Ach, Hellas …

Wer kennt nicht sympathische Griechinnen und Griechen. Migrationsfachleuten zufolge sind sie in der Bundesrepublik besser integriert als z.B. die Italiener. Wer mit Griechinnen oder Griechen mal zu tun hatte, weiß, dass diese Menschen handeln und verhandeln gelernt haben. Beinhart, es ist ein Vergnügen.

Beim Verhandeln mit Hellenen empfiehlt es sich, zunächst in bester Stimmung und Atmosphäre bei einem Ouzo mal den Blick in die jeweils verfügbare Büchse der Pandora mit den Folterwerkzeugen anzubieten.

Nicht als Drohgebärde, natürlich nicht, sondern als bedauerliche Konstatierung der Lage, unter der wir alle leiden, und die uns „die verdammten USA mit der Immobilienkrise“ angerichtet haben. Nun müssen wir alle „wegen der Amerikaner“ den Gürtel enger schnallen und mehr produzieren als im Inland konsumieren. Dann werden wir auch wieder kreditfähig und kreditwürdig.

Die nächste Runde Ouzo würde mit einer Unterhaltung über die Narren eingeleitet, die den Griechen empfehlen, den Euroraum zu verlassen und mit Abwertungen den Weg ins Glück zu suchen. Sind es Dummköpfe oder Heuchler oder gar bösartige Fallensteller?

Was wäre denn die Folge eines Euro-Ausstiegs und der Wechselkursfreigabe einer neuen Drachme? In der Situation eines stark importabhängigen Landes mit geringer produktiver Angebotselastizität: eine kräftige Inflation. Was rief uns in den letzten Tagen ein Athener Imbissbesitzer zu? „Was sollen wir denn produzieren, außer Souflaki und Tourismus können wir nichts!“ Kredit von außen gibt es dann auch nicht, denn wie sollte Kredit mit Drachmen, die keiner akzeptieren wird, bedient werden?

Nach dem Inflationsschock durch Abwertung werden vom Gewerkschaftsbund PAME – stramm kommunistisch, noch immer und jetzt erst recht schon wieder! – befeuerte Zweitrunden-Effekte und damit eine Preis-Lohn-Preisspirale nicht auf sich warten lassen. Und womöglich Unruhen, die Touristen vergraulen.

Dagegen wird auf hinreichend verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit sehr lange zu warten sein, selbst bei Austerität und harter Arbeit. Abwertung wirkt, wenn überhaupt, nur bei hohem Export-Potential. Sonst geht es nur durch scharfe Reduktion der Einkommen, Importrückgang und mühsamem Aufbau von Importersatz-Produktion. Somit ist zunächst Stopp der Inflation durch die griechische Notenbank zu erwarten, verbunden mit tiefer Rezession, Arbeitslosigkeit und Reallohnverfall.

Gegen dieses Szenario ist das Angebot der EU/Eurogruppe an Hellas, d.h. Kredite gegen schrittweise Spar- und Reformprogramme zur Verbesserung von Kredit- und  Wettbewerbsfähigkeit, ein Spaziergang. Weil es die Lasten zeitlich streckt, abmildert und im Kontext eines beginnenden europaweiten Aufschwungs Erfolgschancen besitzt.

Die Griechen müssten von Sinnen sein, darauf nicht mit einem ernstzunehmenden Eigenbeitrag zu reagieren. Ebenso müssten die Gläubiger den Verstand verloren haben, wenn sie keinen freiwilligen Beitrag leisteten nach der Überlegung „Entweder auf 30 % verzichten oder auf 50% und mehr“.

Aber man kann bei den Hellenen nie sicher sein und auf Rationalität setzten. Zumal es groß tönende Experten gibt, wie Herrn Fricke von FTD, die den Griechen versichern, wie sehr Deutschland von den Exportlieferungen an sie, wie sehr es sogar noch von ihrem Schuldenproblem profitiert.

