Libyen-Intervention – Bundesregierung u. Oppositionsführer hatten Recht.

Inzwischen bricht in der Nato Streit aus: Franco Frattini, der international angesehene italienische Aussenminister, erklärt, dass „eine sofortige Aussetzung der Feindseligkeiten dringend notwendig sei, um Hilfskorridore für die Bevölkerung einzurichten“ (Welt kompakt, 23.06.2011). Dies wird von den Bündnispartnern Großbritannien und Frankreich abgelehnt mit dem Argument, diese Forderung sei an Gaddafi zu richten.

Eurotopics, die Europäische Presseschau der bpb, resümiert die Debatte: „Der Streit verdeutlicht die Planlosigkeit der Nato in Libyen, meinen Kommentatoren und fordern das Bündnis auf, endlich das Ziel des Einsatzes zu definieren.“ (23.06. 2011).

Oppositionsführer Steinmeier hatte die Position der Bundesregierung – Enthaltung im UN-Sicherheitsrat, aber keine Neutralität – unterstützt. Seine Argumente: „Weder Einsatzführung noch Ziel des militärischen Engagements seien klar definiert. Zudem seien die Sanktionsmöglichkeiten nicht voll ausgeschöpft worden. Die Rolle Frankreichs sei zweifelhaft und die Zusammensetzung des libyschen Revolutionsrats sei auch nicht so nobel, wie manche meinten.“ (Spiegel online, 24.03.2011).

Das beurteilten sozialdemokratische FraktionskollegInnen anders und fielen ihm in den Rücken. „Vehement für deutsches Eingreifen“ (Spiegel, aaO.): u.a. Thomas Oppermann (Wehrdienstverweigerer); Rolf Mützenich, Hans-Ulrich Klose (beide nie Wehrdienst geleistet); Heidemarie Wieczorek-Zeul, Andrea Nahles, Edelgard Buhlmahn (zwar auch ungedient, aber dafür scheinen die Damen besonders rabiat!). Von außen Joschka Fischer (zwar ungedient, aber immerhin als General der Putztruppen-Kommandos ausgewiesen), wieder sehr erregt. Er hat zwar keine politische Verantwortung, dafür aber „die Scham für das Versagen unserer Regierung und – leider! – auch unserer roten und grünen Oppositionsführer, die diesem skandalösen Fehler auch noch Beifall spendeten!“ (Standard.at, 25.03.2011). Der Einzige der hier Genannten, der Wehrdienst für unser Land leistete: Frank-Walter Steinmeier! Doch dies nur als Beobachtung am Rande.

Humanitäre Einsätze zum Schutz von Menschen sind völkerrechtlich geboten und werden hier nicht in Frage gestellt. Aber alle Erfahrungen mit solchen Militäreinsätzen sind in Libyen in den Wind geschlagen worden: Falsche Lagebeurteilung (Gaddafi stütze sich nur auf seine ausländischen Söldner, hieß es), keine „Exit-Strategie“ (Abschlussplanung für den Einsatz). Und nun steckt die Nato auch noch im „mission creep“ (d.h. vor schleichender Ausweitung der Einsatzführung): Erst hieß es noch, nur Flugverbotszonen durchsetzen, inzwischen wird libysche Infrastruktur zerbombt mit „Kollateralschäden“ und getöteten Zivilisten – „wir bedauern“, sagt der Nato-Kommandeur.

„Interventionistische Gedächtnisstörung“ konstatierte der sicherheitspolitische Experte Professor August Pradetto (Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg). Er erinnerte an die vergleichbare von der Nato verhängte Flugverbotszone zum Schutz der kosovarischen Zivilbevölkerung vor serbischen Streitkräften und Milizen. Auch bei dieser Intervention wurde ein Regimewechsel angestrebt und der Einsatz externer Bodentruppen ausgeschlossen.

Die Folgen  dieses Vorgehens sind bekannt: Blutige Eskalation durch beide (!) Konfliktparteien, Bürgerkrieg, eine Million Vertriebene, zwanzigtausend Tote, 500 zivile Opfer durch „Kollateralschäden“ der Nato-Einsätze. Und im Kosovo war die Freund-Feind-Lage noch übersichtlich. 90% der Bevölkerung im Kosovo, die Albaner, hatten den Einsatz der Nato gewünscht. Und der Aggressor Milosevich war international isoliert (vergessen wir Hellas und Russland). Das, so Pradetto, sei in Libyen anders, offensichtlich finde Gaddafi Unterstützung, nicht nur bei Sicherheitskräften und Teilen der Bevölkerung im Lande, sondern auch in verschiedenen arabischen und afrikanischen Staaten.

Professor Pradettos Analyse stützt die Position der Bundesregierung und des Oppositionsführers: „Weder die EU noch die Nato noch die Arabische Liga oder die Afrikanische Union sind sich über Ausmaß, Reichweite und Ziel der militärischen Intervention einig.“ Und er schließt: „Wenn die deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat indirekt auch eine Erwiderung auf die Arroganz einiger europäischer Politiker war, sich selbstherrlich über Partner und gemeinsame Institutionen hinwegzusetzen, diese dann aber für die eigene Politik und persönliche Ambitionen instrumentalisieren zu wollen, dann war sie, lieber „entsetzter“ Joschka Fischer, auch von daher gerechtfertigt und notwendig.“ (vgl. Standard.at, 28.03.2011).

Die Bundesrepublik Deutschland leistet bereits jetzt sinnvolle politische Initiativen zur Überwindung des Konflikts und zur Entwicklung eines neuen Libyen. Denn sie ist nicht in eine militärische „Augen zu und durch“- Politik verstrickt.

Die Sozialdemokratie sollte ihrem Oppositionsführer Steinmeier für seine Standfestigkeit danken und dafür, dass er die SPD vor einem völlig verfehlten Konflikt mit der Bundesregierung bewahrt hat. Er versteht eben die Außen- und Sicherheitspolitik und hat mit seiner Haltung auch den Werten und Interessen Deutschlands gedient.