Kunde, Kasse, bon?

Kann der Bürger als Kunde nach Zahlung an der Kasse im Einzelhandel oder dem Restaurant sagen: Gut? Richtig? Korrekt? Vielleicht. Allerdings nicht immer “bon“. Denn in Frankreich …

… ist die gesetzliche Kassenbonpflicht nach zwei Jahren wieder abgeschafft worden, was jedenfalls der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Herr Stefan Genth, als “bon“, sogar dankbar als gute Nachricht quittieren mag: “C’est une bonne nouvelle!“

1. Die Interessenten an der Kasse: Staat und Handels-Lobby.

Die in letzter Zeit sehr häufigen Kommentare zum bereits drei Jahre alten Kassengesetz, das am 01.01.2020 in Kraft tritt, wurden heute mit einem langen Gespräch im Deutschlandfunk gekrönt: “Kampf gegen Steuerbetrug. ´Kassenbon-Pflicht zielt weit über das Ziel hinaus`“. So gab die Überschrift gleich das Ziel des Staates und die Einwände des Herrn Genth (HDE) wieder. *1)

Interessant erscheint aus Sicht des Bürgers, der als Kunde auf den Einzelhandel angewiesen ist, dass die aktuellen Erörterungen zur gesetzlichen Kassenbonpflicht allein vom Abkassieren handeln. Der Staat will den steuerlichen Zugriff im Handel und Gastgewerbe verschärfen, weil dort mutmaßlich die Umsätze zu niedrig ausgewiesen würden. Die Lobby des Handels will, dass die Kunden zahlen, ohne dass es das Geschäft viel Zeit und Geld kostet, wenn die Kasse klingelt.

Der Kassen-“Bon“ soll verhindern, dass dem Staat zehn Milliarden Euro pro Jahr entgehen. Obwohl der “Bon“, so erfahren wir vom Handels-Lobbyisten Genth (HDE), weder dem Staat noch dem Kunden Nutzen stifte. *1)

2. Zentralregel des Handels: Wissen ist Macht.

Diesem Motto folgend, argumentieren die Verbände des Handels gegen die Kassenbon-Pflicht: *1)

  • Weil sie für “den Kunden und für die Finanzverwaltung keinen Mehrnutzen bringen“ werde.
  • Weil “überall, wo Kassen eingesetzt werden, auch in der Gastronomie beispielsweise, .. im Grunde genommen nicht mehr betrogen werden (kann). Der Bon führt eben da auch nicht zu mehr Sicherheit oder auch nicht zu mehr Manipulationsschutz.
  • Weil “an der Kasse ja mehrere Personen beteiligt sind, um solch eine Umsatzverkürzung überhaupt vorzunehmen. Das ist insofern schon weltfremd und in den Branchen des Einzelhandels auch nicht durchführbar. Stellen Sie sich den Unterhaltungselektronikmarkt vor, den Textildiscounter, das Textilgeschäft, den Lebensmittelmarkt: Auch da ist es heute schon nicht möglich.“
  • Weil “Kunden den Kassenbon gar nicht mehr mitnehmen wollen oder eben beispielsweise auch elektronisch aufgespielt bekommen auf eine entsprechende App, auch das gibt es heute bei uns im Handel schon“.
  • Weil doch das Gemeinwohl, der Einzelhandel und auch der Kunde den Umweltschutz fordern. Dem schade der “Bon“, denn er “wird ungefähr 15 Zentimeter länger, als er heute ist, ohne dass der Kunde, der Verbraucher dadurch irgendeinen Nutzen hätte. Und das Thermopapier, was bei Kassenbons erforderlich ist, eben nicht recycelt werden kann, es muss also im Restmüll landen, verbrannt werden.“

Woher wissen denn Handels-Lobbyisten, wie Herr Genth (HDE), so viel über den Nutzen und die Wünsche der Kunden? Die seiner Meinung nach *1) “den Kassenbon gar nicht mehr mitnehmen wollen“, damit “zwei Millionen Kilometer zusätzliche Kassenbons“ die Umwelt nicht belasten.

3. Forschung und Gebote für den Handel oder für die Kunden?

Wir ungefragten Kunden sollen sicher sein: Der Handels-Lobbyist Genth (HDE) kennt uns und unsere Bedürfnisse besser als wir uns selbst; denn er hat gewiss seine Hausaufgaben gemacht.

“Der Kunde ist König – Marktorientierung im Einzelhandel“ — dieses Forschungsprojekt an der Steinbeis-Hochschule Berlin ist zeitnah, relevant und liefert neue Information, zum Beispiel über heutige “hybride Käufer“. Solche Kunden fahren mit “dem Porsche zu Aldi, (um) anschließend im Delikatessengeschäft französische Gänseleber zu kaufen“. *2) Jetzt wissen wir endlich genauer, welche Kunden König sind.

Handels-Lobbyist Genth (HDE) dürften solche „Forschungsergebnisse für dienstleistungsintensive Einzelhandelsunternehmen“ der Steinbeis-Hochschule Berlin interessieren, ebenso der dort erforschte „Paradigmenwechsel für das Unternehmens-Marketing von kleinen dienstleistungsintensiven Einzelhandelsunternehmen und ihren Einkaufsverbänden“. *2) Führungskräfte nutzen häufig die etwas pompöse Floskel des „Paradigmenwechsels“, zum Beispiel Wandel im Leitbild der Organisation, wenn sie die Bedeutung ihrer Aussagen für ihre Organisation oder das Gemeinwohl unterstreichen wollen.

