Frau Merkel unterschätzt?

Ent-Täuschung in den deutschen Machtzentren — Seehofer von Merkel, Merkel von der Union, von der SPD, von den deutschen Bürgern, die sich von ihrer „Willkommenskultur“ abwenden?

Deutschland: Ist es noch Frau Merkels Land? Europa: Ist es noch Frau Merkels Europa? Kanzlerinnen-Dämmerung, Kanzlerinnen-Sturz — diese Worte laufen um wie Falschgeld. *1) *2)

„Das Amt des Bundeskanzlers … endet außer durch Tod durch freiwilligen Rücktritt, durch konstruktives Misstrauensvotum des Bundestags unter Wahl eines neuen Bundeskanzlers“. *1) Da die Kanzlerin hoffentlich bei bester Gesundheit und ein „konstruktives Mißtrauensvotum“ gegen Frau Merkel politisch absurd ist, wird sich der „Kanzlerinnen-Sturz“ als leeres Gerede entpuppen.

Umso mehr als die Bundeskanzlerin die Macht hat, die Unions- und die SPD-Fraktion im Bundestag richtig zu demütigen, wenn die Parlamentarier das Theater zu weit treiben sollten.

Bundeskanzlerin Merkel könnte nämlich nach Artikel 68 Grundgesetz die „Vertrauensfrage“ stellen. Das hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 vorgeführt, Neuwahlen bekommen, diese knapp verloren, und damit Frau Merkel an die Regierungsmacht gebracht.

Die „Vertrauensfrage“, in der heutigen Zeit von Bundeskanzlerin Merkel beantragt, würde die Unions- und die SPD-Fraktion in das Hochrisiko von Neuwahlen führen. Käme die Union auf 32, die SPD auf 20 Prozent? Es bliebe wahrscheinlich nichts übrig, als sich wieder auf eine Große Koalition (GroKo) zu einigen. Das Ansehen der GroKo-Parteien bei der Bevölkerung wäre jedoch vollends dahin.

Angesichts solcher Perspektive bei Neuwahlen, würde der Antrag der Bundeskanzlerin Merkel, ihr das Vertrauen auszusprechen (Art. 68 GG), zu einem Kotau der GroKo-Fraktionen führen.

Da wir Bürger annehmen können, dass Kanzlerin und Vizekanzler mit all diesen „Folterinstrumenten“ bestens vertraut sind, ist anscheinend nur der freiwillige Rücktritt der Bundeskanzlerin denkbar.

Dies hat der kluge Politikexperte Gabor Steingart erkannt und sieht Bundeskanzlerin Merkel „auf dem langen stolzen Gang der Verbitterung“. *2) Vor vielen Jahren habe ich schon einmal eine Einschätzung Gabor Steingarts über Frau Merkel notiert: „Tausend Termine, keine Idee.“

Und nach all den verdienstvollen Jahren Frau Merkels in politischer Verantwortung seit 1990 könnte ein Politikbeobachter doch schließen: Herr Steingart wird es nicht zum Merkel-Versteher bringen. Er scheint vielmehr ein struktureller Merkel-Missversteher zu sein.

Denn schon das brilliant klingende Wort „Tausend Termine, keine Idee“ verkennt die elementare Politikerfahrung, dass sich ein erfolgreicher Machtpolitiker niemals öffentlich an eine Idee bindet. Sondern sich erst bei großem und sicherem Erfolg auf (s)eine Idee setzt.

Und bei „dem langen stolzen Gang der Verbitterung“, auf dem Steingart die Kanzlerin Merkel sieht, hat ihn wohl profunde literarische Bildung hingerissen.

Bei so vielen Zweifeln an doch wohl erfahrenen Merkel-Deutern muss das Irrtumsrisiko eingegangen und eine alternative Hypothese zum scheinbar rätselhaft kompromisslosen Festhalten Merkels an der Willkommenskultur gewagt werden.

Annahme 1: Frau Merkel hat nicht die Absicht, noch einmal für die Union einen Wahlkampf zu bestreiten.

Annahme 2: Dieses Deutschland ohne Willkommenskultur ist nicht mehr „mein Land“ (Merkel).

Annahme 3: Dieses Europa ohne Willkommenskultur ist nicht mehr „mein Europa“ (Merkel)

Annahme 4: Frau Merkel kann auf großen Einfluß und die Gestaltung von Politik in höchsten Positionen nicht verzichten.

Annahme 5: Frau Merkel besitzt das Vertrauen des Präsidenten Obama, des Präsidenten Putin, des Präsidenten Xi Jinping, den Beifall aller staatlichen Nutznießer deutscher Willkommenskultur und Hilfsbereitschaft.

Hypothese: Frau Merkel ist die erste Frau und weltweit die stärkste Kandidatin für die Nachfolge des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, dessen Amtszeit am 31.12.2016 endet.

Dieser große Weg der Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre statt des „langen stolzen Ganges der Verbitterung“ (Steingart) für Deutschland eine Ehre. Und für die UNO — ein Augiasstall der Korruption — eine Hoffnung. *3)

*1) Model/Creifelds, Staatsbürger-Taschenbuch, 33. Auflage, München 2012; Bundeskanzler; S. 233.

*2) Handelsblatt. Morning Briefing von Gabor Steingart. Donnerstag, 21.01.2016.

*3) „The United Nations is a hotbed for corruption and abuse. It is opaque, diplomatically immune, largely unaccountable – and has come to regard billions in U.S. tax dollars not as a privilege to be earned, but as an entitlement.“ Toby Dershowitz; March 2013. United Nations Corruption and the Need for Reform; http://www.defenddemocracy.org/.

Ferner u.a.:

Transparency International says the United Nations must work harder to reduce corruption; October 9, 2013; http://www.usatoday.com/story/news/world/2013/10/09/united-nations-corruption-report/2956565/.

The long, sordid tale of corrupt UN leadership. By Benny Avni, October 11, 2015; http://nypost.com/.