Opposition und Bundestag – Nachlese.

Dieser Bürger-„Journalist“ hat die scharfe Kritik an der rot-grünen Opposition geteilt, als sie mit einem Geschäftsordnungstrick die für den 15. Juni angekündigte Bundestagsdebatte zum Betreuungsgeld vereitelte.

Die für das Parlament zahlenden Bürger also um die erwartete Information prellte. Zu diesem Vorgang ist etwas nachzutragen.

Im zeitlichen Umfeld dieses „Skandals“ sind nämlich zwei Beiträge zu konstatieren, die für die Stärkung des Parlaments eintraten. Bei den Grünen durch Taten, bei der SPD mit Worten.

Den Grünen gebührt Anerkennung durch Bürger, die sich für aktive demokratische Teilhabe engagieren. Denn sie haben durch Handeln, durch Anträge bei unserem Bundesverfassungsgericht, die Rechte des Deutschen Bundestags gegenüber der Regierung gestärkt. Das ist ein bedeutender und konkreter Beitrag für unsere politische Kultur.

Die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wegen „Verletzung der Unterrichtungsrechte des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dem Euro-Plus-Pakt“ hat unser höchstes Gericht als „begründet“ anerkannt.*)

Die Bundesregierung habe ihre Pflichten gegenüber dem Deutschen Bundestag verletzt. Diese Pflichtverletzung ergibt sich aus festen Maßstäben: Die Bundesregierung schuldet dem Deutschen Bundestag „eine umso intensivere Unterrichtung …, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert.“

Von gleichrangiger Bedeutung sei die zeitliche Vorgabe des Grundgesetzes. Lesen wir nach: Artikel 23, Überschrift „Europäische Union“ fordert in Abs. 2, Satz 2 für die Mitwirkung von Bundestag und Bundesländern in Angelegenheiten der EU : „Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“

Und das heißt, stellen die Verfassungsrichter fest, „dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt.“

Und ebenso selbstverständlich habe die „Unterrichtung … angesichts der Anforderungen an ihre Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit grundsätzlich schriftlich zu erfolgen.“

Und dann weist das Bundesverfassungsgericht im Einzelnen nach, dass die Bundesregierung diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe für das Zusammenwirken mit dem Deutschen Bundestag in Fragen der Europäischen Union in einer Weise verletzt hat, die der Bürger nach dieser Lektüre als skandalös bewerten muss.

Als schwerwiegenden Führungsfehler der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die die Materie ESM und Euro-Plus-Pakt bekanntlich als Chef-Sache behandelt und die genau weiß, dass sie die Kooperation der Opposition braucht.

Und als Versagen der Justizministerin Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Profil sucht, indem sie Richtlinien der Europäischen Union zur Vorratsdatenspeicherung ignoriert. Dafür aber als Liberale nicht merkt, dass die Bundesregierung in existenziellen Fragen europäischer Zusammenarbeit unsere Verfassung missachtet und die Demokratie beschädigt.

Die Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag hat mit ihren Anträgen beim Bundesverfassungsgericht unserer Demokratie einen ganz großen Dienst erwiesen.

Auch der SPD muss zugestanden werden, dass sie sich kurz vor dem kritikwürdig unparlamentarischen Verhalten Mitte Juni um das Parlament verdient gemacht hat. Aber – wie gesagt – mit Worten. Im stets lesenswerten „Wörterbuch der Politikverdrossenheit“, das Hans-Peter Bartels, MdB, für die politische Bildung und die politische Kultur verfasst.

Buchstabe „S“ wie „Schwatzbude“ ist der Eintrag, mit dem Herr Bartels im SPD-Vorwärts vom Juni 2012 dem Parlamentarismus die Ehre gibt. Für Demokratie und parlamentarische Vertretung des Volkes wurde die SPD vor 150 Jahren gegründet. „Für all das wurde in Deutschland blutig gekämpft und gestorben“, erinnert uns Herr Bartels.

MdB Bartels fasst zusammen: „Parlamentarismus ist Machtkampf in der friedlichsten Form, die unsere Zivilisation bisher gefunden hat: Rede und Gegenrede vor aller Öffentlichkeit …“

Genau! Darauf haben wir Bürger am 15. Juni vergeblich gewartet – Ihr „feixenden Abgeordneten“ (Die Welt) vor dem beschlussunfähigen Bundestag.

Anspruch und Wirklichkeit …

*) Bundesverfassungsgericht; Pressemitteilung Nr. 42/2012 vom 19. Juni 2012; Urteil vom 19. Juni 2012; 2 BvE 4/11