Konjunktur — Titanic-Kurs?

Unsere Konjunktur? Noch immer „volle Pulle“, wie von Handballtrainer Dagur Sigurdsson getrieben. Da scheint es auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gepackt zu haben. „Gabriels zentrale Botschaft“ im Jahreswirtschaftsbericht 2016: Deutschland sei „ein verdammt starkes Land … das bestaufgestellte Land in der EU“. *1)

Von einer „ökonomischen Schönwetterlage“, sprach dagegen der Wirtschaftspolitiker Dr. Michael Fuchs, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Derzeit niedrige Werte für Ölpreis, Zinsen, Euro-Preis des Dollars werden von Fuchs als Risiko benannt; sie können „sich von heute auf morgen ändern“. *1)

Dr. Michael Fuchs ist auch erfolgreicher Unternehmer, in der Presse wird nicht selten seine Interessenpolitik kritisiert. Wirtschaftspolitisch interessierte Bürger können jedoch aus seinen internationalen Erfahrungen Nutzen ziehen. Dr. Fuchs ist seit rd. 20 Jahren Vorstandsmitglied im Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Seine Kenntnis über China als Unternehmer und Wirtschaftspolitiker gibt seinem Urteil über die „ökonomische Schönwetterlage“ Gewicht.

Denn wir haben gerade gesehen: Wenn China hustet, kracht es an den Börsen des Westens. Kein Wunder! Chinas Anteil an der jährlichen Wirtschaftsleistung der Welt (15 %) ist zwar geringer als der USA-Anteil (19 %), aber etwas größer als der Anteil der gesamten Eurozone (14 %). *2)

Dies erklärt die Aussage, „dass die Wirtschaft Chinas und die der USA zu den wichtigsten Ursachen exzessiver globaler außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte gehören.“ (David Lipton). China teile mit Deutschland und Korea zu hohe Überschüsse im Außenhandel; die USA mit Brasilien, Großbritannien und Frankreich zu hohe Defizite. *3)

China, Deutschland und Korea sei zu raten, die Inlands- und damit auch die Importnachfrage zu fördern. Im Falle Chinas sei eine künstliche Verbilligung des Renminbi-Preises zum US-Dollar oder Euro zu unterlassen. So ließen sich die zu hohen Überschüsse im Außenhandel vermindern.

Dem IMF zufolge stützt sich das wirtschaftliche Wachstum Chinas zu sehr auf übertriebene Expansion von Krediten und Investitionen im Immobiliensektor. Dieses riskante, nicht nachhaltige Wachstumsmodell gefährde die Stabilität der Staatsfinanzen, der Banken und Unternehmen des Landes. *4)

Haben wir nicht solche Warnungen vor der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise mit kreditgetriebenen Investitionen in US-Schrottimmobilien vermisst? Kredit- und Investitionsrisiken, die einige unserer öffentlichen Landesbanken ruinierten (West-LB usw.)? Das Desaster kostete den deutschen Steuerzahler etwa 50 Mrd. Euro.

China habe — so der IMF — den Weg zu Reformen zwar beschritten. Jedoch sei es bisher nur gelungen, den weiteren Anstieg der Risiken etwas zu bremsen. Eine Umkehr und Abnahme der Stabilitätsrisiken erfordere jedoch mehr: Reduzierung der Investitionen in Immobilien, weniger Kreditgewährung und solide öffentliche Finanzen. *4) Dieser Reformweg Chinas gleiche einer Grat-Wanderung — ein zu starker Absturz des wirtschaftlichen Wachstums sei zu verhindern, ohne wieder in übersteigerte Kreditschwemme zu verfallen.

Das weltwirtschaftliche Risiko starker wirtschaftlicher Schrumpfung in China ist kaum zu überschätzen. 2015 habe der Beitrag Chinas zum Wachstum der Weltwirtschaft „mehr als 30 %“ ausgemacht. *5) Dennoch sei trotz mancher Zweifel an der Zuverlässigkeit chinesischer Statistiken das „Horrorszenario einer ´harten Landung`“ nicht eingetreten. Überdies schreite der Umbau der chinesischen Wirtschaft voran: Der Dienstleistungssektor sei 2015 mit 8.3 % stärker gewachsen als die Industrie mit 6 %. *5)

Bürger, denen von Finanzberatern in unserer kargen Null-Zins-Zeit zu spekulativen Anlagen geraten wird oder die selbst dazu neigen, sollten zwei Analysen bedeutender Ökonomen berücksichtigen.

