Cheerleader-“Weltmacht“.

Unsere Presse ist ja soo glücklich über die „versöhnliche Rede des US-Präsidenten in Davos“ *1). Und vor allem darüber: „America first“ heißt nicht „Amerika alone“, habe Trump betont. Welch ein Geschenk an die Welt!

Lasst jedoch die Hoffnung auf das „free lunch“ fahren, das gibt’s bekanntlich nirgends und erst recht nicht bei Präsident Trump. Denn die Folgen des Wandels in der globalen Rolle der USA für Deutschland und die wenig vereinigte Europäische Union werden dramatisch, teuer und langfristig unumkehrbar sein.

Zwar weiß Trump mit seinen weltweiten Geschäftsinteressen nur zu gut, dass es „America alone“ ohnehin gar nicht geben kann. Schon deshalb ist kaum damit zu rechnen, dass er wegen dieser Platitüde von seinen innenpolitischen Prioritäten des „America first“ abweicht.

Entsprechend folgte in der Davos-Rede des US-Präsidenten die Aufforderung, Einladung genannt, in den USA zu investieren und dort Arbeitsplätze zu schaffen. Vor der Abreise nach Davos hatte Trump Strafzölle verhängt für zu preiswerte Exporte in die USA aus Südkorea und China.

Was fairer Freihandel ist, bestimmt wohl eher das White House. Und nicht die von 164 Ländern (Stand 2016) getragene World Trade Organisation (WTO), die Handelsbarrieren (wie z. B. Zölle oder Produktvorschriften) durch Verhandlungen senken und für Unternehmen und Investoren „berechenbar“ (predictable) machen will. *2)

Trump als Präsident der USA, der seine Rolle auf die des „cheerleaders“ *3) für sein Land reduziert, bestätigt wieder die Befürchtungen von Fachleuten und Außenpolitikern.

Der amerikanische Experte für internationale Politik, Fareed Zakaria, sagte kürzlich als entscheidende Entwicklung für unser Zeitalter voraus: „The decline of U.S. influence is the great global story of our age.“ *4)

Damit meint Zakaria nicht die alle anderen Länder bei weitem überragende wirtschaftliche und militärische Macht der USA. Zakaria meint den Niedergang des Willens und der Fähigkeit, diese Macht zu nutzen, um die Weltordnung zu gestalten. „And this erosion of U.S. global leadership is already causing other countries to adjust.“ *4)

Zakaria bezieht sich ausdrücklich auf die Analyse in der kürzlich gehaltenen Grundsatzrede des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel. Die von Fareed Zakaria angesprochenen Feststellungen Gabriels seien wegen ihrer Bedeutung für unsere Werte und Interessen im folgenden wörtlich zitiert *5):

  • Der derzeitige Rückzug der USA unter Trump aus der Rolle des verlässlichen Garanten des westlich geprägten Multilateralismus beschleunigt die Veränderung der globalen Ordnung und hat unmittelbare Konsequenzen für die deutsche und europäische Interessenwahrnehmung.
  • Im Umfeld der heutigen US-Administration (gibt es) eine außerordentlich distanzierte Wahrnehmung Europas. Als Wettbewerber und manchmal sogar als zumindest ökonomische Gegner nimmt man bisherige Partner dort wahr.
  • Europa ist deshalb eine Region unter vielen anderen in dieser neuen Sichtweise der US-Administration, die auf die Gesellschaft ausstrahlt.
  • Gleichzeitig sorgt das offensive Agieren aufstrebender Staaten wie China, Russland, der Türkei und Iran dafür, dass die globale Ordnung, aber auch regionale Machtgefüge ins Rutschen geraten.
  • Bewährte Prinzipien und Grundlagen der internationalen Beziehungen wie der Multilateralismus, das Völkerrecht und die universelle Gültigkeit von Menschenrechten werden in Frage gestellt …
  • So werden die Grundlagen von Sicherheit und Wohlstand in Frage gestellt, das Risiko von Handelskriegen, Rüstungswettläufen und bewaffneten Konflikten wächst.
  • Die heute noch fehlende Machtprojektion der Europäischen Union hat jedenfalls dazu geführt, dass überall dort, wo sich die USA tatsächlich oder scheinbar zurückgezogen haben, keine Hinwendung zu Europa erfolgt ist, sondern zu anderen Staaten, von denen operationalisierte Macht weit eher erwartet wird: im Nahen Osten beispielsweise zu Russland und in Afrika zu China.

