Macron vs Populismus.

Bereits am 23. April 2017 findet die Präsidentschaftswahl (Stichwahl: 7. Mai) in Frankreich statt. Siegt der Front National mit Marine Le Pen, sind die Folgen unabsehbar: Ende des Euro, der EU, der deutsch-französischen Partnerschaft für europäische Politikziele in einer „Welt aus den Fugen“ (Steinmeier). Deshalb hier der Versuch, die politischen Positionen des unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron zu referieren. *1)

Der nationalistischen Kampagne des Front National stellte Macron sein politisches Leitmotiv (le fil rouge), das “Triptychon“ (ce tryptique) *1) der historischen Werte Frankreichs entgegen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit — symbolisiert in der Nationalflagge, der Trikolore.

Macrons politisches Projekt zusammengefasst: Nicht „im Namen des Volkes“ schwadronieren wie die „Bauchredner“ (des ventriloques) des Front National. Sondern einen modernen, „strategischen Staat“ (un Etat stratège) aufbauen — für die Freiheit, für die Gleichheit, für die Brüderlichkeit, für das politische Handeln mit den Menschen und für die Menschen. *2)

1. Für die Freiheit.

Das erste Ziel der politischen Auseinandersetzung sei, die Freiheit wieder herzustellen, vor allem durch Sicherheit. Ohne Sicherheit, die Freiheit von Angst, sei keine produktive Initiative, keine Aktivität der Bürger möglich.

Deshalb werde diplomatisch und militärisch der Kampf gegen den Terrorismus, den im Ausland verwurzelten islamistischen Djihadismus geführt. Die europäische Partnerschaft der Verteidigung sei zu stärken, vor allem gemeinsam mit Deutschland. Der Haushalt für Verteidigung werde stufenweise auf 2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) angehoben.

Ferner seien die Gewissensfreiheit- und die Meinungsfreiheit zu stärken. Der auf religiöse Neutralität verpflichtete laizistische Staat Frankreichs bilde einen „Schutzschild“ (un bouclier) — für den Staat, wie für die religiöse und weltanschauliche Überzeugung der Bürger.

Macron wählt das Beispiel einer Frau, die ihm gesagt habe, dass sie auch bei der Arbeit den „Schleier“ (le voile) trage. Da sie nicht im öffentlichen Dienst tätig sei, habe der Staat sich dieser zivilisatorischen und moralischen Herausforderung zu stellen und die Gleichwertigkeit der Ansprüche auf Gewissensfreiheit zu schützen. Nur so sei das friedvolle Zusammenleben von Franzosen verschiedener Glaubensrichtungen möglich.

Die „laïcité“ sei keine Bedrohung für die Menschen Frankreichs, sondern Ausdruck der Freiheit für alle, Verpflichtung und Recht für jeden Einzelnen.

Macron bringt diese Forderung der Freiheit auf den Punkt: Es gebe keine französische Kultur, jedoch eine Kultur in Frankreich, und die sei „diverse … multiple“. *1)

Sodann sei für die „Freiheit der Arbeit, den Geist der Initiative und der Innovation“ politisch zu kämpfen.

Macrons Begegnungen mit Menschen in Stadt und Land hätten ihn gelehrt: Sie fragten nicht nach mehr Sozialleistungen oder Subventionen, sondern nach Arbeit und regulierendem Schutz vor unkalkulierbar exzessiven Markt- und Preisschwankungen.

Deshalb sei nicht mehr Sozialhilfe, sondern eine moderne Regulierungsreform das Ziel, um Arbeitsleistung und unternehmerische Initiative in Industrie und Landwirtschaft zu fördern. Durch Senkung der Kosten für die Arbeit in den Betrieben und zugleich Entlastung der Löhne und Gehälter von Abgaben: Es dürfe „nicht interessanter werden, sich etwas anderem als der Arbeit zu widmen“. *3)

Freiheit für Arbeit heiße zugleich Freiheit für Innovation. Die Fähigkeit für Forschung, Entdeckung und Erfindung sei zu fördern, die Selbständigkeit und Freiheit der Forschung zu schützen.

Zu schützen vor gestriger Ideologie und vor dem populistischen „Obskurantismus“ (l`obscurantisme), der sich gegen wissenschaftliche Forschung, etwa auf medizinischem, klima- oder umweltpolitischem Gebiet richte. Der durch Populismus gefährdeten wissenschaftlichen Exzellenz in den USA bietet Macron ausdrücklich Heimat an: „une terre patrie, ce sera la France.“ *1)

Macron: Wir haben die Mauern in Europa fallen sehen, wir haben die Vergeblichkeit der Maginot-Linie gesehen. Wir stehen gegen die Fundamentalisten, die von Mauern, Quoten der Ausgrenzung, von Grenzen reden — das offene, freie Europa sei „notre vraie sécurité.“ *1).

2. Für die Gleichheit.

Freiheit ohne den Grundsatz der Gleichheit ende schnell unter dem Recht des Stärkeren.

In allen Regionen und Gemeinden Frankreichs sei es Aufgabe des „Etat stratège“, der strategischen Politik des Staates, gleiche Chancen und gleichen Zugang zu schulischer, beruflicher und wissenschaftlicher Bildung, zu Gesundheitsdiensten, zum Arbeitsmarkt, zu unternehmerischer Tätigkeit zu schaffen. Gegenüber terroristischen und kriminellen Gefahren sowie für den Einzelnen gegenüber unkontrollierbaren Markt-Risiken und wirtschaftlichen Verwerfungen.

