Joschka Fischer in Flammen.

„Die Zeiten sind ernst, sehr ernst sogar.“ (SZ, 04.06.2012). Wer möchte Herrn Fischer widersprechen?

Besser noch: Eins drauf setzen. Die Zeiten sind hoffnungslos. Aber dennoch nicht ernst. Solange uns ein lebenslang anspruchsberechtigter Großpensionär auffordert, Deutschlands Vermögen einzusetzen, um „Europa zu retten“.

Dabei hat der deutsche Staat gar kein flüssiges, einsetzbares Vermögen, sondern vor allem Schulden, sozusagen ein negatives Geld-Vermögen. Gemeint hat der große Herr daher wohl die zähen, immer wieder geprügelten Sparer, die seit seinen Zeiten als Vizekanzler unter Rot-Grün erst recht gehalten sind zu sparen. Um für ihr Alter, ihre Gesundheit, die Zukunft ihrer Lieben selbst zu sorgen und sich nicht nur auf Ansprüche gegen „den Staat“ zu verlassen.

Denn der Staat hat ja schon einiges zu schultern. Z.B. mit der Versorgung seiner Staatsdiener und seiner Politiker, die staatliche Aufgaben breit und weit definieren. Um alle paar Jahre Wähler fürs „Anfüttern“ zu finden. Also, deutsche Mitbürger, die ihr Gläubiger der europäischen Schuldner-Staaten seid: Rückt Euer gespartes Vermögen raus, um Europa vom „Abgrund“ (Fischer) zu holen.

Was erwartet Herr Fischer von „Deutschland und Frankreich als Europa-Retter“? Der Vizekanzler a.D. sagt es uns deutlich: „Deutschland wird dabei wirtschaftlich und finanziell, Frankreich politisch über seinen Schatten springen müssen, um Europa zu retten.“ Frankreich braucht also nur „politisch“ über „seinen Schatten springen“!

Dieser Appell wird Präsident Hollande freuen. Denn dies ist ohnehin nicht möglich. Wie denn? Herr Fischer, joggen Sie mal wieder bei tief stehender Sonne und springen Sie über den gewaltigen Schatten, den Sie auf Ihre deutschen Steuerzahler werfen!

Denen haben Sie immerhin Ihre Pflichten konkret zugewiesen: Zahlen für alle Anspruchsberechtigten in Europa und die Schuldner! Zahlen für Schulden-Staaten, die mehr neue Schulden auftürmen als dass sie produktiv investieren. Bei denen von Sparen deshalb gar keine Rede sein kann, wie jeder ökonomisch halbwegs Interessierte weiß.

Wie soll so etwas gehen, da ja keiner gerne zahlt für Schuldner, die – wie Joschka Fischer verständnisvoll feststellt – „kein Vertrauen in die Sparpolitik haben“. Hat denn je einer einen notorischen Schuldner gesehen, der Vertrauen in Sparpolitik hat?

Und dann ruft Herr Fischer einen ganz feinen Kronzeugen herbei: „Der konservative britische Premierminister! (Der) völlig und uneingeschränkt recht hat!“ Womit? Joschka in Flammen: „Wer hätte jemals auch nur davon geträumt, dass David Cameron die Regierungen der Euro-Gruppe dazu auffordern würde, endlich all ihren Mut zusammenzunehmen und gemeinsam eine Fiskalunion (gemeinsames Budget, Steuerpolitik, gemeinsame Garantie für die Staatsschulden) und, da es anders nicht geht, auch eine politische Union zu schaffen?“

Herr im Himmel! Sollte unser großer Vizekanzler a.D. delirieren? Wann wird Europa damit zu Potte kommen? Nach der übernächsten Krise? Seit wann interessieren sich ausgerechnet die britischen Konservativen für die Eurogruppe, den Euro oder gar für Europa? Aus allem Europäischen haben sich diese rationalen, krämerischen free rider (Trittbrettfahrer) herausgehalten, solange sie mit dem Gemeinsamen Markt der EU Handel treiben können.

Und nun brauchen die Briten sogar uns Deutsche. Schwere Demütigung! Aber nur als „Feuerwehr“, wie Herr Fischer richtig feststellt: „London fordert ein vernünftiges und entschlossenes Verhalten der Feuerwehr.“ Das heißt, Deutschland an die Finanzspritze, auch für das britische Pfund Sterling und den hochverschuldeten und weiter defizitären britischen Staat. Für das Vereinigte Königreich mit seinem Außenhandelsdefizit, weil es die Industrie und die handwerkliche Qualitätsarbeit zu lange vernachlässigt hat.

