Koch und Kellner.

In Vorfreude auf baldige Lektüre des zweiten Teils der Memoiren Joschka Fischers ein Blick zurück auf den ersten Band, der bis 2001 reicht.

Außerordentlich lehrreich; als ein Beispiel von vielen sei die fesselnde Darstellung erwähnt, wie 1999 nach dem Kosovokrieg der Stabilitätspakt für Südosteuropa entstand.

Hier jedoch soll es um die Fähigkeit des Autors Fischer gehen, Situationskomik zu schildern. Denn gerade auch diese Qualität erklärt, warum sich in der Bevölkerung Nostalgie auf Kanzler Schröder und seinen Außenminister richtet.

Szene 1: Februar 1997, ein vom Stern-Magazin eingefädeltes Gespräch zwischen Schröder und Fischer. Joschka Fischer freut sich aufrichtig über das Wiedersehen mit Gerhard Schröder, den er länger nicht gesehen hatte.

Fröhlich beginnt er mit Späßen über Ehen im Allgemeinen und über Rot-Grün im Besonderen. Da stellt Schröder, cool an der Havanna ziehend, die Stimmung auf Null: „Eins muss klar sein: Der Größere ist Koch, der Kleinere ist Kellner.“ Joschka Fischer kann nicht nur austeilen, sondern auch einstecken: „Rumms! Das hatte gesessen!“ Wie Tony Blair schon bemerkte: „Gerhard Schröder was a really tough cookie.“

Szene 2: Auch Joschka Fischer sollte noch seine Genugtuung haben. Die Gelegenheit kam Anfang September 2000. Reise mit dem Kanzler zum Milleniumsgipfel der UN in New York. Da wurden Ziele beschlossen, um Hunger und Krankheiten von den Armen dieser Welt abzuwenden.

Abends betreten beide ihr Hotel in der Lexington Avenue. Das hatte das Auswärtige Amt unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, ostentativen Luxus zu vermeiden, um dem Zweck der Reise gerecht zu werden.

Dies Ziel wurde voll erreicht. Ein verdächtiger Einlass durch eine Küchenabseite, mit dem Lastenaufzug in den obersten Stock, über nackten Beton zu den Zimmern: dunkel, niedrig, „kleine Fenster in Kniehöhe, eingeschmutztes Mobiliar, mit Schmutzflecken übersäte Teppichböden und Tapeten.“

Von der weiteren Schilderung sei Joschka Fischer entlastet.

Denn er mag sich der heimlich aufkommenden Freude geschämt haben, als er sich dem Gedanken hingab, wie denn der Kanzler reagieren würde. Lange brauchte er nicht zu warten. Löwengebrüll erschütterte den verdreckten Flur. In dessen Halbdunkel schreckensbleiche Beamte vor dem tobenden Bundeskanzler. Den Rest mag man sich etwa folgendermaßen vorstellen.

Joschka, einfühlsam: Gerhard, was ist denn passiert? Der Kanzler, das Gesicht lilafarben, weist auf das dreckstarrende Zimmer und mit erstickter Stimme: … kaputt!

Joschka, hilfsbereit: Gerhard, das regele ich dir sofort, das ist nur der Schwimmer! Doch dann: Mein Gott, musst Du als Mittelstürmer einen Bums gehabt haben! Komm, wir machen mal das Fenster auf.

Beide gehen in die Knie, um Luft zu schöpfen, nachdem sie die Luke öffnen konnten.

Joschka, was ist denn das da gegenüber? Gerhard, das ist das Waldorf-Astoria. Sieh mal da unten. Was für ein Portal! Und guck mal, wer da vorfährt.

Dunkle Limousinen gleiten sanft heran, Diener in Livrée empfangen die hohen Gäste, die Repräsentanten über das ganze Elend dieser Welt.

Joschka, was tragen denn die Damen? Gerhard, das ist Goldbrokat. Würde Frau Doris auch kleiden, wenn Du so großzügig wärst. Joschka, ließe sich alles machen, wenn ich in deiner Partei wäre.

Tief unter ihnen gleiten unablässig die großen, dunklen Limousinen vor das prächtige Portal. Mit geschmeidiger Geräuschlosigkeit geleiten Diplomaten und Diener die hohen Gäste.

Und im fahlen Abglanz des Waldorf-Astoria könnte man gegenüber ganz hoch oben zwei übernächtigte, bleiche Gesichter sehen: Joschka und Gerhard, Kellner und Koch.