Der „strategische Staat“ habe aus Sicht Macrons zwar eine Strategie der Senkung öffentlicher Ausgaben über fünf Jahre umzusetzen. Diese sei jedoch „parallel“ durch eine Investitionspolitik „sur nos grandes priorités“ *1) zu begleiten: Digitale Wirtschaft, Energie, Modernisierung des Staates, Ausbildung der Jugend.

Eine nach diesen Prioritäten angepasste Infrastruktur für öffentliche Daseinsvorsorge und Transport solle die räumliche Gleichheit der Lebensbedingungen und damit die Chancengleichheit gegen Ausgrenzung fördern: „nous réconcilierons la France des métropoles, la France des quartiers, la France rurale, des villes moyennes et de nos territoires.“ *1.

Die Werte der Freiheit und der Gleichheit verpflichteten nicht nur den Staat — so Macron — sondern jeder einzelne Bürger müsse mit staatlich garantierten Rechten auch Verpflichtungen akzeptieren: „L’égalité que je veux, c’est une égalité face aux droits et aux devoirs“. Andernfalls arte das Streben nach mehr Gleichheit aus zu leeren Versprechungen eines Egalitarismus (un égalitarisme).

3. Für die Brüderlichkeit.

Dieser dritte Wert der Trikolore Frankreichs sichere nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sondern auch den Schutz jener gemeinsamen Güter, die nicht nach dem Belieben jeder Generation verfügbar, sondern zu wahren und weiterzugeben seien: „nos valeurs, notre langue, nos références communes, nos émotions partagées … L’eau, l’air, la nature.“ *1)

Der Wert der „fraternité“ in einem Frankreich kultureller Vielfalt verpflichte den Staat auf offenen Zugang zu Kultur- und Bildungsgütern: „c’est un accès puis un chemin … et l´Etat prendra ses responsabilités, nous puissions ouvrir nos bibliothèques, le soir, et le week-end.“ *1) Zugang und Angebote im modernen Arbeitsleben lebenslanger beruflicher und kultureller Weiterbildung, dies zu sichern sei Aufgabe des „Etat stratège“.

Konkret sagt Macron nach italienischem Vorbild jedem Jugendlichen zu, dass er mit 18 Jahren einen „Pass Culture“ im Wert von 500 € erhalten werde: für Zugang zu einem kulturellen Angebot nach eigener Wahl. Finanzieren sollen diesen „Kulturpass“ die Großunternehmen der Digitalwirtschaft.

Damit sei ein Beitrag zur Gleichheit der regionalen Lebensbedingungen zu erwarten: „notre projet de fraternité pour les territoires, c’est un projet d’égalité aussi.“ *1)

4. Versuch einer Einschätzung aus deutscher Sicht.

Macron stellt sich mit seinem politischen Projekt gegen die nationalistische Europafeindlichkeit des Front National der Marine Le Pen: „Notre combat pour la fraternité, enfin, ce sera notre combat pour l’Europe … parce que c’est notre fraternité, notre histoire, notre volonté, parce que l´Europe a été créée pour la paix, pour la prospérité, et pour le progrès.“ *1)

Macrons politisches Projekt zeichnet sich gegenüber einer mehrheitlich diffusen europapolitischen Haltung in der politischen Klasse *4) durch ein eindeutiges Bekenntnis zu Europa aus.

Frankreich brauche Europa, aber die Europäische Union brauche auch immer wieder den Impuls durch das „tryptique“ der historischen Werte Frankreichs: „plus de libertés, plus d’égalité et infiniment besoin de fraternité.“ *1) Und die darin wurzelnde Kultur der „Transparenz, der Wahrhaftigkeit, der Rechtschaffenheit und des Wohlwollens gegenüber dem Hass“ *1)

Damit steht Emmanuel Macron als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten der Französischen Republik für die Werte Europas, für die Werte des Patriotismus der Trikolore. Ein politisches Bollwerk gegen die Demagogie des national-populistischen Extremismus!

Deutsche Politiker sollten in dieser fragilen Lage Europas auf Emmanuel Macron setzen. Und sich dem Kandidaten Macron mit dessen Aufruf an das französische Volk zur Seite stellen: „Je compte sur vous!“ *1)

*1) Macron, der ehemalige Wirtschaftsminister (2014 bis 2016) Frankreichs, hat seinen politischen Standort in einer umfassenden Grundsatzrede in Lyon dargelegt: Discours d’Emmanuel Macron — 04 février 2017 — La France En Marche! Rassemblement de Lyon;

http://www.richardferrand.fr/wp-content/uploads/2017/02/EM-Discours-de-Lyon.pdf. (Übertragungen und Hervorhebungen im Folgenden: RS).

*2) A.a.O.: „Liberté, égalité, fraternité. Ce seront les mots de notre engagement.“

*3) A.a.O.: „comme vous, je ne veux plus entendre dans notre pays qu’il est plus intéressant de faire autre chose que de travailler.“

*4) Im Rahmen von Macrons durchaus nicht kurzer Rede ist das Thema Europa sicher nicht von einfacher Akzeptanz bei den Wählern. Macron wählte für den sperrigen Punkt EU wohl deshalb den in Frankreich stets beliebten ´oh, là, là`-Effekt: „Ein Ehemann fragt nach längerer Reise seine bessere Hälfte, ob sie ihm auch treu gewesen sei. Oft, versichert diese.“ So sei es auch mit der Mehrheit der politisch Verantwortlichen in Frankreich: Sie sind Europa oft treu — „nous le serons totalement“, stellt Macron klar.