Tabubrüche in Thüringen.

Was haben Bodo Ramelow (LINKE) und Thomas Kemmerich (FDP) gemeinsam? Beide wurden mit einer Stimme Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt, durch “Tabubruch“, dem mit Fluch belegten Verbrechen pazifischer Naturvölker.

Tabubruch 2014

Als Ramelow 2014 Ministerpräsident wurde, bestand der Tabubruch darin, dass die SPD die Rolle des Juniorpartners der LINKEN Ramelows übernahm. Die SPD hatte den “Tabubruch gewagt“, nachdem sie von 18.5 % (2009) auf 12.4 % (2014) Wähleranteil absackte. *1)

Ramelow, westdeutscher Kaufmann, Gewerkschaftler und nach eigenem Bekunden gläubiger Christ, hatte als Machtstrategie der DDR-geprägten LINKEN sehr schleierhaft formuliert: „Wir haben uns von unseren Wurzeln — der Elite der DDR — nicht ab-, aber losgelöst.“ Dadurch konnten „wir in Thüringen noch eine Schippe drauflegen“: Von 27.4 % (2009) auf 28.2 % (2014) Wähleranteil. *2)

Damit wurde die rot-rot-grüne Regierungskoalition umgesetzt. Wer mag, kann der SPD vorwerfen, dass sie unter Ramelows Führung mitregieren wollte. Der SPD-“Erfolg“, eine Schreckensbilanz: Bei der Landtagswahl Ende Oktober 2019 bewerteten die Wähler Thüringens die SPD-Regierungsleistung mit gerade noch 8.2 %, ein Verlust von 4.2 Prozentpunkten.

“Deutscher Tabubruch“ 2019

Nach der Landtagswahl 2014 war die CDU Thüringens noch deutlich stärkste Partei des Landes (33.5 %). In der Oppositionsrolle verlor die CDU bei der Landtagswahl 2019 (21.7 %) fast 12 Prozentpunkte an Wählerstimmen. Wahlsieger und nach der LINKEN zweitstärkste Kraft in Thüringen wurde 2019 die AfD, die mit rund 13 Prozentpunkten Zugewinn 23.4 % der Wähler erreichte.

Die groteske Schlussfolgerung der CDU: Sie gibt sich dazu her, Thomas Kemmerich (FDP) als Ministerpräsidenten zu wählen, den Chef einer Partei, die gerade eben noch mit knappsten 5.0 % neu in den Landtag einziehen konnte.

Dieses Ergebnis, Kemmerich (FDP) als Ministerpräsident Thüringens, hatte ein durchaus hinterhältiger Schachzug der AfD ermöglicht. Die AfD gab ihrem eigenen Kandidaten bei der entscheidenden Abstimmung im Landtag keine einzige Stimme. Mit den AfD-Stimmen wurde der neue Ministerpräsident Kemmerich (FDP) beehrt. Dem mag dies zu Kopfe gestiegen sein, da er versäumte, solche Wahl abzulehnen.

Bodo Ramelow (LINKE) war über seine nicht erwartete Abwahl als Ministerpräsident so außer sich, dass er einen geschichtlichen Vergleich riskierte: 1930 war die NSDAP Adolf Hitlers in Thüringen erstmals Teil einer Landesregierung in der Weimarer Republik geworden. Ramelow sah daher in seiner Abwahl einen “deutschen Tabubruch“: „Genau 90 Jahre nachdem es in Thüringen schon mal passiert ist.“ *3) Und damit es jeder versteht, legte Ramelow per Twitter mit einem Hitler-Zitat von 1930 nach: “´Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. […] Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.` A. Hitler, 02.02.1930“. *4)

Mit seiner Selbstdarstellung als Opfer vermeintlich nationalsozialistischer Kontinuität in Thüringen hat Ramelow seinen Amtsverlust zu einer Schande für Deutschland überhöht. Das ist ebenso lächerlich wie verwerflich.

Der Wahrnehmung Ramelows folgten weitere Kommentare von LINKEN und SPD in der Presse: “widerliche Scharade“, so Ramelow wieder ziemlich unverständlich. *3) “Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte“, darunter geht es bei SPD-Generalsekretär Klingbeil nicht. Und die SPD-Chefin Esken erschreckt “dieser gefährliche und abstoßende Zustand in Thüringen“.

Dabei handelt es sich bei dem neuesten “Tabubruch“ in Thüringen eher um eine politische Lachnummer. Denn so enorm lächerlich wirkt die Mischung von Machtgier und vor allem Dummheit bei Thüringens FDP und CDU, mit der beide Parteien der Hinterlist der AfD auf den Leim gingen.

Statt unser Land international lächerlich zu machen, ist der Thüringer Spezialität von “Tabubrüchen“, die sich dortige Parteien von links bis rechts in den letzten beiden Wahlperioden leisteten, ein Ende zu wünschen.

Allerdings weiß niemand, ob in Thüringen eine Neuwahl reicht, damit Bodo Ramelow nicht mehr Hitler zitieren muss …

*1)Thüringer SPD lässt sich von Linkspartei führen. BIRGIT BAUMANN AUS BERLIN. 04.11.2014. Die SPD-Basis in Thüringen wagt den Tabubruch: Sie ist zu Koalitionsverhandlungen mit Grünen und Linken bereit – auch wenn in diesem Bündnis die Linkspartei erstmals den Regierungschef stellt. DER STANDARD. (Hervorhebung RS).

*2) Ein linker Ministerpräsident schreibt keine Weltgeschichte“. INTERVIEW mit Bodo Ramelow. BIRGIT BAUMANN. 13. September 2014, 09:00. DER STANDARD.

*3) ENTSETZEN ÜBER WAHL-EKLAT IN THÜRINGEN. Jetzt reden alle von Neuwahlen. Wahl-Beben im Landtag Thüringen! Völlig überraschend wurde am Mittwochmittag der bisherige Landeschef Bodo Ramelow (63, Linke) abgewählt. 05.02.2020 – 18:25 Uhr; bild.de

*4) Nach Wahl-Eklat in Thüringen. Bodo Ramelow zitiert Adolf Hitler. 06.02.2020, 03:16 Uhr; https://www.spiegel.de/politik/deutschland/thueringen-bodo-ramelow-zitiert-adolf-hitler-nach-wahl-eklat-