Orientierung im Epochenbruch.

Unser Staatsoberhaupt, Frank-Walter Steinmeier, hat den 24. Februar 2022, den Beginn des Vernichtungskrieges, den Russland gegen die Ukraine führt, als “Epochenbruch“ bezeichnet. *1)

1. Bundespräsident Steinmeier zum “Epochenbruch“.

Zwar haben russische Kriegshandlungen und russischer Raub von ukrainischem Territorium und damit ein “Epochenbruch“ schon 2014 begonnen. Dennoch muss dem damaligen Außenminister Steinmeier zugestanden werden, dass er versucht hat, den jetzigen Krieg in Europa durch Verhandlungen zu verhindern. Steinmeier hat seinen Irrtum in der Beurteilung russischer Kriegsabsicht eingestanden und sich dafür öffentlich entschuldigt.

Der Bundespräsident hat in seiner Rede „Alles stärken, was uns verbindet“ vom 28.10.2022 dargelegt, warum er von “Epochenbruch“ spricht, in dem derzeit keine Verhandlung mit dem Aggressor Russland möglich erscheint: *1)

  • Die „Wahrheit ist: Im Angesicht des Bösen reicht .. guter Wille nicht aus. Denn nichts anderes sind Russlands brutale Attacken in den letzten acht Monaten: niederträchtig und menschenverachtend.
  • Ein vermeintlicher Friede, der solches Handeln belohnt, ein Friede, der Putins Landraub besiegelt, ist kein Friede. Er würde für viele Menschen in der Ukraine eine Schreckensherrschaft bedeuten, würde sie der Willkür und Gewalt der russischen Besatzer überlassen.
  • Schlimmer noch: Ein solcher Scheinfriede würde Putins Hunger noch vergrößern. Moldawien und Georgien, auch unsere Partner im Baltikum leben in Angst.“

Deshalb hat der Bundespräsident uns Deutsche auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet: *1)

  • Die „tiefste Krise, die unser wiedervereintes Deutschland erlebt,“ bedeute: „Es kommen härtere Jahre … auf uns zu. Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind“: Krieg in Europa, steigende Preise vor allem für Energie und Nahrungsmittel, weil bisher vorteilhafte Lieferketten zerstört sind oder wegen zu riskanter Abhängigkeit reduziert werden müssen.
  • Da Russlands Krieg gegen die Ukraine „auch uns betrifft, führt auch an wirtschaftlichem Druck auf Russland kein Weg vorbei. … Sanktionen, Abbruch von Kontakten, Waffenlieferungen in einen tobenden Krieg: … Nichts davon verträgt sich mit unseren bisherigen Vorstellungen von einem friedlichen Miteinander. Aber wir leben eben nicht in einer idealen Welt, wir leben im Konflikt. Und dafür brauchen wir Konfliktinstrumente.“ …
  • „Was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen? Es ist doch unser Interesse, dass wir uns mit unseren Partnern Russlands Rechtsbruch entgegenstemmen.“

Schon diese Feststellungen zum “Epochenbruch“ lösten Kommentare bedeutender Journalisten aus, die nicht wenige Menschen befremden werden.

2. Kommentare zu Steinmeiers Befund des “Epochenbruchs“.

Prof. Dr. Heribert Prantl bemängelt *2), dass Steinmeier keine Wege aus dem Krieg in der Ukraine aufzeige: „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich … bei seiner Rede an die Nation an diesen Fragen vorbeigemogelt.“ Prantl empfiehlt als Wegweisung, die der Bundespräsident nicht habe bieten können, den Vorschlag der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST): „das ´Einfrieren` des Konflikts durch einen Waffenstillstand“. Viel Erfolg der FEST für eine Debatte mit dem Kreml, der zur Zeit die Lebensgrundlagen der Ukrainer zerstören will! Und Dank an den Bundespräsidenten, dass er sich auf solchen Unsinn zur Unzeit nicht eingelassen hat!

