Stabile Regierung?

Der GroKo-Kompromiss, der Koalitionsvertrag, in dem CDU, CSU und SPD Regierungsziele bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 vereinbart haben, mag diesem oder jenem missfallen. So ist das bei Kompromissen. Wie ist jedoch das meist gehörte Versprechen zu beurteilen: Ein stabile Regierung?

Legen wir die Liste der Zusagen für „neuen Aufbruch, neue Dynamik, neuen Zusammenhalt in Europa und Deutschland“ beiseite. Für eine spätere Bilanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Worten und Taten.

Wird eine stabile Regierung bis zum Herbst 2021 zu erwarten sein?

Dazu könnte der letzte kurze Abschnitt „Arbeitsweise der Regierung und Fraktionen“ des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD einige Aufschlüsse erlauben. *1)

Wie bei der GroKo ab 2013 wird zwar eine „stabile“, d.h. vertragsgemäße und berechenbare Regierung zugesichert. *2)

Die Skepsis gegenüber dieser Aussage wird jedoch genährt durch eine Reihe von Vorgaben, die im Koalitionsvertrag von 2013 fehlten. Vorgaben, die zum Koalitionskonflikt nahezu nach Belieben und wahlpolitischer Zweckmäßigkeit genutzt werden könnten.

  • „Im Fall einer Koalitionsbildung werden wir durch unsere Arbeitsweise in der Regierung und zwischen den Fraktionen deutlich machen, dass wir uns als Bündnis der Demokratie für die Menschen in unserem Land verstehen. Wir stärken die Entscheidungsfindung in Bundestag und Bundesrat.“ *3) Welche Rolle käme bei GroKo-Konflikten der Vorgabe „Wir stärken die Entscheidungsfindung in Bundestag und Bundesrat“ zu? Ist das „Bündnis der Demokratie für die Menschen“ auf die Zusammenarbeit zwischen den GroKo-Fraktionen (CDU/CSU und SPD) beschränkt oder werden Konfliktlösungen „zwischen den Fraktionen“ gesucht? Wir haben dieses Konflikt-Modell bereits bei der „Ehe für alle“ im letzten Bundestag erlebt. Besonders öffentlichkeitswirksam und konfliktiv dürfte ein Zusammenwirken von SPD/MdB-Gegnern der GroKo mit oppositionellen Linken und Grünen bei den angestrebten “Plenar-Orientierungsdebatten“ und “Befragungen der Bundeskanzlerin“ im Deutschen Bundestag werden …
  • „Die Koalitionspartner treffen sich im Konfliktfall und zur Lösung streitiger grundsätzlicher Probleme zu Koalitionsgesprächen im Koalitionsausschuss.“ *1) Im Unterschied zum GroKo-Vertrag 2013 werden hier der „Konfliktfall“ und die „streitige“ Wahrnehmung von „grundsätzlichen Problemen“ schon explizit in Betracht gezogen. Dies erschiene weniger konfliktträchtig, wenn nicht der als Grundsatz der Groko 2013 geltende Satz für die Aufgabe des Koalitionsausschusses „und führt in Konfliktfällen Konsens herbei“ im neuen GroKo-Vertrag 2018 fehlen würde!
  • Obwohl der GroKo-Vertrag 2018 im Unterschied zum GroKo-Vertrag 2013 bereits im einzelnen die Ressortverteilung der Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD festgelegt hat, werden „übergeordnete Personalfragen“ offen gehalten. Und zum Gegenstand „ausgewogener Lösung“ und „fairer Verteilung“, die „beiden“ Koalitionspartnern „gerecht wird“, erhoben.*4) Damit wird ein möglicher personalpolitischer Interessenkonflikt zwischen CDU/CSU einerseits und SPD andererseits bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
  • Die „Europapolitische Koordinierung“ soll zwar von den Ministern „im engen Zusammenwirken mit der Bundeskanzlerin und dem Vizekanzler (RS: Olaf Scholz (SPD) als Finanzminister) wahrgenommen“ werden. *4) Der Außenminister Martin Schulz wird sich jedoch bestimmt als „EU-Super-Minister“ verstehen mit Befugnis zur „Koordinierung“ nicht nur bei der Vertretung deutscher Interessen wie im GroKo-Vertrag 2013. Nunmehr soll die „Europapolitische Koordinierung“ auch für die Ministerräte der EU und die EU-Treffen der Staats- und Regierungschefs gelten. *5) Da wird bei einem missionsbewussten „Mi(ni)ster Europa“ wie Martin Schulz und seiner sicher von ihm wahrgenommenen EU-Koordinierungs-Kompetenz ein friktionsgeladenes Dauerthema für die Europapolitik der GroKo 2018 zu erwarten sein.
  • Sogar der mutmaßliche Höhepunkt des Groko-Konflikts lässt sich bereits terminieren: Vermutlich ab Mai 2019. Am 26. Mai 2019 ist die Wahl zum Europäischen Parlament. Im Sommer und Herbst 2019 finden zudem drei Landtagswahlen statt, bei denen drei verschiedene Koalitionsmodelle vom Wähler beurteilt werden: Sachsen (CDU-geführt, GroKo CDU/SPD); Brandenburg (SPD-geführt, SPD/Linke, Rot-Rot); Thüringen (Linke-geführt; Linke, SPD, Grüne, Rot-Rot-Grün). Im GroKo-Vertrag 2018 heißt es: „Zur Mitte der Legislaturperiode wird eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmungen umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“ *6)

Ganz abgesehen von innerparteilichen Konflikten vor allem bei der SPD, wahrscheinlich auch bei der CDU, drückt dieser Groko-Vertrag ein tiefes Misstrauen zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD aus.

In diesem Blog-Beitrag wurden im Vertrag enthaltene „Konfliktauslöser“ und eine Eskalation von Konflikten zum Zeitpunkt der „Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages“ ab Mitte 2019 vermutet. Jede GroKo-2018-Partei kann unter Berufung auf eine der oben angesprochenen „Soll-Bruchstellen“ des GroKo-Vertrags einen Konflikt beginnen.

Je mehr sich Konflikte in der GroKo häufen, umso plausibler wird auch im Urteil der Wählerinnen und Wähler die Klärung durch Neuwahlen. Die Möglichkeit von Neuwahlen könnte dann wiederum zum stärksten Konflikttreiber werden.

Ob Deutschland einer stabilen Bundesregierung entgegensieht?

*1) Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Berlin, 7. Februar 2018; http://www.handelsblatt.com/downloads/20936422/4/koalitionsvertrag_final.pdf. Siehe Seiten 175 f. Der GroKo-Koalitionsvertrag 2013 findet sich unter: https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf.

*2) „Diese Koalitionsvereinbarung gilt für die Dauer der 19. Wahlperiode. Die Koalitionspartner verpflichten sich, diese Vereinbarung im Regierungshandeln umzusetzen. Die Partner tragen für die gesamte Politik der Koalition gemeinsam Verantwortung. Die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD werden ihre Arbeit in Parlament und Regierung laufend und umfassend miteinander abstimmen und zu Verfahrens-, Sach- und Personalfragen Konsens herstellen.“ Siehe *1). S. 175 f.

*3) Hervorhebungen im obigen Text immer: RS, siehe *1). S. 175 f.

*4) Siehe Abschnitt 5. *1), S. 176.

*5) „Die Koordinierung gilt auch für die Räte der Europäischen Union und den Europäischen Rat.“ Siehe *4), S. 176.

*6) Siehe Abschnitt 6. *1), S. 176.