Handels-Lobbyisten wie Herr Genth (HDE) werden deshalb auch die gewiss am Gemeinwohl orientierten “10 Erfolgsregeln im Kundenkontakt (Einzelhandel)“ kennen und begrüßen, z. B. “Regel 1: Freue dich über jeden Kunden“. *3) Oder die “10 Grundregeln zum Umgang mit Kunden“: Regel 4: “Wissen ist Macht! Je mehr du über deine Zielgruppe(n) weißt, desto besser kannst du ihnen klar machen, warum sie ausgerechnet bei dir und nicht bei deinen Mitbewerbern kaufen sollen.“*4)

Wen kann nun noch überraschen, dass auch im politischen Wettbewerb nach dem Motto „Wissen ist Macht“ verfahren wird? Erst beim Blick von ganz oben wird die gerade in der Politik verbreitete „Datensammelwut“ so deutlich kritisiert wie von Bundespräsident Steinmeier auf dem evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund. Allerdings waren Adressaten dieser Kritik des Staatsoberhauptes nicht die Parteien, sondern, wie der Beifall zeigte, die in den USA ansässigen Google & Co.. *5) Nach diesem Hinweis auf Gott, Kirche und Politik als Quellen des Wissens um das Gemeinwohl sei erlaubt, zur Mühe der Ebene des Handels, der Kunden, des Kassenbons zurück zu kehren.

4. Zwei der Lobby unbekannte Kunden.

Für die Freude des Handels über jeden Kunden und für seinen machtbewussten Wissensdurst sei deshalb hier in aller gebotenen Bescheidenheit über zwei Kunden berichtet, die sich kürzlich zufällig begegneten.

Vom Schlachter kommend, sah ich, wie einer vor mir aus dem Geschäft gegangenen älteren Dame nach einem Griff in die Manteltasche ein Stück Papier entfiel. Ich ging ihr nach, hob den Zettel auf, es war der Kassenbon, den sie auf Nachfrage der Verkäuferin erbeten hatte.

Die Dame dankte mir erfreut und sagte, ihr sei der Kassenbon sehr wichtig. Denn, erstens, prüfe sie zu Hause, ob sie alles bekommen habe, wofür sie im Geschäft bezahlte. Sie hebe, zweitens, die Bons auch auf, weil sie so sehen könne, welche Ware teurer oder preiswerter geworden sei.

Beeindruckt versicherte ich der Dame, dass nicht sie mir, sondern ich ihr zu danken hätte, und dass ich über ihre vernünftigen Grundsätze sorgfältig nachdenken würde.

Von den beiden Wünschen dieser bewundernswert wirtschaftlich denkenden Kundin war in der gesamten Kommentarflut der vergangenen Wochen überhaupt nicht die Rede. Allein die Interessen der Politik an höheren Steuereinnahmen und die auf Kostensenkung gerichteten Einwände der Handelsverbände gegen die Kassenbonpflicht kamen in den Medien zur Geltung.

Nun hoffe ich als Kunde auf großherzigen Umgang des Einzelhandels und seiner Verbände mit der hier mitgeteilten Information über das Interesse einer Kundin am Kassenbon. Ganz im Sinne der Handels-Regel 5 “Höre aktiv zu“, der Regel 9: “Widerspreche nicht“ und der Regel 10: “Bedanke dich“. *3) Schließlich widmet sich die Forschung für den Einzelhandel ja der uns Kunden ganz neuen Erkenntnis: “Der Kunde ist König“. *2)

Damit wünsche ich allen Kundinnen und Kunden und auch dem Einzelhandel und seinen Verbänden ein gutes Neues Jahr 2020.

*1) Kampf gegen Steuerbetrug. „Kassenbon-Pflicht zielt weit über das Ziel hinaus“. Stefan Genth im Gespräch mit Stefan Heinlein. 30.12.2019; https://www.deutschlandfunk.de/kampf-gegen-steuerbetrug-kassenbon-pflicht-zielt-weit-ueber.694.de.html?dram:article_id=466810

*2) Der Kunde ist König – Marktorientierung im Einzelhandel. Forschung an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Der Einzelhandel hat in den letzten Jahrzehnten einen enormen Wandel durchlebt; https://www.steinbeis.de/de/publikationen/transfermagazin/transfer-042012/der-kunde-ist-koenig-marktorientierung-im-einzelhandel.html

*3) 10 Erfolgsregeln im Kundenkontakt (Einzelhandel); http://mv startups.de/Ichhabegegründet/MarketingVertrieb/Kundengewinnen/10ErfolgsregelnimEinzelhandel.aspx

*4) 10 Grundregeln zum Umgang mit Kunden; http://mv-startups.de/Ichhabegegründet/MarketingVertrieb/Kundengewinnen/10GrundregelnzumUmgangmitKunden.aspx

*5) Kirchentag und die großen Themen. Wider die Angst. Von Kristina Hofmann. 20.06.2019; www.zdf.de.