Respekt vor der US-Wahl.

Dem Blog-Grundsatz „take it or leave it“ gemäß, liegt diesem außenpolitischen Laien und grassroot-„Journalisten“ an den folgenden Bemerkungen.

80 Prozent der Deutschen würden Obama wählen. Selbst einen scharfsinnigen und gewöhnlich auch scharfzüngigen Journalisten wie Herrn Hans-Ulrich Jörges riss es heute im N24-TV mit: Nachdem es „seit Helmut Kohl nur Schwarzbrot“ gegeben habe, „sehnten sich die Deutschen sooo nach einem charismatischen Leader“. Klug wie er ist, betonte er ausdrücklich, das deutsche Wort Führer vermeiden zu wollen. „Mitt Romney sei uns ja sooo fremd“, sei gegen Erhöhung der Steuern für die „Reichen“ und sogar gegen den Klimaschutz. Eben deshalb wären 80 Prozent der Deutschen für Präsident Obama und weil sie mit ihm „romantische Vorstellungen von Politik“ verbänden.

Sind die deutschen Wähler von solch sentimentalen oder subalternen Gefühlen besessen? Höchste Alarmstufe – gerade für sozialdemokratische Politiker, falls sie ein etwas kurzes Gedächtnis haben, höchste Alarmstufe! Deutsche Politiker sollten sich überhaupt sehr hüten, Wählerstimmungen im eigenen Land auf die Außenpolitik übergreifen zu lassen.

Nehmen wir die deutsche Stimmungs-Woge des „Anti-Bushismus“, sie ist nicht unbedingt dem Anti-Amerikanismus gleich zu setzen. Diese Woge rauschte Mitte 2002 durch Deutschland – kurz vor dem historisch knappsten Resultat bei Bundestagswahlen für eine Regierungskoalition. Damals bekanntlich Rot-Grün.

Angesichts jener Woge sah die Bundesministerin der Justiz, Hertha Däubler Gmelin, die Gelegenheit für den widerwärtigen Hitler-Vergleich gegen den US-Präsidenten George W. Bush. Achtung vor der transatlantischen Partnerschaft hätte ihren sofortigen Rauswurf aus dem Kabinett durch Bundeskanzler Schröder geboten. Der war aber gerade selbst im Wahlkampf mit durchaus anti-amerikanischem Zungenschlag unterwegs. Wogegen sich der Transatlantiker Hans-Ulrich Klose, MdB, ziemlich einsam gestellt hatte.

Diese Wahlkampf-Ausfälle 2002 hatten die Beziehungen der deutschen Sozialdemokratie zur politischen Elite der USA nachhaltig belastet. Trotz klug angesetzter Dialog-Massnahmen durch den damaligen Leiter des Büros Washington der Friedrich-Ebert-Stiftung Dr. Dettke.

Auch die deutsche Sympathie-Welle 2008 für Barack Obama mag Sozialdemokraten zu schwer erklärbaren außenpolitischen Reaktionen geführt haben.

Hier sei erinnert an das servile Angebot des Regierenden Bürgermeisters Wowereit, das Brandenburger Tor dem noch wahlkämpfenden Kandidaten Obama als Tribüne zu offerieren. Dies musste in den USA als Brüskierung für den hochverdienten und über viele Jahre bewährten Transatlantiker John McCain, den republikanischen Kandidaten, gewertet werden.

Und noch schlimmer: Wowereit verletzte durch seinen Opportunismus die Erinnerung an die historische Rede des Präsidenten Ronald Reagan vom 12. Juni 1987 am Brandenburger Tor: „Mr. Gorbachev, open this gate. Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ Und: „Yes, across Europe, this wall will fall. For it cannot withstand faith; it cannot withstand truth. The wall cannot withstand freedom.“*)

Bundeskanzlerin Merkel bewahrte die Würde dieser Erinnerung, indem sie intervenierte und den Auftritt des Wahlkämpfers Obama am Brandenburger Tor untersagte. Dies wird sie in der Achtung eines Mannes vom Format Obamas gehoben haben.

