NOlympia: wessen Demokratie?

Der 9. November sollte – Pogrom ´Kristallnacht` 1938 – der „Deutsche Nachdenktag“ sein, schlägt der Historiker Heinrich August Winkler vor.

Nachdenken über das, was Deutschland der Welt schuldet!

Zwischen dem 9. November und dem 11.11.2013 um 11.11 Uhr, dem deutschen Narrentag, der deutschen Narrenstunde, zeigte sich Nachdenken an vier Orten in Deutschland: München, Kreis Berchtesgardener Land (Königssee), Garmisch-Partenkirchen, Landkreis Traunstein (Ruhpolding). *1)

Nachdenk-Ergebnis: Dem olympischen Gedanken, der die Völker der Welt verbindet, schulden wir gar nichts.

Wir hatten olympische Sommer- und Winterspiele 1936, der Weimarer Republik zugesprochen, unter Verbrecherherrschaft durchgeführt. Damals hätte die Welt absagen müssen.

Wir hatten eine Sommer-Olympiade 1972, die nach fahrlässig „heiterer“ Einstellung der deutschen Behörden zum Schutz unserer Gäste hätte abgebrochen werden müssen. Elf israelische Sportler – David M. Berger (Gewichtheber), Zeev Friedman (Gewichtheber), Yossef Gutfreund (Ringer-Kampfrichter), Eliezer Halfin (Ringer), Josef Romano (Gewichtheber), André Spitzer (Fecht-Trainer), Amitzur Schapira (Leichtathletik-Trainer), Kehat Shorr (Schützen-Trainer), Mark Slavin (Ringer), Yakov Springer (Gewichtheber-Kampfrichter), Mosche Weinberg (Ringer-Trainer) – und der deutsche Polizist Anton Fliegerbauer verloren ihr Leben. *2)

Nein, olympisch gedacht schulden die Deutschen der Welt nichts. Dies durften 1,3 Millionen Lokalpatrioten (davon 1 Mio. in München) über ihren geistigen Horizont der Welt mitteilen: Wir wollen keine olympischen Gäste. Wir wollen unsere Ruhe haben „… auf dem Manufactum-Sofa .. neobiedermeierlichen Zeitgeistes … vor allem daran interessiert, dass sich im .. Vorgarten nichts tut.“ *3) Wir kennen diesen „selbstgerechten Verdruss“ *3) des überwiegend wohlhabenden, älteren Bürgertums bereits von Stuttgart 21.

Aber für Vorwürfe an solche Bürger ist die Zeit zu schade. Gerhard Matzigs treffendes Urteil wurde zitiert, um die ebenso unsinnigen wie ängstlichen – solche Bürger sind Leser – Bemäntelungen des bayerischen Focus zurückzuweisen: „Ein typisch deutsches Nörgel-Ergebnis? Nein: Das Votum ist ein Sieg der mündigen Bürger … ein Sieg der Demokratie“. *4)

Wessen Demokratie bei einem Weltereignis wie olympischen Winterspielen?

Politiker hätten niemals gewagt, bei einem Massensport wie Fußball eine Welt- oder Europameisterschaft der Meinung lokal betroffener Bürger zu unterwerfen. Statt dessen trifft das Desaster nun die besonders förderungswürdigen Spezialisten des Wintersports.

Am klaren NOlympia und am Erfolg der Olympia-Gegner – lokale Bündnisse aus Grünen, Ökologisch-Demokratischer Partei, der LINKEN, Natur-, Vogel- und vorgeblichen Mieterschützern – gibt es nichts zu diskutieren. Eine scheinbar schwache Gruppe hat die Riesenchance und die Mentalität der lokalen Bevölkerung klar beurteilt und glänzend für die Kampagne NOlympia genutzt.

Zu hinterfragen sind jedoch einige Behauptungen der Kampagne „NOlympia“.

