Von Lassalle bis Gabriel.

Ein politischer Ereignisbogen über 150 Jahre – darauf können Sozialdemokraten stolz sein. 150 Jahre politische Arbeit für Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und internationale Zusammenarbeit.

Auch auf die Leistungen der sozialdemokratischen Bundeskanzler können wir stolz sein. Willy Brandt – mehr Demokratie wagen; sozial-liberale Reformpolitik; Friedenspolitik und Ausgleich mit den Staaten der östlichen Nachbarschaft. Helmut Schmidt – Wirtschaft konsolidiert; zwei Ölkrisen bewältigt; den Terroristen das Handwerk gelegt; Fortsetzung der Neuen Ostpolitik, Helsinki-Konferenz 1975, KSZE-Prozess für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; mit Giscard d`Estaing Grundlagen für den Euro geschaffen; Nato-Doppelbeschluss durchgesetzt. Gerhard Schröder – Agendapolitik, insbesondere die Arbeitsmarktreformen, denen Deutschland den Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit wesentlich verdankt.

Und nun fällt die 150. Wiederkehr des Tages, an dem Ferdinand Lassalle mit Weggefährten die deutsche Sozialdemokratie gründete, Sigmar Gabriel zu. Und das heißt natürlich, wie in der Presse zu lesen, Sigmar Gabriel lässt „es krachen“, mit „Brimborium“ und mit „großem Pomp“. Und mit einem „Geschenk“ an die Welt, „die Gründung der ´Progressive Alliance`“. *1)

Woher kommt die Kohle für´s Brimborium? Ganz einfach. Den Beitrag zur Sozialistischen Internationale (SI) um 112 000 Euro auf 6000 Euro kürzen. Das wird jedoch auch nur dann halbwegs reichen, wenn die sozialdemokratischen Gäste aus den vielen, meist armen Partnerländern es bereits bis in die Bundesrepublik geschafft haben. Auf eigene Rechnung oder auf Einladung zu Bildungsveranstaltungen.

Diesem Tort, den Gabriel der Sozialistischen Internationale zugefügt hat, stehen Sozialdemokraten in der ganzen Welt verständnislos gegenüber. 1889 war diese internationale Organisation im sozialdemokratischen Geist geschaffen worden. Ganz besonders fassungslos mögen nicht wenige sein, die wissen, wie sehr die SI Herzenssache ihres Präsidenten Willy Brandt war. Willy Brandt hatte die Sozialistische Internationale von 1976 bis 1992 als Präsident zu großem Ansehen in der Welt geführt.*2)

Drei Wochen vor seinem Tode 1992 hatte Willy Brandt Hans-Jochen Vogel gebeten, dem SI-Kongress in Berlin seine Brief-Botschaft vorzulesen: „Dass wir eine weltweite Organisation geworden sind, ist meine besondere Genugtuung … Besinnt Euch auf Eure Kraft.“ Dieses Vermächtnis Willy Brandts für die internationale sozialdemokratische Gemeinschaft – „Ich habe nicht den Eindruck, dass das parteiintern eine große Rolle spielt.“ *3)

Wie begründet der Nachfolger Willy Brandts, Herr Gabriel, diesen „Fehler“ (Stephan Klecha), diese mir skandalöse und obendrein sachlich unbegründete Geschichtsvergessenheit? Mit drei Gründen zieht er, wie es seine Art ist, seit zwei Jahren in den Medien gegen die SI zu Felde.

Erstens: „Da gibt es aus meiner Sicht einen korrupten Generalsekretär.“ *4) Direkt angesprochen hat Gabriel damit den seit 1989 amtierenden und zuletzt Ende 2012 wiedergewählten Luis Ayala, einen chilenischen Politiker. Ayala musste 1973 vor dem Putsch Pinochets durch Flucht sein Leben retten. Dann wurde er wegen seines Ansehens bis 1975 Vorsitzender der SI-Jugendorganisation.

