu Raketenstellungen oder Munitionsdepots verschleppt worden waren. Etwa 50 im Irak lebende Deutsche wollten im Land Saddam Husseins bleiben.“ *3)

Respekt vor dem „Maschinenraum“ lässt mich ein weiteres Beispiel anführen, das mir aus eigener Recherche bekannt ist.

Das Jahr 1989 brachte ein herausragend erinnerungswürdiges Ereignis: den Informationsbesuch von Senator Edward Kennedy in Berlin und sein Treffen mit Willy Brandt.

Dieses Treffen war der Initiative und dem Geschick zweier Büroleiter geschuldet, die sich gut kannten: Dieter Dettke, Leiter des Büros Washington der Friedrich-Ebert-Stiftung, und erneut aus dem „Maschinenraum“ Klaus Lindenberg, Leiter des Büros von Willy Brandt. Durch ihre vertrauensvolle Zusammenarbeit gelang es, in komplizierten Absprachen aus einer vagen Chance ein historisches Ereignis zu gestalten.

Willy Brandt erinnert an den 28. November 1989, den Tag, als Bundeskanzler Kohl den Deutsch-Deutschen Stufenplan “dem Bundestag unterbreitete; die Sozialdemokraten stimmten zu diesem Gegenstand mit den die Regierung tragenden Parteien im Wesentlichen überein. Ich war an jenem Tag wiederum in Berlin, um Senator Kennedy mit den neuen Gegebenheiten vertraut zu machen. Ihm konnte ich sagen, wie sehr die Vision seines Bruders, des Präsidenten, dabei sei, ihre Erfüllung zu finden“. *4)

Heute blicken wir bereits ein halbes Jahrhundert zurück auf den 26. Juni 1963, als der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, John F. Kennedy, vor dem Rathaus Schöneberg die Berliner in seine politische Vision einbezogen hatte: „Freedom is indivisible, and when one man is enslaved, all are not free. When all are free, then we can look forward to that day when this city will be joined as one and this country and this great Continent of Europe in a peaceful and hopeful globe … All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words „Ich bin ein Berliner“.*5)

Der 28. November 1989, die Begegnung Willy Brandts mit Senator Edward Kennedy in Berlin: eine gute Erinnerung an Präsident John F. Kennedy, ein großer Tag für die Deutsch-Amerikanischen Beziehungen und auch für die internationale Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung!

Auch dank der Berater im „Maschinenraum der Politik“. Wird ihre Arbeit anerkannt und gewürdigt? Ja, von den Großen und den Noblen. Von Persönlichkeiten wie Willy Brandt oder Senator Edward M. Kennedy.

Hier ein mir wertvolles Fundstück, der Brief von Senator Kennedy an Klaus Lindenberg vom 5. Dezember 1989 (in Fotokopie).

„Dear Klaus:

Let me extend my many thanks for all your guidance and assistance with my recent trip to Berlin. The trip was a truly memorable one for me and I appreciate all your efforts to make it such a success.

It was a great honor and pleasure to once again be in Berlin with my good friend, Willy Brandt, and I appreciate your help in making this visit possible. The Social Democratic Party deserves great credit for the extraordinary changes occurring in the East. Keep up the good work!

Again, my thanks for a truly wonderful visit.

Sincerely,

(Handschriftlich: Edward Kennedy).“

Hier leuchtet auf, was „im Maschinenraum der Politik“ geleistet wird. Was die Büroleiter, Sprecher und Berater antreibt und durchhalten, den hohen Preis zahlen lässt. Die politische Aufgabe, die strenge Forderung der täglichen Ereignisse, die Anerkennung ihrer Arbeit durch die Großen und die Noblen.

Und an den Lagerfeuern der Erinnerung hört man die „Maschinisten“ lachen über Jene, die ihnen die Nähe zu den Großen immer neideten. Lachen über Jene, die wie Schakale auf die Stunde warteten, wenn ein Großer ging und abgerechnet werden konnte.

*1) Tony Blair, A Journey, London 2010, S. 544.

*2) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Magazin, Handlanger der Macht, 08.02.1991.

*3) Im Geiselbasar von Bagdad, DER SPIEGEL, 05.11.1990.

*4) Willy Brandt, Erinnerungen, Berlin, Frankfurt a. M., Zürich 1989, S. 510.

*5) http://www.let.rug.nl/usa/presidents/john-fitzgerald-kennedy/ich-bin-ein-berliner-speech-1963.php.