Amerika – gespaltenes Land …

Deutsche Medien konstatieren dies nahezu einmütig. Viel mehr als „die nächsten Jahre werden nicht einfach“*) kommt dabei nicht heraus.

Wenden wir uns einem analytischeren Beitrag zu. „A country divided“ urteilt auch der Economist über die Amerikanische Demokratie.**)

In der Analyse des Autors über diesen Befund wird eine Paradoxie deutlich. Bei politischem Wettbewerb mit einer etwa 50:50 Spaltung gleich starker politischer Lager oder Parteien wäre zu erwarten, dass die Auseinandersetzung um die politische Mitte der Wähler geführt wird. Dann sollten die Parteien „politisch konvergieren“, um die mutmaßlich eher moderaten Wähler der Mitte zu überzeugen.

Das scheint bezüglich der konkreten Politik der Parteien in den USA auch der Fall zu sein: Der Streit drehe sich im wesentlichen zum Beispiel darum, ob als Spitzensteuersatz auf das Einkommen „35% oder 39,6%“ anzuwenden sei. Oder das System der Gesundheits-Versicherung verpflichtend oder freiwillig sei usw.

Dennoch sei die politische Spaltung tief, bitter und verfestigt, Amerika „zunehmend paralysiert durch unüberwindlichen Hass zwischen Rechts und Links“. Der Economist erklärt dies durch Zusammenwirken zweier Hauptakteure: „die Parteien selbst und die Medien“.

Bei den Parteien dominierten höchste Professionalität der Methoden, das eigene politische Lager zusammenzuhalten. Modernste Techniken betreffen: die Kommunikation mit den Wählern; die Sammlung und Analyse von Daten über Präferenzen, d.h. Vorlieben und Abneigungen der Wähler; Methoden, um Multiplikatoren und Unterstützer für die eigene Partei anzuwerben. Beide Parteien haben ein ähnlich ausgefeiltes Instrumentarium entwickelt, „um ihre Wähleranteile zu sichern“.

Bei den Medien gehe es allein darum, um jeden Preis spannende politische Berichterstattung zu leisten, den Medienkonsumenten aufzuregen, zu binden. Durch emotionalisierende, polarisierende, scharf spaltende Fokussierung auf leidenschaftliche Kontroverse. Aufwühlend wie die Übertragung von Pferderennen. Journalisten, die das fertigbringen, werden hoch belohnt.

Das Ergebnis der Parteien- und Medienstrategien sei die feste Segmentierung der politischen Lager im Interesse dieser beiden Akteure.

Seit Jahren ist die Folge in den USA zu besichtigen: Republikaner zeichnen die Demokraten als Sozialisten und als verantwortlich für Amerikas Niedergang. Die Demokraten stellen die Republikaner als Sozialdarwinisten und militante Imperialisten dar. Die wechselseitig zugeschriebene Katastrophenpolitik strahle auf die Gesellschaft aus und führe zu „sehr tiefsitzender gesellschaftlicher Antipathie“ zwischen den politischen Lagern. Bei gesellschaftlichen Anlässen sind daher Themen, die nur entfernt mit Politik zu tun haben, aus Höflichkeit zu meiden.

Die Zukunftsprobleme der USA, mahnt der Economist, lassen sich jedoch nur bewältigen, wenn Republikaner und Demokraten „eine bewusste Anstrengung unternehmen“, ihre gesellschaftlichen Beziehungen zu entkrampfen, zivilen Umgang zu pflegen und Wege zu finden, miteinander zu reden.

Solche Überlegungen sind keineswegs nur an die USA zu richten. Auch die Politik in der Bundesrepublik sollte sich der Versuchungen extremer parteipolitischer Spaltung und Mobilisierung bewusst sein.

Durch Erinnerung und kulturelle Prägung ist unser Land noch immer in Ost und West gespalten. Wirtschaftlich kann eine Spaltung in Nord und Süd festgestellt werden. Nun auch noch Spaltung der Gesellschaft in Parteienlager? Wehret den Anfängen und nehmt Euch zurück, könnten Bürger von den Parteien erwarten! Spaltungstendenzen beginnen schon mit einer Propaganda, die gesellschaftliche Probleme selektiv wahrnimmt und darstellt. Und da ist in Deutschland schon einiges verfestigt. Drei Beispiele mögen angeführt werden.

Gewiss gibt es antisoziale Haltung auch bei Reichen. Und damit wird ein guter Teil politischer Kampagnen bestritten. Erstaunlich dass solches gerade bei denen zu beobachten ist, die immer gern den „sozialen Zusammenhalt“ beschwören. Aber antisoziale Haltung ist auch in „armen“ Schichten der Gesellschaft zu finden. Macht z.B. der Berliner Bezirksbürgermeister von Neukölln, Herr Buschkowsky, darauf aufmerksam, herrscht peinliches Schweigen oder Empörung. Letztere fällt besonders bei dem Bürgermeister der Grünen des Bezirks Kreuzberg auf.