Hellas muss bei solch intellektuellem Beistand also zum Ergebnis kommen: Erstens, lasst doch die Deutschen ihre unverschämten Exporte an uns selbst bezahlen. Und zweitens, nicht der Schuldner muss zahlen, sondern der wucherische Gläubiger. Klar, das hatte Herr Fricke schon von Ministerpräsident Papandreou im letzten Jahr gelernt: „EU an unserm Betrug mitschuldig“, empörte der sich. (Schweizer Fernsehen, 20. Februar 2010). Außerdem wird jetzt wieder die Rechnung für die Nazi-Zeit präsentiert – EU in Mithaftung?

Nun wird es langsam Zeit, vor der letzten Runde Ouzo noch nüchtern zu erörtern, warum und wie sehr uns Europäern Hellas am Herzen liegen muss.

1. Vor und seit dem Beitritt zur Euro-Währungsunion massive und andauernde Fälschung der Haushaltszahlen. Freundlich entschuldigt als „creative accounting“. Das war bekannt und auch zwei deutsche sozialdemokratische Finanzminister drückten beide Augen zu. Nicht nur ein Mal, nein, jeden Monat, bei den Treffen von ECOFin und Euro-Gruppe in Brüssel, wo es vertragsgemäß um die Stabilität und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen gehen soll. Den Griechen wurden auch freundlich, natürlich ohne dass sie etwa darum verhandelt hätten, EU-Fördergelder überwiesen. Lt. Bild allein 2008 aus dem Regionalfond 4.7 Mrd. € (15.06.2010). Alles aus Liebe zu Hellas.

2. Nach einem Plan von Kofi Annan wurde die Möglichkeit geschaffen, die gesamte Insel Zypern in die EU aufzunehmen. Die Nordzyprioten stimmten in einem Referendum mit dem Ziel, von der Türkei unabhängig zu werden, mit 76 % für das Ende der Teilung und die EU-Perspektive. Die griechischen Südzyprioten stellten sich dagegen. Die Teilung der Insel war nun vertieft. Die EU hatte zunächst auf der politischen Lösung des Zypernkonflikts als Bedingung für einen EU-Beitritt bestanden. Da zeigten die Griechen ihre ganze Verhandlungskunst: „Lasst diese Bedingung fallen, sonst legen wir ein Veto gegen die EU-Osterweiterung ein.“ Damit kippte 1999 die Bedingung, den Zypernkonflikt zu lösen. Aus Liebe zu Hellas.

3. Hilfreich waren die Griechen schließlich auch auf dem Balkan. Nicht etwa, um die Bosniaken oder die Kosovaren vor Völkermord zu schützen. Das wäre eigentlich Sache der EU gewesen. Statt dessen mussten v.a. die USA eingreifen. Die edelsten Hellenen aller Parteien, genannt sei nur der große, verehrungswürdige Mikis Theodorakis, erhoben sich zu Protest und Appell: Gegen den verbrecherischen Krieg der NATO in Jugoslawien! Auf die Anklagebank mit diesen Verbrechern am Völkerrecht! Freiheit für den rechtswidrig entführten ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevich! Ja, auch damit wärmte Hellas unser Herz.

Und nun ringen die Finanzminister in Brüssel um eine Lösung und Hilfe für Hellas. So bitten wir Euch, Ihr als Wiege unserer europäischen Zivilisation, der Philosophie und der Mathematik – rechnet nach und ergreift doch die ausgestreckten Hände. Cem Özdemir, hoffentlich ist es Euch recht, fordert doch schon diese Fliegenbeinzähler auf, endlich vor Euren Sparanstrengungen den Hut zu ziehen. Die Miesmacher der Troika-Mission (IWF, EU, EZB), die bei Euch waren und Unsinn schrieben, wurden doch schon gezwungen, den Bericht über Euer Sparen und Reformieren hübscher zu fassen.

Nehmt sie doch bitte, unsere Hilfe, und spart ein wenig. Euer Cem Özdemir hat heute auch schon „Geld für Investitionsprogramme“ für Euch gefordert. Wir hören auf diesen scharfen Denker. Denn er sieht uns „deutsche Steuerzahler und die Griechen in einem Boot … weil wir mit den gleichen Problemen zu tun haben.“ Und, vor allem, er hat uns gezeigt, was für blutige Anfänger in der EZB sitzen, in dem er diese Amateure auffordert, doch endlich von den Umschuldungserfahrungen in Südamerika zu lernen.

Ach, Hellas – nun ein Helles!