Politische Sicherheitskultur – frivol und manipulativ?

Am Pfingstsonntag vormittag dankbar für ein anregendes Gespräch zwischen dem Sicherheitsexperten Georg Sieber und Michael Krons (Phönix, Im Dialog). Mein Versuch, den Zynismus zu unterdrücken, folgte bald …

Phönix erinnerte uns schmerzlich an die olympischen Sommerspiele 1972 in München. Georg Sieber hatte das Sicherheitskonzept für die Spiele kritisiert „und ein sehr realistisches Szenario vorgestellt, das später eintrat.“ Die Ermordung israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen – ein Verbrechen mit einer verdrängten, vielleicht nie richtig aufgearbeiteten Ereigniskette. Und politischen Verantwortlichkeiten. Aber „The games must go on!“ (IOC-Präsident Brundage).

Georg Sieber hat das Thema Sicherheit nicht losgelassen. Mit Achtung spricht er von der Sicherheitskultur, die Ingenieure, z.B. in AKW´s durchsetzen. „Dort ist Sicherheit“, stellt er fest. Im Unterschied zu der von Politikern maßgeblich geförderten „politischen Sicherheitskultur“!

Die politische Sicherheitskultur sei dadurch gekennzeichnet, dass „alle ihre Heulbojen aufgestellt“ haben. Den Zweck der Übung habe ich so verstanden: Mit der „Angstmacherei“ werde gleich die weiße Salbe angeboten, durch die sich die Menschen in Sicherheit wiegen sollen und wollen. Und dafür ihre Beschützer wählen. Alle Parteien treiben es so, was einleuchtet, da sich bekanntlich Ängste unterschiedlich ausrichten. So weit, so gut. Aber mit der eindrucksvollen Bestätigung der These Siebers Schlag 12 Uhr hatte ich dann doch nicht gerechnet.

Gewohnheit liebend, um 12 Uhr also die Nachrichten vom Deutschlandfunk. Und die Evidenz folgt der These Siebers auf dem Fuße, passend wie die Faust aufs Auge: Der ohne Frage bedeutende Mediziner und Gesundheitsökonom Herr Dr. Karl Lauterbach zu EHEC. Die Seuche ist noch nicht vorbei, da kündigt er schon neue Ausbrüche an.

Und Dr. Lauterbachs Lösung für das ganze Unglück? Erstens, ärztliche Fallmeldungen an das RKI künftig – hört und staunt – nicht brieflich, sondern per e-mail! (Vor, nach, mit oder ohne Laborbefund? RS). Zweitens, (später in der Tagesschau): „Der Gesundheitsminister muss sagen, was angesagt ist!“ (Zu diesem Exklusiv-Anspruch des kommenden Gesundheitsministers: Darf sich vielleicht auch der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz äußern, wenn es um „Nahrung zu Mensch“-Übertragungen geht? RS).

Dies soll jetzt nicht zum Nostalgie-Artikel über die Sozial- und Gesundheitspolitikerin Ulla Schmidt ausarten. Ein anderes Mal, vielleicht. Aber sollten wir ängstlichen Deutschen uns nicht fragen, ob wir nicht etwas voreilig dem Reflex erliegen, in Krisen eine Zentralinstanz zu wünschen? D.h. in diesem EHEC-Fall den sich unübersehbar anbietenden kommenden Groß-Gesundheitsminister Lauterbach, der uns „Ansagen“ macht?

Tut es nicht auch effektive Kooperation in unseren föderal-bürgernahen Strukturen? Hat sich nicht die schnelle, wenn auch „unkoordinierte“ Warnung des niedersächsischen Agrarministers Lindemann vor den Sprossen als richtig erwiesen? Und unsere durch das RKI verengte Angst vor Gurken, Tomaten, Salat konkret um das wahre Übel, die Dreck-Sprossen, erweitert? Und dafür wurde Herr Lindemann richtig geprügelt.

Einmal aufgewacht, springen uns die Beispiele der von manchen Politikern geschürten Ängste und der so stimulierten „politischen Sicherheitskultur“ im Sinne Georg Siebers ins Auge.

Gegen Kriminelle: Vorrats-Datenspeicherung bis zum Sankt Nimmerleinstag, wenn es nach einigen Konservativen geht. Zusammenbruch des Mittelstandes, so die grundlose Tartarenmeldung von nicht wenigen Liberalen – meinen die vielleicht ihre Apotheker-Klientel und noch mal Steuern runter? Oder nehmen wir die Grünen, aktuell in unserer Zeit des Terrors: der vollbesetzte Jumbo, der in ein AKW gesteuert wird. Und ihre beruhigende Lösung? Ein Parteitag Ende Juni. Der soll entscheiden, ob Deutschland und die Jumbos bis 2022 oder bis 2017 warten, um den AKW´s ein Ende zu machen.

Danke für Ihren Zwischenruf, Herr Sieber! Hatte Adenauer 1952 im Deutschen Bundestag noch gerufen, „Wir wählen die Freiheit!“, sind wir heute weiter: Wir wählen die Sicherheit.