Schon 2011 warnte der Träger des Nobelpreises für Ökonomie, Professor Dr. Reinhard Selten, vor den „hohen Preise(n) für Grundstücke und Häuser in China. Dort gibt es viele Menschen, die Appartements nur als Wertanlage kaufen und nicht, um darin zu wohnen oder sie zu vermieten. Das kann nicht gut gehen. Chinas Markt ist total überhitzt. Ich bin der Meinung, dass er bald zusammenbrechen wird. Es lässt sich nicht voraussagen, wann das passiert, möglicherweise noch in diesem Jahr, vielleicht auch später.“ *6) Professor Selten sehe diese Entwicklung, die der in den USA 2007 ähnele, schon seit langem kommen.

Ist die deutsche Wirtschaft — wie Minister Gabriel sagt — nun auf einem stabilen Wachstumskurs? Oder liegt ein „Schönwetter“-Phänomen vor, wie Asienexperte Dr. Michael Fuchs meint? Oder steuert die Wirtschaft gar einen „Titanic-Kurs“, gefährdet durch den „Eisberg China“?

Dazu urteilt der Vorstandsvorsitzende des weltweit größten Investors und Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink: China stelle das größte Risiko für die Finanzmärkte dar. Hinsichtlich der vielfach behaupteten Kreditblase bei Staatsunternehmen und nicht tragfähiger Verschuldung des Privatsektors sei Finks Einschätzung zwar optimistischer.

Aber er könne auch falsch liegen. „Denn Krisen tauchen nicht auf, wenn wir die Gefahren kennen. Es ist wie bei einem Eisberg. Gefährlich ist, was unter der Wasserlinie liegt und nicht zu erkennen ist – wie das bei China der Fall ist.“ *7)

Bei dieser Analyse könnten Sparer und Anleger an Finanzmärkten frösteln. Hoffentlich rechtzeitig!

*1) Gabriel: Deutschland das bestaufgestellte EU-Land; http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw04-de-jahreswirtschaftsbericht/402690; Donnerstag, 28. Januar 2016.

*2) Frank Stocker, Investoren fürchten China-Kollaps, DIE WELT, 21.08.2012, Finanzen, S.13.

*3) MULTILATERAL SURVEILLANCE. Countries Should Take Action to Reduce External Imbalances. IMF Survey. July 28, 2015. Siehe darin das Interview mit David Lipton, IMF First Deputy Managing Director. (IMF International Monetary Fund, Internationaler Währungsfond.) Zu den Aufgaben des IMF zählen: Vergabe von Krediten an Länder ohne ausreichende Fremdwährungsreserven … Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik, Ausweitung des Welthandels, Stabilisierung von Wechselkursen, Analyse der Geldpolitik sowie Beratung auf diesen Gebieten. (Vergl. Wikipedia).

*4) ECONOMIC HEALTH CHECK. China’s Transition to Slower But Better Growth. IMF Survey. August 14, 2015.

*5) Chinas Wirtschaftsleistung 2015. Das Märchen von der harten Landung. Von Matthias Müller, Peking, 19.01.2016; http://www.nzz.ch/wirtschaft/schwaechstes-wirtschaftswachstum-in-china-seit-25-jahren-1.18679659.

*6) INTERVIEW MIT NOBELPREISTRÄGER. Reinhard Selten: „Chinas Markt ist total überhitzt“. Reinhard Selten ist Deutschlands einziger Wirtschaftsnobelpreisträger. Er glaubt, dass der chinesische Immobilienmarkt kurz vor dem Kollaps steht. Warum? Das erklärt der 80-Jährige im BZ-Interview. Mo, 29. August 2011, von: Ronny Gert Bürckholdt.

Siehe auch: WIRTSCHAFT. NOBELPREISTRÄGER.“Die Ökonomie betrachtet zu wenig den Menschen“. Eingeschränkt rationales Verhalten war Schuld an der Krise, sagt der Ökonom Reinhard Selten. Im Interview geht der Nobelpreisträger mit seiner Zunft hart ins Gericht. Von Anja Müller. 04. Oktober 2010; zeit.de.

*7) DTS-Meldung vom 29.01.2016. Blackrock-Chef warnt vor fallenden Aktienkursen. Der Vorstandschef von Blackrock, Larry Fink, sagt weiter fallende Aktienkurse und einen nochmals sinkenden Ölpreis voraus. (Quelle: Handelsblatt-Interview).