Joschka Fischer versteht seine feinen britischen Freunde und ihr „vernünftiges“ Programm für uns deutsche Steuerzahler: „Man kann sich die wüste Polemik in Deutschland über ein solches Programm allzu leicht vorstellen. Noch mehr Schulden! Verlust der Kontrolle über unser Vermögen! Inflation! Das funktioniert alles nicht! Falsch, denn der Boom der deutschen Exportwirtschaft gründet genau auf solchen Programmen in den Schwellenländern und in den USA. Hätten China und die USA seit 2009 nicht massiv und teils schuldenfinanzierte Steuergelder in ihre Volkswirtschaften gepumpt, dann hätte es den Exportboom in Deutschland kaum gegeben.“

Messerscharfe Logik: Was deutsche Unternehmer und Arbeitnehmer geschaffen und exportiert haben, sollen sie jetzt auch noch selbst bezahlen. Some friends, the Brits!

So ist das also. Deutsche Industrie und deutsche Industriegewerkschaften, nun hat es Euch der neue Weltökonom gesagt. Eure Weltmarkt-Erfolge verdanken sich nicht Eurer Tüchtigkeit, Eurer Qualität, Euren Monteuren und Ingenieuren, die den Kunden der Welt passgenaue Maßarbeit liefern! Sondern einer chinesischen Diktatur, die Partei-Klientel bedient, einem US-Präsidenten, der um Wiederwahl kämpft, sowie einer internationalen Inflations- und Schulden-Politik auch in Schwellenländern.

Machen wir also, Herrn Fischers weisem Rat folgend, notfalls das Gleiche: Her mit dem deutschen Vermögen mittels inflationärer Auszehrung. Maßvoll, wenn`s geht, damit der dusselige Sparer es nicht gleich merkt. Und her mit Ausgabeprogrammen für alle Schuldner Europas!

Gut, dass es riesige, wenn auch bei vielen rot-grünen Linken verhasste Finanzmärkte gibt. Wo sollte denn auch sonst das Ergebnis von über 6 Jahrzehnten Arbeit geblieben sein, „der längsten Friedens- und Wohlstandsperiode unseres Kontinents“ seit Joschka Fischers Geburt?

Erst wenn die Finanzmärkte zum Urteil kommen, dass Europas Schulden-Staaten glaubwürdig konsolidieren und sich für den Wettbewerb reformieren, wird deren Kalkül uns zügig aus der Vertrauenskrise führen. Denn es gibt nicht übermäßig viele rentable und berechenbar sichere Anlagemöglichkeiten für die riesige Masse der in Jahrzehnten akkumulierten Geldvermögen.

Richtig: Aus der Krise führen wird das Kalkül der Akteure an den Finanzmärkten und das Kalkül der Unternehmer, der Investoren und das Kalkül von Gläubigern! Nicht die großen Worte und Beschwörungen unseres bedeutenden Mahners und rot-grünen Vizekanzlers, der „in Flammen“ steht und „den Abgrund“ sieht.

Joschka Fischer hat Recht: „Im 20. Jahrhundert hat Deutschland zweimal mit Krieg bis hin zum Verbrechen und Völkermord sich selbst und die europäische Ordnung zerstört, um den Kontinent zu unterjochen … Es wäre eine Tragödie und Ironie zugleich, wenn jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das wiedervereinigte Deutschland, diesmal friedlich und mit den besten Absichten, die europäische Ordnung ein drittes Mal zugrunde richten würde.“ (Diese Aussage könnte auch noch Herrn Sarrazin interessieren).

Was mich dann doch immer wieder für Herrn Fischer einnimmt, ist, dass bei ihm „Tragödie und Ironie“ stets beieinander sind. Deshalb: Die Zeiten mögen hoffnungslos sein. Genau weiß niemand, was kommen könnte. Aber seht die Zeiten nicht zu ernst! Solange Mahner wie Joschka Fischer unterwegs sind.

Jedoch auf die Bundeskanzlerin, die Joschka Fischer als „unsere Feuerwehrhauptfrau Angela Merkel“ sieht, die „lieber weiter mit Kerosin statt mit Wasser (löscht)“, auf die wird er sicher alles kommende Unheil abladen. Wenn es denn kommt. Merken wir uns dies Urteil des Sachverständigen: Sparen ist Kerosin. Zahlen und, warum auch nicht, weitere Schulden sind Löschwasser!

In den USA hingegen wird unsere Bundeskanzlerin respektvoll mit einem ganz nüchternen Satz zitiert: „Not spending more than you collect – it`s astonishing that this simple fact leads to such debates.“ – „Nicht mehr ausgeben als einnehmen – es ist erstaunlich, dass dieser simple Sachverhalt zu solchen Debatten führt.“ Von TIME (4. Juni 2012, S. 7; Übersetz. RS) fett gedruckt und weltweit verbreitet. Sollte langsam die Einsicht wachsen, dass öffentliche Finanzen nicht nur Spielwiesen für Diktatoren und um Wiederwahl bangende, spendierfreudige Politiker sind?

Hut ab – für „Joschka Fischer in Flammen“ immer!

Aber Hut ab vor allem vor unserer nüchternen Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel, „die darauf besteht, dass verschuldete Länder wie Griechenland und Spanien Sparprogramme umsetzen, damit ihre Finanzen in Ordnung kommen“ (TIME, a.a.O.).