„IOC-Knebelverträge“: Dazu das Ergebnis einer Prüfung durch Frau Sylvia Schenk, Rechtsanwältin und Sportbeauftragte von Transparency International. Frau Schenk stellt fest: Keine unkalkulierbaren Risiken … (sondern) bei einer Olympia-Bewerbung Münchens eine „faire Risikoverteilung“ für den Ausrichter. Zwar seien Passagen in den IOC-Verträgen „eine Zumutung“, sittenwidrig seien sie aber nicht. Vielmehr könnte eine transparente Bewerbung Münchens Vorbild für die olympische Bewegung sein. *5)

„Profitgier des IOC“: Wird Deutschland bei den Organisationen für olympische Spiele etwa nicht durch erfahrene Persönlichkeiten hochrangig vertreten?

Durch den angesehenen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees Dr. Thomas Bach, Jurist, 1976 Olympiasieger mit der deutschen Mannschaft im Fechten, eine der auch international erfahrensten sportpolitischen Persönlichkeiten.

Durch Dr. Michael Vesper, Gründungsmitglied und langjähriger Parlamentarier der GRÜNEN (Bundestag und Landtag NRW), seit 2006 Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Gewiss ist der Hinweis auf die Probleme des IOC ernst zu nehmen, den Manfred von Richthofen, DOSB-Ehrenpräsident und ehemaliger Präsident des Deutschen Sportbundes, formuliert: „Das IOC hat keinen guten Ruf. Olympische Spiele haben einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Bach hat einen riesigen Sack von Problemen in Bezug auf Sauberkeit, Doping, Bestechlichkeit, Transparenz. Lösungen sind notwendig.“ *7)

Dennoch kann Deutschland nicht erwarten, dass sich alle Mitglieder eines Weltverbandes wie des IOC den angeblich hohen deutschen Verhaltensmaßstäben unterwerfen. Mit solch selbstgerechter Betrachtungsweise wäre internationale Zusammenarbeit auf gar keinem Gebiet möglich.

Herr Vesper sagt deshalb: „Vieles von dem, was in den letzten Wochen über das IOC berichtet wurde, ist falsch. Da wurde das IOC offenbar oft mit einem anderen großen Weltverband verwechselt.“ *7)

Herr Bach wie Herr Vesper, beide wollten bei der Bewerbung für die olympischen Winterspiele „mit Nachhaltigkeit, besserer Infrastruktur und neuen wirtschaftlichen Perspektiven punkten. All das sind Themen, mit denen sich Deutschland international profiliert hat.“ *6)

Der Panikmache durch die Vogel-, Mieter- und Budget-Schützer der NOlympia-Kampagne hielt Michael Vesper entgegen: Der Plan für die Winterspiele 2022 führe mit 84 Prozent bestehenden und 15 Prozent temporären Anlagen zu einem ressourcenschonenden Konzept. Damit würden die bayerischen Winterspiele nach heutiger Kalkulation 3,3 Milliarden Euro kosten. Mehr als die Hälfte dieser Budget-Kalkulation, 1,8 Milliarden Euro, seien für Infrastrukturmaßnahmen vorgesehen, stellten also bleibende Werte für die vier deutschen Veranstaltungsorte dar. *8)

Deutschland ist eine der größten Handelsnationen der Welt. Aber mit welcher Einstellung? Global handeln, lokal-kleinteilig denken? In der Wirtschaftswoche wird DOSB-Generaldirektor Michael Vesper zitiert: „Ich bin sehr enttäuscht. Das ist sehr bitter für den deutschen Sport, dass wir nicht die Chance bekommen haben, der Welt zu zeigen, wie man heutzutage nachhaltige Olympische Winterspiele veranstalten kann. Ausschlaggebend ist für mich die zunehmende Skepsis in Deutschland gegenüber Großereignissen.“ *5)

Die Vorgarten-Mentalität von Bürgern kann einer Handelsnation wie Deutschland schweren Schaden zufügen.