Zweitens: Die SI leiste zu den globalen Herausforderungen keinen „substanziellen Beitrag“. *5)

Drittens: „Die Sozialistische Internationale ist keine Stimme der Freiheit mehr“, weil sie Kontakte zu autoritären Machthabern habe. *5)

Zum Ersten.

Herr Gabriel muss bei seinem politischen Ziehvater in Niedersachsen, Herrn Glogowski, ein Gespür für Korruption entwickelt haben. Bloßes Gespür scheint bei ihm für Verleumdung zu reichen. Denn Herr Gabriel war von 2009 bis 2012 Vizepräsident der SI; er hätte also Gelegenheit gehabt, deren Finanzberichte, Belege und Verwendungsnachweise zu prüfen. Doch davon versteht er sicher rein gar nichts. Nur wenig Sachverstand und ein Charakterproblem mag also erklären, wie leicht ihm die persönliche Verleumdung Luis Ayalas fällt.

Hier findet sich die maßgebliche, fachliche Stellungnahme zum Umgang mit den SI-Finanzen durch Herrn Luis Ayala:

„An audit involves obtaining evidence about the amounts and disclosures in the financial statements sufficient to give reasonable assurance that the accounts are free from material misstatement, whether caused by fraud or error.

This includes an assessment of: whether the accounting policies are appropriate to the organisation’s circumstances and have been consistently applied and adequately disclosed; the reasonableness of significant accounting estimates made by the Secretary General; and the overall presentation of the financial statements.

ln addition, we read all the financial and non-financial information in the Annual Report to identify material inconsistencies with the audited financial statements.

lf we become aware of any apparent material misstatements or inconsistencies we consider the implications for our report.

In our opinion the financial statements give a true and fair view of the state of the organization´s affairs as at 31 December 2011 and of its income and expenditure for the year then ended; and have been properly prepared in accordance with United Kingdom Generally Accepted Accounting Practice.

(RS: Folgt Unterschrift) Simon Spevack (Senior Statutory Auditor) on behalf of Wellden Turnbull LLP Chartered Accountants and Statutory Auditors. (RS: Folgt Anschrift, Datum) 22 August 2012“.

Verleumdung und üble Nachrede als Stil des SPD-Vorsitzenden Gabriel. Mit Interesse liest man im Standard *1) die Formulierung „gerade die Deutschen“ …

Zum Zweiten.

Auch die Behauptung Gabriels, die SI leiste nichts, ist diffamierend. Interessant, dass zu den Aktivitäten des Willy-Brandt-Hauses unter Gabriels Führung dem Sozialdemokraten Michael Naumann in einem CICERO-Beitrag einfiel, „intrigieren“ als „eine sozialdemokratische Spezialität“ zu bezeichnen (23. August 2011).

Im offenen Brief des Präsidenten der SI, George Papandreou, ehemaliger Ministerpräsident Griechenlands, und des SI-Generalsekretärs, Luis Ayala, wird die Verletzung deutlich, wenn sie angesichts derartig herabsetzender Nachrede durch den SPD-Vorsitzenden auf ihre Arbeit verweisen:

„The Socialist International .. carries out its work through commissions, regional and thematic committees, and specialised working groups, all of which report to the Council. The current 10 regional and 8 thematic committees and working groups were established by decision of the membership at the most recent Council meeting held in Portugal in 2013 .. The committees and working groups are an important part of the life of the International and represent the basis upon which the Socialist International defines its work with the broad participation of its entire membership.“

Von 2000 bis September 2012 wurden die SI-Kommissionen für wirtschaftlich-sozial-ökologische Arbeitsgebiete übrigens von der SPD geleitet. Die Kleinkariertheit und, ja, Bösartigkeit der Kritik Gabriels mag zusätzlich durch zwei Zahlenangaben verdeutlicht werden: Die „Bundes-SPD“ hat Gesamteinnahmen von fast 200 Mio. Euro im Jahr. Die Sozialistische Internationale hat Einnahmen von rd. 1 (in Worten: einer) Mio. Euro im Jahr. Das entspricht etwa dem Haushalt eines Büros einer großen politischen Stiftung in einem wichtigen Land. Wie gesagt: „gerade die Deutschen“.

