Ja zur GroKo!

Fraktionschefin Andrea Nahles hatte den GroKo-Gegnern beim SPD-Sonderparteitag am 21. Januar 2018 zugerufen: „Nicht vor Neuwahlen habe ich Angst, aber vor den Fragen der Bürger! Die sehen, das meiste hätten wir machen können. Wollt ihr den Bürgern sagen, ´wir machen Neuwahlen, weil wir nicht 100 % unseres Wahlprogramms umsetzen konnten`? Die Bürger zeigen uns den Vogel!“ *1)

Das Groko-Verhandlungsteam der SPD-Spitze — 37 hochrangige Persönlichkeiten — hat den SPD-Mitgliedern empfohlen, dem Eintritt der SPD in eine Bundesregierung mit CDU und CSU auf der Grundlage des Koalitionsvertrags 2018 zuzustimmen.

Die Führung der Sozialdemokratie wird durch beispielhaft demokratische Verfahren gebildet und lässt ihre Parteimitglieder mitentscheiden. Die so legitimierte Parteiführung erhält damit den Auftrag, politisch zu führen.

Meine Loyalität als SPD-Mitglied habe ich ausgedrückt, indem ich beim Mitgliedervotum der Empfehlung des SPD-Verhandlungsteams mit der Ja-Stimme entsprochen habe.

Natürlich habe ich als anfänglicher GroKo-Gegner auch die „#NoGroKo-Tour“ des Vorsitzenden der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, zur Kenntnis genommen.

Dabei fiel mir als Kern der Kühnert-Kampagne gegen eine neue Regierungskoalition von CDU, CSU, SPD auf:

Durch die GroKo-Regierungskoalition werde „die SPD nicht mit Alleinstellungsmerkmalen wahrgenommen“. *2) „Wenn wir mit Nein stimmen, können wir wieder echte sozialdemokratische Politik machen!“ *3) Tagträume Kühnerts von absoluter SPD-Mehrheit?

  • Also grundsätzliche Ablehnung des politischen Kompromisses mit CDU und CSU durch Kühnert. Denn: „Martin Schulz‘ Ankündigung der Opposition hat viele Sozialdemokraten von einer Last befreit, von vielen Genossen war eine Last abgefallen. Das Ende jahrelanger Erniedrigung, gefangen in der Endlosschleife als Juniorpartner der CDU. Was für eine mobilisierende Kraft diese Aussage hatte!“ *3) „Erniedrigung“: ein absurdes Urteil Kühnerts schon angesichts der errungenen Leistungsgesetze von Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles 2013-2017!
  • Demgegenüber scheint Kühnert eine Koalition von SPD und SED/PDS/Linkspartei nicht als „Erniedrigung“ zu sehen. Im Gegensatz zu vielen Sozialdemokraten, die sich über die Verfolgung eigenständiger Sozialdemokraten in der SED-Diktatur informiert haben. Zumal der Juso-Chef einen neuen „Grundsatzprogrammprozess“, ein „politisches Programm“ für „neue Koalitionsoptionen“ fordert. *4)
  • Die Rot-Rot-Zukunft als Perspektive für eine SPD der „Alleinstellungsmerkmale“, für „echte sozialdemokratische Politik“? *2) *3) Da hätten wir das Juso-Programm für die „linke Volkspartei SPD“ — mit Aussicht auf 15 Prozent …

Mir kommt dies wie linker politischer Autismus vor. Keine Spur von modernem Parteiverständnis als Dienstleister mit Kundenorientierung! Kein Gedanke an die Anwendung von Marketing-Methoden, um mit einem Politikangebot zu überzeugen, das Förderung der wirtschaftlichen Leistung mit sozialem Ausgleich verbindet. Mit dem Ziel, im politischen Wettbewerb um Wählerstimmen Mehrheiten zu organisieren.

Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, Franz Müntefering, Bodo Hombach hatten diese Idee von Politik ab 1998 erfolgreich umgesetzt. „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen“, dies war das von Willy Brandt geprägte und von Gerhard Schröder übernommene Leitbild für zeitgemäße Regierungsführung. Für diese Leistung wurde die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder von den SPD-Linken verraten. Wie einst Bundeskanzler Helmut Schmidt!

Bei der „#NoGroKo-Tour“ in Leipzig sei Kevin Kühnert von einem alten SPD-Mitglied gewarnt worden: „Damals haben wir gegen Helmut Schmidt protestiert, und uns wurde gesagt, wenn ihr den stürzt, dann werden die Schwarzen sehr lange regieren. Und dann kamen 16 Jahre Helmut Kohl.“ Er habe daraus seine Lehren gezogen — „wenn wir jetzt nicht in diese Koalition gehen, dann verschwinden wir für 25 Jahre, und dann gehst du, Kevin, in die Rente“. *5)

Und wie sagte Andrea Nahles? „Die Bürger zeigen uns den Vogel!“

*1) Die schon im Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD für den Koalitionsvertrag festgeschriebenen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wurden in meinem Blogbeitrag „Bauchschmerzen. 22. Januar 2018“ im Überblick referiert.

*2) No-GroKo-Kampagne. Jusos dementieren Hilfe aus Russland. Stand: 16.02.2018. Quelle: n-tv.de

*3) SPD-ZOFF UM NÄCHSTE REGIERUNG. Kühnert und Klingbeil im GroKo-Duell. Artikel von: MICHAEL SAUERBIER, veröffentlicht am 20.02.2018; bild.de

*4) Mut oder Misstrauen? Streitgespräch: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Juso-Chef Kevin Kühnert. Interview Karin Hink und Vera Rosigkeit. In: Vorwärts Extra. 01/02 2018. Die SPD erneuern. S. VI und VII.

*5) Verfrühte Schadenfreude über deutsche Instabilität. KOLUMNE PAUL LENDVAI. 12. Februar 2018; https://www.derstandard.de/story/2000074122940/verfruehte-schadenfreude.