Schon zuvor hatte Prantl in problematischer Weise die Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Frank-Walter Steinmeier verglichen. *3) Steinmeier wäre im Vergleich zu von Weizsäcker nicht “unbequem“ genug gegenüber dem politischen Betrieb: „Die Rede Steinmeiers zum Ukraine Krieg war zwar der respektable Versuch des Einschwörens auf harte Zeiten. Aber wirklich unbequem war sie nicht.“ Hier drängt sich die Feststellung auf, dass von Weizsäcker, gewiss verdienstvoll, in vergleichsweise “bequemer“ Zeit die Parteienpolitik mit “unbequemen“ Fragen konfrontierte. Steinmeiers Zeit des “Epochenbruchs“ erfordert dagegen eine behutsame Vorbereitung des Landes auf schwerste kommende Belastungen, um die Ukraine wirtschaftlich und militärisch zu unterstützen und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren. Insofern erscheint Prantls Vergleich zwischen den Bundespräsidenten Steinmeier und von Weizsäcker nicht sinnvoll, das Vergleichskriterium “bequem“ eher absurd.

Das Urteil des Kolumnisten für ntv, Dr. Hendrik Wieduwilt, über die Rede des Bundespräsidenten ist besonders brutal ausgefallen *4): „Polarisierte, verängstigte und aufgeriebene Bürger bräuchten jemanden, der politische Führung wenigstens simuliert, Ziele ausmacht, das Durchhalten zur Mission erhebt … Wo ist das Ziel? Reden sollen zum Handeln motivieren oder wenigstens Hoffnung auf eine bessere Zukunft spenden … Steinmeier, der Demotivationsredner“. Diese Auswahl von Zitaten des Dr. Wieduwilt verzichtet darauf, dessen schäbigste Äußerungen wiederzugeben.

Es bleibt zu betonen, dass das Urteil Wieduwilts über die Rede des Bundespräsidenten nicht nur beleidigend, sondern vor allem unwahr erscheint.

3. Bundespräsident Steinmeiers Orientierung für Ziele und Hoffnung im “Epochenbruch“.

Wer Steinmeiers Rede sorgfältig gelesen hat und seiner politischen Erfahrung und Urteilskraft vertraut, wird die von unserem Staatsoberhaupt vorgetragenen Ziele teilen, mit Hoffnung verbinden und bereit sein, die notwendigen Beiträge zu dieser Zukunft zu leisten. *1)

  • Wirtschaftskrise als Folge des Krieges: „Wir wollen in zwei Jahren sagen können: Wir haben die wirtschaftliche Talsohle durchschritten.“
  • Überwindung von Putins Krieg: „Wir wollen in fünf Jahren sagen können: Nicht nur die Ukraine hat ihre Souveränität behauptet – auch wir selbst müssen keine Angst vor neuen Kriegen in Europa haben.“
  • Bewahrung stabiler Demokratie im Epochenbruch: „Wir wollen in zehn Jahren sagen können: Wir haben diese Gesellschaft zusammengehalten, … und die Mehrheit hat ihr Vertrauen in die Demokratie bewahrt.“
  • Nachhaltige Klimapolitik trotz Krieg in Europa: „Wir wollen in fünfzehn Jahren sagen können: Trotz Krieg und Krise – wir haben sichergestellt, dass auch den nachfolgenden Generationen ein gutes Leben auf unserer Erde möglich ist.“

Ob Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 28. Oktober 2022 eine “große“ Rede hielt, mögen andere bewerten. Als Staatsbürger können wir dem Bundespräsidenten für seine richtungweisende Rede zu den Herausforderungen einer Kriegszeit des “Epochenbruchs“ danken.

*1) Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Alles stärken, was uns verbindet“. Schloss Bellevue, 28. Oktober 2022; https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2022/10/221028-Alles-staerken-was-uns-verbindet.html

*2) Prantls Leseempfehlungen. Wege aus dem Krieg in der Ukraine. 13.11.2022; prantls-blick@newsletter.sueddeutsche.de

*3) Der Bundespräsident zur Lage der Nation. Vom gerechten Frieden und vom ewigen Krieg. Prof. Dr. Heribert Prantl. 30.10.2022; prantls-blick@newsletter.sueddeutsche.de

*4) Wieduwilts Woche. Steinmeier hält Rede zur Blamage der Nation. Eine Kolumne von Hendrik Wieduwilt. 28.10.2022; https://www.n-tv.de/politik/Steinmeier-haelt-Rede-zur-Blamage-der-Nation-article23681889.html