Staatsbürger aufgepasst!

Fallen Politiker im Wahlkampf aus der Rolle?

Verwundert hörten wir unseren Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert im TV mit kritischen Bemerkungen zum höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht.

Von fünf Verfassungsorganen sei es „aber nicht das höchste“, so drückte sich der hochrangige Präsident des Deutschen Bundestages aus. Dies fand auch den Weg in die Presse. SPIEGEL und Süddeutsche informierten, hielten sich aber mit Urteilen zurück.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Professor Dr. Andreas Voßkuhle, war Zielscheibe der Kritik aus Unionskreisen. Urteilskritik können und sollten Politiker durchaus üben. Debatte mit offenem Visier ist immer zu begrüßen.

Aus der Sicht von Bürgern mag jedoch ein Punkt der Attacken von Horst Seehofer, Volker Kauder und Hans-Peter Friedrich ganz und gar verfehlt wirken. Eine Art Maulkorb-Erlass, oder – um es ganz deutlich zu sagen – in der Soldatensprache: „Das Maul ist zum Fressen da.“

Der Herr Präsident Voßkuhle hatte offenbar zum Thema „Das Verfassungsgericht als Bürgergericht“ ein Gespräch mit Journalisten der Hauptstadtpresse geführt. Dass Mediendialog über ein solches Thema, das auch im Rahmen politischer Bildung in Deutschland von zentraler Bedeutung ist, dass ein solcher Dialog dem Präsidenten der Verfassungshüter vorgeworfen wird, kann man kaum glauben.

Sollte doch gelegentlich wieder an die Mahnung des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vor über 20 Jahren erinnert werden müssen? Das Staatsoberhaupt hatte in einem Interview in der ZEIT im Juni 1992 den Parteien vorgeworfen, sie seien „machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgaben“ *1)

Dieser Staatsbürger behält die Mahnung Richard von Weizsäckers in werter Erinnerung. Und dennoch stimmt er den noblen Worten unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck zu: „Eine solche Kritik an der Politik werden Sie von mir sicher nicht hören … Der Verdruss über sie ist zu groß, als dass ich ihn noch fördern möchte. Außerdem missfällt es mir, wenn die Parteien pauschal schlecht gemacht werden. Sie tragen seit Jahrzehnten wesentlich zur Ausgestaltung unserer Freiheit, unseres sozialen Friedens, unseres Wohlstandes bei. Ohne sie wären wir nicht da, wo wir heute sind.“ *2)

Bleibt noch die offene Rang-Frage, die den Herrn Bundestagspräsidenten Norbert Lammert gegenüber dem Bundesverfassungsgericht beschäftigte. Da greift der juristische Laie zum unentbehrlichen Staatsbürger-Taschenbuch, das mittlerweile schon so alt ist wie Herrn von Weizsäckers Mahnung an die Parteien.*3)

In dieser Schrift wird auf unser Grundgesetz hingewiesen. Dies hält die Zuständigkeiten der folgenden Verfassungsorgane fest: Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundesregierung. Von diesen unterscheidet unser Grundgesetz die Rechtsprechung: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.“ (Artikel 92, GG).

In dieser Unterscheidung des GG kommt der Grundsatz der Gewaltenteilung zum Ausdruck. Welchen Sinn macht dann die Äußerung des Bundestagspräsidenten Lammert über den Rang des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht: „aber nicht das höchste“?

Wer Sinn sucht, der findet ihn! Diesmal unter „protokollarische Rangfragen“ *4). Dort heißt es: „In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine offizielle Rangliste, welche die innerstaatliche Rangordnung verbindlich festlegt. Die Anwendung starrer Rangordnungen würde der Vielfalt staatlicher Veranstaltungen nicht gerecht werden. Hinsichtlich der Rangfolge der Repräsentanten der Verfassungsorgane des Bundes hat sich jedoch im Laufe der Zeit folgende Staatspraxis herausgebildet: Bundespräsidentin oder Bundespräsident, Präsidentin oder Präsident des Deutschen Bundestages, Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler, Präsidentin oder Präsident des Bundesrates, Präsidentin oder Präsident des Bundesverfassungsgerichts.“

Weiter heißt es in meisterlicher Klarheit: „Bei staatlichen Veranstaltungen werden die Ehrengäste aus Staat, Politik und Gesellschaft protokollarisch platziert. Zu beachten ist dabei eine ausgewogene Berücksichtigung der Repräsentanten von Legislative, Exekutive, Judikative und der im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien (horizontale Ausgewogenheit); eine angemessene Berücksichtigung der Repräsentanten aus Bund, Ländern und Gemeinden (vertikale Ausgewogenheit). Platzieren bedeutet aber auch: Erfassen des Gesamtzusammenhangs der jeweiligen Veranstaltung … Flexibilität, Augenmaß, Takt – und nicht Schematismus oder Prinzipienreiterei – sind gefragt.“

Ob es da wohl elegant ist, wenn sich ein bedeutender Repräsentant unserer Verfassungsorgane wie Herr Bundestagspräsident Lammert über „Rang“-Fragen äußert?

Das Schlimmste, was in Deutschland passieren kann: Statt eines eminenten Rechtsgelehrten wie Professor Voßkuhle könnten Partei-Juristen in das Bundesverfassungsgericht entsandt werden. Mancher Bürger mag noch die Erleichterung erinnern, als der Kelch Hertha Däubler-Gmelin am Bundesverfassungsgericht vorbei ging. Man vergesse auch nicht die verfehlten Partei-Nominierungen gegenüber der Deutschen Bundesbank.

Jedenfalls sollten wir Bürger wachsam bleiben, wenn das Bundesverfassungsgericht es mit Politikern zu tun bekommt. In einer durchaus „machtversessenen“ Form, wie es jetzt leider durch Spitzenpolitiker der Union geschehen ist.

*1) Richard von Weizsäcker zum 90. Der ungeteilte Präsident. Von Rainer Blasius, 15.04.2010, F.A.Z.

*2) Parteienkritik: Gauck distanziert sich von seinem Vorgänger von Weizsäcker, DTS-Meldung, 03.03.2013, (Zitat aus einem SPIEGEL-Interview, RS).

*3) Model/Creifelds Lichtenberger, Staatsbürger-Taschenbuch, 26. Auflage, München 1992, S. 115 ff.

*4) PROTOKOLL INLAND DER BUNDESREGIERUNG, Artikel 20.06.2008, http://www.bmi.bund.de/