Zwar wolle der Wiwo zufolge Bundesverkehrsminister Ramsauer „weiterhin Großprojekte umsetzen und auch in die Welt exportieren.“ *5) Aber die exportierenden deutschen Bauunternehmen planen „Verzögerungen und Mehraufwand für Bürgerbeteiligungsprozesse deshalb schon mit ein. Dabei ist die erfolgreiche Umsetzung gerade für den Export enorm wichtig, wie Andreas Geyer vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sagt: ´Wenn die Umsetzung in Deutschland hapert, tut das der Glaubwürdigkeit der Branche im Ausland einen Abbruch.'“ *5)

Dass die Bürger an vier bayerischen Orten die Welt ausgeladen haben, schmerzt deutsche Winter-Sportler. Noch wichtiger ist jedoch: Das Interesse und Ansehen einer international orientierten Handelsnation wird beschädigt. Dies ist nicht nur traurig für den deutschen Sport, sondern eine Schande für die Politik. Die dankt ab und überlässt die Verantwortung für unser weltweites Ansehen lokalem Bürger-Klüngel.

Die Chance Deutschlands, der Welt nach der Nazi-Schau 1936 und dem sicherheitspolitischen Fiasko 1972 ein gelungenes olympisches Fest zu bieten, wurde vertan. Von deutscher Politik. Und besonders ärgerlich ist die Feigheit, das Interesse des ganzen Landes dem Wunsch ruheliebender, aber abstimmfreudiger Bürger an vier Orten des Wintersports unterzuordnen.

Beim Massensport Fußball würde die Politik es nicht wagen, lokal ansässige Bürger um Erlaubnis für Großereignisse zu fragen. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach, hat deshalb „nicht die geringste Angst“ um die Bewerbung des DFB, die Europameisterschaft 2024 auszurichten. *7)

Denn der DFB denkt gar nicht daran, irgendwelche ruhebedürftigen Bürger an Austragungsorten zu befragen. Und die Politiker würden nie wagen, dem DFB mit dem Ansinnen der Bürgerbeteiligung in die Quere zu kommen – der Fußball-Mob würde sie durch die Straßen jagen!

Hoffen wir mit vielen Menschen in Oslo, Stockholm, Krakau, Lwiw, Almaty und Peking. Die wollen die Welt zum olympischen Winterfest 2022 einladen.

*1) Wahlbeteiligung: München (29 %), Berchtesgardener Land (38 %), Garmisch-Partenkirchen (56 %), Landkreis Traunstein (40 %); TV Bayern, Teletext, 10.11.2013.

*2) Wikipedia, Geiselnahme von München.

*3) Nicht in meinem Hinterhof. Von Gerhard Matzig, www.sueddeutsche.de; 11.11.2013.

*4) www.focus.de/sport/wintersport/keine-winterspiele-in-muenchen-2022-armutszeugnis-olympia-aus-ist-ein-sieg-der-demokratie_aid_1154896.html.

*5) www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/2315303/; Sport 09.11.2013, „Keine unkalkulierbaren Risiken“. NOlympia-Plakate und Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes Naturschutz in Bayern, hatten „einseitige Knebelverträge“ des IOC angeprangert; s. auch Wirtschaftswoche.de. Die deutsche Angst vor Großprojekten von Timo Stukenberg, 11.11.2013. (IOC: englische Abkürzung für Internationales Olympisches Komitee, RS)

*6) „Das Votum ist kein Zeichen gegen den Sport, aber gegen die Profitgier des IOC. Ich glaube, in ganz Deutschland sind Olympia-Bewerbungen mit dem heutigen Tag vom Tisch“, sagte Ludwig Hartmann, Grünen-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag laut Handelsblatt; s. dort: Bach geht baden, von Lisa Hegemann, 11.11.2013.

*7) Münchens gescheiterte Bewerbung. Olympia-Befürworter suchen Schuld bei anderen. Von Birger Hamann. SPIEGELONLINE, 11.11.2013. (Anspielung auf die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) bzw. Internationale Föderation des Verbandsfußballs, RS).

*8) Bürgerentscheid zu Olympia 2022. Viermal ja ist ja, dreimal ja ist nein. Von Christian Eichler, www.faz.net; 10.11.2013. (In dem Artikel fehlt nicht der Hinweis, dass Vespers Kostenkalkulation nur einen Bruchteil des Budgets für Sotschi ausmache, RS).