Vertragsbrüchige SPD?

Mit der Großen Koalition (GroKo) und der Koalitionsvereinbarung vom 27.11.2013 konnte die SPD mehr als zufrieden sein. Das macht ihr Verhalten — eine merkwürdige Mischung von Regierungsverantwortung und Oppositionsallüren — so unverständlich.

Zumal das Wahlergebnis für die SPD recht unerfreulich war: Fast 42 % für die Union mit einem Zuwachs von nahezu 8 Prozentpunkten. Rund 26 % für die SPD, gerade knapp 3 Prozentpunkte mehr als der Negativrekord von 2009.

Wir Sozialdemokraten wurden vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel um Zustimmung gebeten — zur Koalitionsvereinbarung und zum Eintritt der SPD in die GroKo. Sicher haben viele Sozialdemokraten nach sorgfältiger Analyse der Koalitionsvereinbarung zugestimmt und zugleich ein zielgerichtetes und effizient abgestimmtes Regierungshandeln erwartet.

Was nicht erwartet wurde und nicht wenigen Sozialdemokraten missfällt, sind zum Beispiel die folgenden Vorgänge:

• Die weitgehend als stur dialoggebunden bewertete Russlandpolitik von Außenminister Steinmeier im Lichte der Völkerrechts- und Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine und in Syrien.

• Maßlose Kritik des Außenministers („Säbelrasseln, Kriegsgeheul“) an sehr maßvollen Übungen der NATO-Partner, einschließlich deutscher Pioniersoldaten, nach militärischen Drohungen Putins gegenüber den baltischen NATO-Mitgliedern. Das war auch eine Beleidigung der teilnehmenden deutschen Soldaten durch den „Chefdiplomaten“.

• Das Einmischen von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Mitglied der „Parteispitze“ *1) der SPD und „Europabeauftragter“ der SPD, in die Regierungspolitik der GroKo. Zum Beispiel im Hinblick auf die Verhandlungen mit Griechenland und seiner stabilitätswidrigen Finanzpolitik. Oder dessen europapolitisch fast brutale Reaktion auf das Brexit-Referendum in Großbritannien: EU-Austrittserklärung sofort!

• Die ständige Kritik aus der SPD an der GroKo-Verpflichtung auf solide Staatsfinanzen nach Maßgabe des „verschärften europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes“. *2)

• Sozialdemokraten und Bürger, die in den derzeit krisenhaften Zeitläufen von der GroKo eine stabilitäts- und konsensorientierte Regierungsführung und -politik erwartet haben, sind über das SPD-Gebaren besonders enttäuscht: „In gleich zwei Gesprächsrunden berieten (am Dienstag, den 18.10.2016 im Deutschen Bundestag!) in Berlin rund hundert Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linken über die Perspektiven einer gemeinsamen Regierung nach der Bundestagswahl 2017. Überraschend schaltete sich SPD-Chef Sigmar Gabriel auch persönlich ein: Erst besuchte er den Auftakt eines Treffens zu Rot-Rot-Grün in den Räumen des Bundestags, später beriet er sich in kleiner Runde mit fünf Politikern von SPD, Linken und Grünen, die seit Jahren ein solches Bündnis vorbereiten.“ *3)

Regierung und zugleich Opposition als „Markenzeichen“ und Rollenverständnis der SPD in der GroKo? Und das ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl! Die SPD als Regierungspartei ein Stabilitätsrisiko?

Wer als Sozialdemokrat und Staatsbürger die „Koalitionsvereinbarung für die Dauer der 18. Wahlperiode“ sorgfältig gelesen hat, hatte besondere Hoffnung in die den Bürgern zugesagte stabilitäts- und konsensorientierte „Arbeitsweise der Koalition“ (Abschnitt 8.) gesetzt.

Denn so wurde versichert: „Die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD werden ihre Arbeit in Parlament und Regierung laufend und umfassend miteinander abstimmen und zu Verfahrens-, Sach- und Personalfragen Konsens herstellen.“ *4)

„Zu Personalfragen Konsens herstellen“: Bleiben wir realistisch. Auch zwischen Regierungsparteien werden sich Streit und partei-politischer Kleinkrieg nicht vermeiden lassen.

Aber was sich die SPD und ihr Vorsitzender Gabriel ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Amt des Staatsoberhauptes leisten, ist ein unwürdiges Schauspiel — vor Deutschland und der Welt!

„Zu Personalfragen Konsens herstellen“: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, sei von Sigmar Gabriel vergeblich auf die Gauck-Nachfolge angesprochen worden. Da prescht die Generalsekretärin der SPD, Frau Barley, vor: mit dem Thema des beliebten Frank-Walter Steinmeier und noch dazu mit unangemessen „plebiszitärer“ Propaganda. Alsbald kommt Gabriel mit einer neuen Idee: Pastorin Margot Käßmann. Die lehnt aus guten Gründen ab. Dann hat Gabriel einen weiteren Vorschlag: Nach (!) Frau Käßmann fällt ihm eine der ganz herausragenden Persönlichkeiten des Geisteslebens in Deutschland ein. Der Theologe und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Professor Dr. Wolfgang Huber. Und als das nicht verfängt, kommt Gabriel auf Steinmeier zurück!

Dies ist ein schon surrealer Politikstil des Vizekanzlers und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel — und das gegenüber dem höchsten Amt unseres Staates! Die öffentlichen Alleingänge Gabriels wirken, als biete er das Amt des Staatsoberhauptes an wie sauer Bier.

Und natürlich erscheint solches Verhalten vertragsbrüchig gegenüber Geist und Buchstaben der Koalitionsvereinbarung. Des Koalitionsvertrags, der Abstimmung und Konsens in der Regierungsführung betont, um in dieser Krisenzeit und einer „Welt aus den Fugen“ (Steinmeier) Stabilität für Deutschland zu schaffen.

„Ich werbe für Eure Zustimmung“, hatte Gabriel uns SPD-Mitgliedern in seinem Vorwort zum Koalitionsvertrag versichert, und: „Auf uns können sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen.“

*1) https://www.spd.de/partei/personen/.

*2) 3. Koalitionsvertrag. Solide Finanzen. Gesamtstaatliche Verantwortung.

*3) Bundestagswahl. Rot-Rot-Grün sucht seinen Weg zur Macht im Bundestag. 19.10.2016; www.derwesten.de/politik/rot-rot-gruen-sucht-seinen-weg …

*4) 8. Koalitionsvertrag. Arbeitsweise der Koalition. Kooperation der Parteien.