Der sollte es besser wissen, denn es gibt viele Bürger, gerade Sozialdemokraten, die Kreuzberg kennengelernt haben. Die z.B. die Wege durch Kreuzberg, etwa vom Willy-Brandt-Haus zum Potsdamer Platz und zum Tiergarten, oft gelaufen sind. Die haben gesehen, wie es in Teilen bester Wohnlage, in Wohngebäuden bester Qualität in Berlin Mitte aussieht. Die vor diesen ansehnlichen, aber vandalisierten Gebäuden standen und fassungslos informiert wurden, dass es sich um „soziale Brennpunkte“ handele.

Beim Tagesspiegel mit Sitz ganz in der Nähe dieser „Brennpunkte“ am Askanischen Platz ist die Lage bekannt. Lektüre der Berichte über Kreuzberger Vorfälle zeigen, was für ein Großheuchler der grüne Bezirksbürgermeister von Kreuzberg ist, wenn er die Warnungen und politischen Vorschläge Buschkowskys polemisch zurückweist.

Man lese nur den Artikel im Tagesspiegel mit den Klagen des Hausmeisters und schaue sich die beigefügten Bilder der Wohnblocks an der östlichen Köthener Strasse in Kreuzberg an.***)

Wie Herr Buschkowsky immer wieder betont: Es gibt sehr positive gesellschaftliche Entwicklungen bei den Menschen in diesen Bezirken. Aber viele der Bürger und Familien mit Migrationshintergrund, die gerade in diesen Bezirken und „Brennpunkt“-Wohngebieten als orientierende Vorbilder gebraucht würden, sind dort weggezogen. Im Interesse der Zukunft ihrer Kinder. Das ist die Tragödie und deshalb ist parteipolitisch motiviertes Wegschauen und Leugnen der Missstände so gefährlich. Damit fängt die Spaltung an, sich zu verfestigen.

Ein zweites Beispiel ist die wachsende „politisch“ motivierte Kriminalität: von Januar bis September 2012 bundesweit 16.029 Delikte, darunter 1.303 Gewalttaten.****) Richtig, das meiste wird derzeit von rechtsextremen und diffus rechts orientierten Kriminellen verübt.

Aber wir erinnern die Empörung, wenn gewagt wurde, auch die linke politische Kriminalität zu thematisieren. Hier sind die aktuellen Zahlen: Linke Straftäter begingen 3248 Delikte, das sind 20% aller „politischen“ Delikte. Darunter waren 628 Gewalttaten, das sind 48 % (!) der Gewalttaten. Dies deutet auf eine gerade bei linken Straftätern erhöhte Gewaltneigung, die zu untersuchen ist.

Tagesaktuell ist dann, drittens, die Kampagne um das Betreuungsgeld. Nicht durchweg erfreulich die heutige Bundestagsdebatte. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass es um die Hilflosesten in unserer Gesellschaft geht – die Kleinstkinder bis zum dritten Geburtstag.

Hier wird die Parallele zu amerikanischen Parteistrategien der Wählerspaltung und -bindung besonders deutlich. Ein Thema bestens geeignet, ganze Nachbarschaften, Familien und Eltern aufzuwühlen.

Das eine Lager will Wahlfreiheit für Familien durch das Betreuungsgeld finanziell fördern, damit sie die Betreuung der Kleinstkinder unter drei Jahren leichter selbst organisieren können.

Das linke Lager führte heute der Kanzlerkandidat Steinbrück an. Mit Urteilen wie „schwachsinnig“, „gesellschaftliche Rückwärtsgewandheit“ und „Katastrophe“. Bei einigen dieser Wertung beipflichtenden weiblichen Abgeordneten hörte sich das fast an wie: Nehmt Eltern mit geringem Einkommen und geringer Bildung die unter drei-jährigen Kleinstkinder weg.

Eine etwas hart argumentierende SPD-Abgeordnete fiel mir durch offensichtlich hohe Intelligenz auf. Frau Diplomgeographin Caren Marks, MdB. Sie hat selbst zwei Kinder. Und siehe da, in ihrem Lebenslauf schreibt sie stolz: „Von 1989/1990 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hannover. Von 1991 (Geburt des 1. Kindes) bis 2002 Familienfrau.“ 12 Jahre „Familienfrau“ und nun eisern gegen die „Herdprämie“, die Prämie für das „Fernhalten“ junger Mütter vom Arbeitsmarkt.

Nur drei Beispiele für erstaunliche Realitätsverleugnung im parteipolitischen Streit! Wehret den Anfängen politischer Spaltung. Die Bürger wollen, dass ernste gesellschaftspolitische Probleme in unserem Land im zivilisierten Gespräch der Parteien bearbeitet werden. Und nicht spalterisch für parteipolitische Vorteilssuche missbraucht werden.

Das „tief geteilte“ Amerika zeigt uns, wohin das führt. Da knüpfen sich Hoffnungen an unser Verfassungsorgan des Bundespräsidenten.

*) spiegel.de/politik/ausland/us-wahlen…; Obamas Strategie, Agenda für ein gespaltenes Land, Marc Pitzke.

**) Economist.com, Nov 7th 2012, Autor: M.S.; Übersetzung RS.

***) tagesspiegel.de/berlin/wo-orhan-s-lebte-im-schatten-des-potsdamer-platzes/, Hannes Heine, 06.06. 2012.

****) DTS-Meldung vom 07.11.2012, 14:09 Uhr, Zeitung: Bereits über 16.000 politisch motivierte Straftaten.