Gabriel umreißt zentrale Aufgaben der transatlantischen Allianz. Auch hier werden Kernsätze seiner Analyse wörtlich zitiert *5):

  • In der Politik gibt es eben nie ein Vakuum, sondern es wird immer schnell gefüllt. Deshalb sollte es im wohlverstandenen Eigeninteresse der USA liegen, keinen Handelskrieg mit Europa zu beginnen, sondern gemeinsame Strategien zum Erhalt der „liberal order“ und ein auf den Grundlagen von Freiheit, Fairness, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit basierendes Welthandelssystem zu entwickeln.
  • Deutschland (kann) es sich nicht leisten, auf Entscheidungen aus Washington zu warten oder bloß darauf zu reagieren. Wir müssen selbst unsere Positionen beschreiben und notfalls — übrigens auch gegenüber unseren Verbündeten — klarmachen, wo Grenzen unserer Solidarität erreicht sind.
  • Wir sollten daher alle Kraft darauf verwenden, konstruktive Partner in Administration, Kongress, den Bundesstaaten und vor allem der Zivilgesellschaft noch gezielter als bisher anzusprechen.
  • Und auf dieser Grundlage müssen wir bereit sein, einen strategischen Interessenausgleich unter Partnern zu betreiben und nicht eine Unterwerfung unter amerikanische Politik, wie wir sie in der Vergangenheit ja noch nie erlebt haben.

Außenminister Sigmar Gabriel hat in seiner großen Grundsatzrede einen sehr hohen Anspruch an die Europäische Union und an Deutschland formuliert.

Für einen strategischen Interessenausgleich mit den USA muss die Europäische Union jedoch erst noch die notwendige gemeinsame außen- und sicherheitspolitische Verhandlungs- und Gestaltungsfähigkeit entwickeln. Selbst gegenüber der europäischen (also nicht der amerikanischen!) Nachbarschaft des östlichen Europas und des Mittleren Ostens reichte es bisher kaum weiter als zu Händeringen und Bekundungen der Besorgnis.

Die militärischen Interventionen durch Russland in der Ukraine und — mit dem Iran — in Syrien, wo nun auch die Türkei eingreift, um jeden Ansatz eines kurdischen Staates zu verhindern, machen dies deutlich genug. Der Stellvertreterkrieg im Irak und im Jemen, den Saudi-Arabien und der Iran führen, und die Finanzierung von Terrorgruppen durch diese Mächte zeigen, welche Bedrohungen in der Nachbarschaft der Europäischen Union aufwachsen. Einer Nachbarschaft mit dem nahöstlichen Dauerkonflikt „Palästinenser und Israel“ und mit der deutschen Verpflichtung für Israels Sicherheit als „Staatsräson“, wie Bundeskanzlerin Merkel festgestellt hat.

Und wir schauen ungläubig auf den jovialen Auftritt des US-Präsidenten Donald Trump beim World Economic Forum in Davos, der sich als „cheerleader“ seines Landes gefällt. Mehr will er anscheinend nicht sein!

In dieser gefährlichen Weltlage, gerade auch in unserer Nachbarschaft, ist Deutschland vier Monate nach der Wahl ohne legitimierte Regierung. Und die Regierungspartei SPD zerreißt sich im Streit um sozialpolitische Ausgaben, deren Finanzierbarkeit von Fachleuten und Kommunalpolitikern zunehmend infrage gestellt wird.

Wenn die deutsche Kostenexplosion auf inländische, sozialstaatliche Zwecke beschränkt wird, dann können sich auch unsere Spitzenpolitiker vor ihrem Volk wie Donald Trump als „cheerleader“ präsentieren — beim Tanz auf dem Vulkan.

*1) Siehe zum Beispiel: TRUMP-SHOW BEIM WELTWIRTSCHAFTSFORUM. „America first“ heißt nicht „Amerika allein“. Versöhnliche Rede des US-Präsidenten in Davos + Buh-Rufe für „Fake News“-Spitze. Präsident Donald Trump machte auf dem Weltwirtschaftsforum Werbung für Investitionen in den USA, pries den neuen „Spirit of America“. Artikel von: CHRISTIAN STENZEL (ZZT. DAVOS) UND ALBERT LINK, veröffentlicht am 26.01.2018 – 15:58 Uhr; bild.de.

*2) UNDERSTANDING THE WTO: BASICS. Principles of the trading system; https://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/fact2_e.htm.

*3) Freitag, 26. Januar 2018. Trump als „Cheerleader“ in Davos. „Bringt eure Jobs in die USA!“ Von Max Borowski; https://www.n-tv.de/wirtschaft/Bringt-eure-Jobs-in-die-USA–article20253906.html

*4) THE DECLINE OF U.S. INFLUENCE IS THE GREAT GLOBAL STORY OF OUR AGE. Posted by Fareed Zakaria on December 29, 2017; https://fareedzakaria.com/2017/12/29/the-decline-of-u-s-influence-is-the-great-global-story-of-our-age/. (Hervorhebung RS).

*5) „Europa in einer unbequemeren Welt“. Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Sigmar Gabriel, beim Berliner Forum Außenpolitik 2017 der Körber-Stiftung am 5. Dezember 2017 in Berlin. Datum: 08. Dezember 2017. Bulletin 117-3; https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2017/12/117-3-bmaa-forum.html.