Trans-Atlantic.

Von einer gesellschaftlich hochstehenden Dame las ich vor einiger Zeit, die Hamburger seien „zugeknöpft“.

Hier wird natürlich nicht zu billigen Hinweisen gegriffen, um diese sicher beachtenswerte Aussage zu widerlegen …

Also mache ich morgens gegen 9.30 Uhr eine kleine Stichprobe, um die Hypothese zu testen. Vielleicht ist hier eine Stichprobe zugunsten obiger Aussage verzerrt. Die Location „Trans-Atlantic“ – entweder in Richtung Schwanenwik oder Ballindamm – ist eine feine Gegend.

An der Ecke des Holzdamm, vor dem Grandhotel Atlantic, ein älterer Herr, der die Morgensonne genießt. Jeder Zoll hanseatische Erscheinung. Dunkler Blazer ohne die sonst auffallend goldenen Admiralsknöpfe. Mit leicht angewinkeltem Arm lässig auf den silbern dekorierten Haken eines Spazierstocks aus Ebenholz gestützt. „Schöner Morgen“, sagt er freundlich zu dem Passanten.

An einer Seitenstraße ohne Schild fährt ein eleganter schwarzer Mercedes vor. Dem entspringt wieder ein Hanseat, wie von einer Büste im Rathaus, sportlich gekleidet. Aus dem Heck der Limousine holt er – etwas überraschend – den vollen Satz von Raum- und Fensterpflege-Utensilien.

Gefragt, ob er sich hier auskenne: „Seit 20 Jahren bin ich hier mindestens einmal die Woche zugange.“ „Wie heißt diese Seitenstraße?“ „Gute Frage!“ Beste Wünsche gegenseitig für angenehmen Tag.

Ich will wissen, welche Straße das ist, also los. Unweit rechts ein 1892 erbautes hohes Handelskontor – mit schmiedeeiserner Aufschrift „An der Alstertwiete“. Twieten waren einst enge Durchgänge zwischen Grundstücken, die im Laufe der Zeit zu Straßen wurden.

Twiete – hier ist wohl noch immer ein Grenzgang zwischen feinem und eher abenteuerlichem Stadtgebiet.

Denn ein Herr schwankt auf mich zu. Hätte ich seinen Kopf und seine Statur, wäre ich Berufssoldat oder Polizist geworden. Schon oder noch ist sein Gesicht violett. Das Leben spielt Menschen sehr unterschiedlich mit.

Der Herr: „Ich will Sie nicht bedrohen!“ „Das ist sehr freundlich von Ihnen,“ versichere ich. „Aber …“, fährt mein Gegenüber fort. Ich muss deutlich machen, dass ich hier nicht zahlen will: „Nehmen Sie bitte meine fehlende Bereitschaft nicht persönlich. Ich war schon am Hauptbahnhof, da haben Ihre Kollegen ganze Arbeit geleistet.“

Professionell – time is money – steuert der Herr weiter.

Wieder – Trans-Atlantic – an der Alster. Da ist Le Royal Meridien – quer über dem Bürgersteig der rote Teppich, auf den Staubsauger wartend. Rechts daneben eine mindestens 100 mal 100 Meter große Abbruchfläche. Ein Sperrzaun mit Schild: Tragepflicht auf dieser Baustelle – Schutzhelm, Sicherheitswarnweste, Sicherheitsschuhe.

„So wird in Hamburg gebaut!“, stellt eine Dame fest, die ihren Welshterrier Gassi führt. Sie sei bei einer zuständigen Behörde beschäftigt, deutet sie an.

„Was stand denn hier vorher?“, frage ich. „Ein Gebäude.“ „Nicht zu bezweifeln.“ Die Dame lässt das As aus dem Ärmel: „Eine Versicherung. Ich glaube, es war die Volksfürsorge.“ Dazu fällt mir ein: „Hamburger Armenordnung von 1788, Vorbild damals für Europa. Volks-Fürsorge. Das mögen wir!“

Die Dame: „Das“: Ja! „Die“: Nein!

Wieder Trans-Atlantic – Richtung Ballindamm. Da residieren die ganz Feinen. Bankiers seit 1790. Rechts daneben ein Fach-Institut für die Ausbildung von Bankern. Die Auslage zeigt alle Instrumente, die der Banker braucht: Einwickeln, Einseifen, Rasieren der Kunden. Nicht zu vergessen das Frisieren der Zahlen für Finanz-Prospekte.

Hinein in das Geschäft. Vom Friseurmeister erfahre ich, dass er 2013 zehn-jähriges Jubiläum am Standort hatte. „Wie kommen Sie mit den Nachbarn aus?“ „Beste Kunden.“

Bankiers haben Humor! Seit 1790.

Keinem einzigen „zugeknöpften“ Hamburger bin ich begegnet. Lag wohl am Sonnenschein.