Karnevalspolitik.

Buchen wir vermeintliche Fehler der Septembermärchen-Willkommenskultur als Schnee von gestern ab. Bundeskanzlerin Merkel kämpft nunmehr dafür, dass die Zuwanderung gesteuert und reduziert wird. Durch realpolitische Verhandlungen mit der türkischen Regierung. Das hat einen Preis.

Den erlebte Kanzleramtsminister Peter Altmaier im heutigen N24-Gespräch mit Moderatorin Tatjana Ohm. Da die Türkei 2,5 Mio. syrische Flüchtlinge aufgenommen habe, hätte sie „europäischer gehandelt als manches Land, das EU-Mitglied ist.“ „Bis auf die Behandlung der Kurdenfrage“, ergänzte Frau Ohm die Analyse Altmaiers.

Das ist seriöses, kritisches Politikinterview. Man vergleiche dies mit der Infamie, die sich der Protagonist der Linkspartei, Oskar Lafontaine, leistet. Merkels Außenpolitik, „während in Syrien die Bomben fallen“ *1), wird von ihm diskreditiert. Kein Wort, wer dort die Zivilbevölkerung bombardiert, denn „die Rohstoffkriege der Amerikaner“ seien verantwortlich. *1)

Bundeskanzlerin Merkel führt im Namen der Europäischen Union (EU) Verhandlungen mit der türkischen Regierung über die „EU-Türkei-Migrationsagenda“. Ziel ist, über ein Kontingentsystem legale und sichere Wege zu bahnen, um syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei geht es um gerechte Verteilung der Verantwortung und der Kosten, ein „burden-sharing“ mit der Türkei, in der EU und letztlich international; denn „das Flüchtlingsproblem ist Problem der Welt“ (Merkel).

Und diese Verhandlungen finden seit Wochen statt, während Putin und Assad hunderttausende Kinder, Frauen und Männer in Syrien töten und aus Syrien herausbomben.

Nicht nur in der Ukraine lässt Putin den Krieg fortsetzen. In Syrien enthüllt sich Putin an der Seite Assads als ein so wortbrüchiger Kriegstreiber, dass er sich nicht einmal scheut, die UN-Resolution 2254 für Frieden in Syrien zu brechen. Diese Resolution wurde am 18. Dezember 2015 vom UN-Sicherheitsrat, in dem Russland ständiges Mitglied ist, einstimmig vereinbart.

In dieser UN-Resolution 2254 hat sich auch Rußland verpflichtet, in Syrien „sofort alle Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen, einschließlich medizinischer Einrichtungen und ihres Personals, zu beenden, ebenso den darauf gerichteten Einsatz von Waffen, Artilleriefeuer und Bombardierung durch Luftwaffe.“ *2)

Vor den Augen der Welt *3) morden die Schergen Putins und Assads, bomben auf die Zivilbevölkerung, ihre Wohngebiete und auf Krankenhäuser für ihre verbrecherischen Ziele von Flucht und Vertreibung. Weit mehr als die Hälfte der Menschen in Syrien ist auf der Flucht, mindestens fünf Millionen Syrer sind aus ihrem Land geflohen.

Die Frage, ob Putin mit diesem Krieg Europa destabilisieren will, ob er noch Gegner oder bereits Feind Europas ist, scheint inzwischen beantwortet.

Dieser Stand des Syrienkonflikts und der verbreiteten Einschätzung Putins

  • hat den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer (CSU) nicht gehindert, uns ein unwürdiges Geschmeichel und Geschacher mit Putin in Moskau vorzuführen. Und trotz der weltweiten Sanktionen gegen Russland, Putin baldige Geschäfte in Aussicht zu stellen;
  • hat den Ministerpräsidenten Sellering (SPD), Mecklenburg-Vorpommern, nicht gehindert, schon für Mai 2016 zum „Russlandtag“ einzuladen, um Geschäfte anzubahnen. Also „wirtschaftliche Interessen über Völkerrechtsfragen“ zu stellen, wie der dortige Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN, Jürgen Suhr, mit Recht kritisiert; *4)
  • hindert den Vizekanzler Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD, nicht, schon jetzt seine Teilnahme am „Russlandtag“ zuzusagen. Mit einer unfassbaren Ankündigung: Damit mache er „einen weiteren Schritt der Versöhnung auf Russland zu“. *5)

Was mag Vizekanzler Gabriel wohl den Blick so getrübt haben, dass er in diesen Zeiten eine Bringschuld der „Versöhnung“ gegenüber dem Kriegs- und Völkerrechtsverbrecher Putin wahrnimmt? Gegenüber dem Russland des Präsidenten Putin, der bisher noch jeden internationalen Vertrag, jede völkerrechtliche Pflicht gegenüber der Ukraine und in Syrien gebrochen hat?

Wie lassen sich solche Auftritte und Aussagen erklären? Auftritte und Aussagen von Führungspersonal der Parteien, die unsere Große Regierungskoalition (GroKo) tragen? Parteien, die sich im Koalitionsvertrag 2013 zur Koordinierung der Politik verpflichtet haben?

Wer kann dem Bürger verdenken, wenn er vor diesen Fragen resigniert? Dem dazu am heutigen Rosenmontag nur das Motto 2016 des „Zoch en Kölle“ einfällt: „Mer stell alles op der Kopp“.

Was Seehofer, Sellering und Gabriel derzeit bieten ist Karnevalspolitik!

*1) Flüchtlingstalk. Lafontaine treibt Anne Will zur Verzweiflung. 08.02.2016; bild.de.

*2) Security Council Unanimously Adopts Resolution 2254 (2015), Endorsing Road Map for Peace Process in Syria, Setting Timetable for Talks. 18 DECEMBER 2015. SC/12171; http://www.un.org/press/en/2015/sc12171.doc.htm. „13. Demands that all parties immediately cease any attacks against civilians and civilian objects as such, including attacks against medical facilities and personnel, and any indiscriminate use of weapons, including through shelling and aerial bombardment …“. (o.a. Übers. RS)

*3) Außenpolitiker der Regierungskoalition haben die russischen Bombardements in Syrien, die erneut zu Zehntausenden Flüchtlingen aus der Region um Aleppo geführt haben, verurteilt. Röttgen: „Vorgehen Russlands ist Ausdruck eines brutalen Zynismus“. DTS-Meldung vom 06.02.2016.- Syrien: Zehntausende Flüchtlinge an der türkischen Grenze 6. Februar 2016, derstandard.at/2000030461215/Syrische-Armee-rueckt-auf-Aleppo-vor

*4) Rostock. Umstritten: Landesregierung plant zweiten Russland-Tag. Ministerpräsident Sellering verteidigt die Neuauflage im Mai. Die Grünen werfen SPD und CDU vor, sich über die EU-Sanktionen hinwegzusetzen. 07.01.2016; http://www.ostsee-zeitung.de/Region-Rostock/Rostock/Politik/Umstritten-Landesregierung-plant-zweiten-Russland-Tag

*5) Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) macht einen weiteren Schritt der Versöhnung auf Russland zu und wird am diesjährigen Russlandtag des Landes Mecklenburg-Vorpommern teilnehmen. Sellering: Gabriel nimmt an Russlandtag teil. DTS-Meldung vom 07.02.2016. (Quelle: „Welt am Sonntag“).