“Seit`an Seit`“.

Was Martin Schulz zurecht noch vor der Bundestagswahl im September 2017 als „Sternstunde der innerparteilichen Demokratie“ *1) bewertet hatte, wird nun zur Angstpartie einer zerstrittenen SPD: das Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU.

Die SPD-Parteiführung *2) stand „Seit`an Seit`“ — wie in der Parteihymne gesungen wird — bei ihrem Vorsitzenden Martin Schulz. Gerade auch bei den sogenannten “Wortbrüchen“ nach geänderter politischer Lage.

  • Beim Aufruf zum Gang in die Opposition des SPD-Chefs Martin Schulz nach dem 20%-Desaster bei der Bundestagswahl vom 24.09.2017. Es wurde leider kaum kritisiert, dass die SPD-Regierungsmitglieder diesem Aufruf nicht durch geschlossenen Rücktritt Nachdruck verliehen, sondern geschäftsführend „auf GroKo-Posten“ blieben.
  • Beim Beschluss, Sondierungen über eine Regierung mit CDU und CSU zu führen. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen (CDU, CSU, FDP, Grüne) und nach Gesprächen mit Bundespräsident Steinmeier wohl über staatspolitische Verantwortung.
  • Beim knappen Beschluss des Sonderparteitags vom 21. Januar 2018, nach erfolgter Sondierung Koalitionsverhandlungen mit der CDU und CSU aufzunehmen.
  • Bei der Aushandlung des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.“
  • Bei dem Beschluss, das GroKo-Regierungsmandat durch das Mitgliedervotum zu legitimieren.
  • Bei der Verabredung, den SPD-Vorsitz von Martin Schulz an die Chefin der SPD-Bundestagsfraktion, Andrea Nahles, „kommissarisch“ zu übertragen.
  • Bei der Verabredung, dass Olaf Scholz als Vizekanzler das Finanzministerium und Martin Schulz das Außenministerium übernehmen würden.
  • Bei dem Verzicht von Martin Schulz am Freitag, den 09.02.2018, auch auf das Amt des Außenministers.
  • Bei der Erklärung sofortigen Rücktritts vom Parteivorsitz durch Martin Schulz am heutigen 13.02.2018. Wobei die bisher als „kommissarische“ SPD-Vorsitzende benannte Andrea Nahles diese Würde an den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz abgab. Und sich zur „designierten“ Parteivorsitzenden umtaufen ließ, in der Erwartung, beim erneuten Sonderparteitag am 22.04.2018 satzungsgemäß gewählt zu werden. So scheint wenigstens das parteirechtliche Chaos beendet.

Eine Ereigniskette, für die das Wort „Chaos“ fest und öffentlichkeitswirksam an der SPD haftet. Mit einem Höhepunkt an Schäbigkeit, den sich Chef-Diplomat Gabriel durch beleidigendes Geschwätz gegen Martin Schulz leistete.

Nicht wenige einfache Sozialdemokraten werden daher dem Ausdruck „Chaos“ das Wort „Schlangengrube“ vorziehen. Das fand bekanntlich die Schwester von Martin Schulz, selbst langjährige Sozialdemokratin, für eine Parteiführung im Willy-Brandt-Haus, die alle ihre kollektiv und „solidarisch“ beschlossenen Fehler auf Martin Schulz ablud.

Nun geht das närrische Getöse auch des Politik-Karnevals dem Aschermittwoch und der Zeit der Buße entgegen.

Da darf noch einmal „Wann wir schreiten Seit` an Seit`“ gesungen werden. Denn: „Die Sozialdemokraten sind seit jeher stark darin, darauf zu schauen, wo sie herkommen, ihre Wurzeln zu bewundern, ihre Geschichte zu besingen. Die Genossen sind aber seit langer Zeit schwach darin, ernsthaft zu diskutieren und zu definieren, wo sie hinwollen.“ *3)

Für dieses sozialdemokratische Singen und “Schreiten Seit` an Seit`“ sei deshalb trotz närrischer Tage die folgende Variante vorgeschlagen, die der nächsten Zeit der Buße und Einkehr eher entsprechen mag *4):

Wir kommen her, gebt Raum dem Schritt,

aus Brandt-Haus` falschen Toren.

Ideen bringen wir nicht mit.

Die gingen längst verloren.

*1) 15. September 2017, 18:53 Uhr. Mitgliederbefragung. Schulz will abstimmen lassen. Von Christoph Hickmann, Berlin; http://www.sueddeutsche.de/politik/mitgliederbefragung-schulz-will-abstimmen-lassen-1.3668953

*2) Die Führung der SPD umfasst 45 Personen. „Der SPD-Parteivorstand leitet die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Er führt die Beschlüsse des Parteitages durch und verabschiedet selbst auch Beschlüsse zu wichtigen politischen Themen. Der Parteivorstand beruft den Parteitag ein. Aus dem Parteivorstand geht als geschäftsführender Vorstand das Parteipräsidium hervor, dem von Amts wegen der Vorsitzende, der Generalsekretär, die stellvertretenden Vorsitzenden, der EU-Beauftragte und der Schatzmeister (zusammen genannt „Parteispitze“) sowie aus der Vorstandsmitte gewählte Beisitzer angehören.“ Siehe SPD-Parteivorstand, https://de.wikipedia.org/wiki/SPD-Parteivorstand.

*3) 9. Februar 2018, 18:49 Uhr. Rückzug von Martin Schulz. Die SPD muss sich endlich neu definieren. Kommentar von Ferdos Forudastan; http://www.sueddeutsche.de/politik/spdund-cdu-nach-schulz-1.3861386

*4) Frei nach Felix Dahn, Die letzten Goten bzw. Gotenzug. 1912;

http://freiburger-anthologie.ub.uni-freiburg.de/fa/fa.pl?cmd=gedichte&sub=show&noheader=1&add=&id=1564. Bezugnehmend auf eine unter Bundeskanzler Gerhard Schröder konzipierte umfassende Agenda-Politik, die von der CDU/CSU übernommen und von SPD-Linken diskreditiert wurde.