Verfassungsfeinde …

mögen politische Positionen und Weltanschauungen verfolgen, die als „rechts- oder linksextrem“ gelten. Nicht wenige wählen „extreme“ Parteien — wie z. B. die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) oder die DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Und lesen „extreme“ Zeitungen — wie z. B. die „Nationalzeitung“ oder „Unsere Zeit“. Zeitungen, die der NPD bzw. der DKP nahestehen mögen. Einzelne Verfassungsfeinde sollen sich auch in politisch radikalen Jugendorganisationen finden. Zum Beispiel der SPD, der LINKEN, der Gewerkschaftsjugend. Ist Verfassungsfeindlichkeit zu verbieten?

Dies entscheidet in unserem Staat allein das Bundesverfassungsgericht. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine „wehrhafte“ *1) Demokratie gegen ihre „organisierten Feinde“ *2).

So können nach Artikel 18 Grundgesetz (GG) Grundrechte, wie z. B. die Pressefreiheit, durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verwirkt werden, wenn sie „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“ werden.

Dies hatte die Bundesregierung 1969 gegen einen Verleger und einen Verlag beantragt: Diese Antragsgegner hätten durch „nationalistische, antisemitische und rassistische Veröffentlichungen im In- und Ausland … durch Mißachtung des Gedankens der Völkerverständigung, durch den Versuch der Wiederbelebung des Antisemitismus sowie durch Diffamierung und Bekämpfung der Staatsform der Bundesrepublik Deutschland die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht.“ *3)

Das Bundesverfassungsgericht wies 1974 den Antrag als nicht hinreichend begründet zurück. Denn, so argumentierten die Verfassungshüter, „die in der Zeitung der Antragsgegner vertretenen und propagierten Auffassungen … (finden) keine als ernsthafte Gefahr für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Betracht kommende, politisch bedeutsame Resonanz mehr“. *3)

Der freiheitlich denkende Bürger, der diese Entscheidung nicht juristisch, sondern politisch bewertet, ist dem Bundesverfassungsgericht dankbar, dass es unsere Grundrechte mit hohen Hürden gegen Anträge auf „Verwirkung“ gesichert hat. Es kommt eben nicht nur auf den Missbrauch an, sondern auch auf die durch Tatsachen belegte Gefährlichkeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, bevor ein Grundrecht wie z.B. die Pressefreiheit durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verwirkt wird.

Eine ähnliche Denkweise des Bundesverfassungsgerichts mögen Bürger im aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 wertschätzen, das die auf ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gerichteten Anträge des Bundesrats zurückgewiesen hat.

Die NPD-Politik ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfeindlich: Sie ist gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen die Menschenwürde, weil auf die „Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Ausländern, Migranten, religiösen und sonstigen Minderheiten) gerichtet.“ *4) Diese Feststellung ist im Urteil durch zahlreiche Äußerungen und Handlungen belegt worden, die der NPD zuzurechnen sind.

Das Parteiverbot sei jedoch ein Organisationsverbot, „kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot … Lässt das Handeln einer Partei .. noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht.“ *4)

Der Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit reicht für ein Parteiverbot nicht aus, wenn es „an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht (fehlt), die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.“ (*2, Leitsätze, Punkt 9 c).

Die Freiheit, Parteien zu gründen, die bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Artikel 21 (1) GG), ist ein besonders hohes Gut unserer Demokratie. Hier nach der Devise „Wehret den Anfängen“ mit Parteiverbot hantieren zu wollen, mag sich freiheitlich denkenden Bürgern verbieten. Dies würde auch im Falle verfassungsfeindlicher Parteien wie der NPD der Bedeutung politischen Wettbewerbs und offener politischer Willensbildung in unserem demokratischen Rechtsstaat nicht gerecht.

Die Kritiker des NPD-Urteils sollten einmal an die Wählerinnen und Wähler dieser Partei denken. Welche sozialen oder ökonomischen Benachteiligungen mögen sie empfinden, welche Wut und Enttäuschung ausdrücken, indem sie so abstoßend agierende Parteien wie die NPD wählen oder unterstützen?

Es ist gerade aus wirtschaftlich abgehängten Regionen und Dörfern Ostdeutschlands bekannt, dass sich dort kaum eine Partei sehen lässt außer der NPD. Unsere Bundestagsparteien sind auch dort zu politischer Arbeit gefordert!

Für unsere Demokratie ungefährliche Verfassungsfeinde mit Verbot zu belegen, wäre eine bequeme Flucht vor der schwierigen politischen Auseinandersetzung mit der NPD.

Dafür, dass die Bedingungen für die Verwirkung von Grundrechten oder für ein Parteiverbot in unserem freiheitlichen Staat restriktiv ausgelegt werden, schulden wir dem Bundesverfassungsgericht Dank und nicht Kritik!

*1) Model/Creifelds, Staatsbürger-Taschenbuch, 33. Auflage, München 2012, Abschnitt 64, S. 178 f.

*2) Bundesverfassungsgericht. Urteil vom 17. Januar 2017. 2 BvB 1/13; Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017, Punkt 1; http://www.bundesverfassungsgericht.de. (Das Urteil gegen das vom Bundesrat beantragte NPD-Verbot erfolgte einstimmig).

*3) Beschluß des Zweiten Senats vom 2. Juli 1974 – 2 BvA 1/69 – in dem Verfahren wegen Verwirkung von Grundrechten gemäß Art. 18 GG gegen 1. den Journalisten Dr. Gerhard F …, 2. die Druckschriften und Zeitungsverlag GmbH, M …, Antragsteller: die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern; http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv038023.html.

(Der Beschluß des Zweiten Senats vom 2. Juli 1974 – 2 BvA 1/69 – erfolgte einstimmig).

*4) Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele. Pressemitteilung Nr. 4/2017 vom 17. Januar 2017. Urteil vom 17. Januar 2017. 2 BvB 1/13; Ziff. 2 d, Ziff. 3; http://www.bundesverfassungsgericht.de.