Im Wahljahr 2009, am 12. Januar, appellierte Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler, an den gewählten, aber noch nicht im Amt vereidigten Präsidenten Barack Obama: „Lassen Sie uns eine „Neue Transatlantische Agenda“ schreiben und mit Leben erfüllen.“**)

Inhaltlich leistete Herr Steinmeier gewiss eine sehr beachtenswerte Beschreibung der „Aufgaben, die vor uns liegen“: Stabilität in Konfliktregionen, Sicherheit von Ost und West, globale Verantwortungspartnerschaft, und er schloss mit der recht optimistischen Note „Change has come to America“.

Dennoch: Zum Träger dieser Botschaft an den gewählten Präsidenten Obama wurde ein Offener Brief im deutschen Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL bestimmt. Welche Aspekte des angemessenen Stils und der angemessenen Form solcher Botschaft an den gewählten US-Präsidenten diese Entscheidung bestimmt haben mögen, wird diesem Blogger und außenpolitischen Laien immer schleierhaft bleiben.

Nun steht wieder eine Bundestagswahl bevor. Und wieder sehen wir eine deutsche Stimmungs-Woge, was Amerika betrifft. Nur wenige ausgewiesene Transatlantiker sind derzeit in der deutschen Sozialdemokratie noch erkennbar. Sie könnten Sinnloseres tun, als einen Blick zurück zu werfen auf transatlantische Fehlleistungen in der letzten Dekade.

Denn der offene, sehr hart umkämpfte Wahlausgang lässt nicht unbedingt einen radikalen Politikwechsel erwarten. Die Republikaner haben die Mehrheit im Repräsentantenhaus, die Demokraten eine ganz knappe Mehrheit im Senat. Und mit der Wahl des Präsidenten wird auch über ein Drittel der Sitze im Senat und über alle Mandate des Repräsentantenhauses entschieden. Wer immer Präsident der Vereinigten Staaten wird, er hat mit starken „checks and balances“ zu rechnen.

Deshalb wäre gegenüber der Versuchung, auf der derzeitigen deutschen Sympathie-Woge für Obama zu surfen, gerade seitens des sozialdemokratischen Führungspersonals angezeigt, sich zurück zu halten.

Dennoch hielt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz es für notwendig, Präsident Obama zu bescheinigen, dass er europäischen Wertvorstellungen näher sei als Mitt Romney (n-tv.de/, 06.11.2012). Und auch SPD-Generalsekretärin Nahles hatte schon mit ähnlicher Begründung festgestellt: „Deshalb setzt die Mehrheit der Deutschen – und natürlich auch der deutschen Sozialdemokraten – auf Obama.“ (dw.de/, 06.09.2012)

Peer Steinbrück war ja schon im Wahljahr 2009 als USA-Kenner und Transatlantiker hervorgetreten. Ob seine Bewunderung für das Drohpotential der Siebten US-Kavallerie in Amerika nachhaltigen Beifall fand?

Diese Truppe, so äußerte Steinbrück damals im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen „Steueroasen“, brauchte gar nicht auszureiten. Es genügte, den Namen zu erwähnen. Das ist richtig. Es reicht, an die Massaker zu erinnern, die von der Siebten Kavallerie an wehrlosen Frauen und Kindern der Sioux Ende 1890 verübt wurden. Solche kernigen Worte Steinbrücks wirkten tatsächlich auch als Drohung. Nicht gegen die kleinen Stämme der Sioux, wohl aber gegen die kleine „Steueroase“ Schweiz.

Starke Worte gegen Kleine? Nicht wirklich ein Bringer in den USA, weder bei Obama, noch bei Romney, weder bei Demokraten, noch bei Republikanern!

Die größte Gefahr der deutschen Hass- und Liebes-Wogen gegenüber US-Präsidenten oder gegenüber den Kandidaten für dieses Amt ist die Bestätigung eines alten Urteils über den „hässlichen Deutschen“. Es wird Winston Churchill zugeschrieben: „The Hun is always either at your throat or at your feet.“***)

*) Tear down this wall! From Wikipedia, the free encyclopedia.

**) www.spiegel.de, 12.01.2009, IM ENGEN SCHULTERSCHLUSS, Von Steinmeier, Frank-Walter.

***) www.time.com/time/, Germany: Cops & Robbers, Monday, Nov. 12, 1945.