Zum Dritten.

Schließlich beklagt Gabriel – 2009 bis 2012 Vizepräsident der SI – mangelndes Engagement der SI für „Freiheit“. Mit dieser Klage verbindet sich ein hehrer Anspruch an die SPD. Sehen wir uns die Realität an.

Von der SI wurde stets erwartet, wichtige politische Kontakte auch zu autoritär regierten Ländern aufrecht zu halten. Im Interesse auch der SPD-Außenpolitik. Im Interesse der durch Erfahrung bestätigten Annahme, dass solche Kontakte und Dialoge Freiheitsräume für politische Multiplikatoren (z.B. Wissenschaftler, Journalisten, Gewerkschaftler) schaffen können.

Deshalb wurde z.B. kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seitens der SPD systematisch mit den ex-kommunistischen Parteien, den Trägern der Diktaturen des östlichen Europa, zusammen gearbeitet.

Sehen wir uns die Klage des SPD-Vorsitzenden über mangelndes Engagement der SI für Freiheit etwas genauer an.

Gabriel nimmt Anstoß an SI-Kontakten zu Tunesien und Ägypten vor dem arabischen Frühling. Mit Recht entlarven Papandreou und Ayala dies als besonders üble Unterstellung.

„By the beginning of the 1980s, years before we personally were connected to the SI, the RCD of Tunisia and the NDP of Egypt were already participating as guests in activities of the Socialist International. They were made full member parties of the organisation at the SI Congress held in Stockholm in 1989, hosted by the Swedish Social Democratic Party.

To now accuse the President and Secretary General of being responsible for the presence of these parties among the membership of the organisation is a distortion of the truth and a deliberate attempt to place the blame historically on others. We wholeheartedly reject this, along with references to the SI and its officials as being corrupt, which are totally unacceptable.“

Noch einmal möchte ich Gabriels Unkenntnis oder Doppelzüngigkeit in diesem Punkt hervorheben.

Während Gabriels Amtszeit als Parlamentarier, SPD-Vorsitzender und als Vizepräsident der SI kam es Ende 2010 zu einer interessanten Reise einer SPD-Delegation. Die SPD-MdBs Günter Gloser und Christian Lange statteten der RCD-Diktatur in Tunesien einen offiziellen Besuch ab. Mit Communiqué.

„Tunis, Dec. 8. 2010. Constitutional Democratic Rally (RCD) Secretary-General Mohammed Ghariani received on Wednesday in Tunis a delegation of German Social Democratic Party´s (SPD) parliamentary group, led by Messrs. Günter Gloser, chairman of the parliamentary friendship group with the Arab Maghreb countries, and Christian Lange, chairman of SPD parliamentary group….

The members of the German Delegation voiced admiration for the success achieved by the Tunisian development model, reasserting Germany´s constant keenness to support its access to the status of advanced partner of the EU.

They also expressed determination to strive to hoist the level of bilateral co-operation notably in the education field, by means of focusing on Tunisian academics` graduates, boosting dialogue, consultation and co-operation between the RCD and the SPD, and intensification of the „Friedrich Ebert“ Foundation´s activities to enhance the friendship and co-operation relations of the excellent Tunisian-German political relations.“

Eine Woche nach diesem Besuch ereignete sich die tragische Selbstverbrennung des Studenten Mohamed Bouazizi, und die demokratische Revolution in Tunesien begann. Dennoch – wer wollte nachträglich fragen, ob die Informationsreise der beiden angesehenen MdBs sinnvoll war? Hier geht es ja nur darum aufzuzeigen, wie abwegig die Attacke Gabriels gegen die SI-Führung wegen vergangener Kontakte zur tunesischen RCD ist.

Zur Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim außenpolitisch tätigen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel noch ein Beispiel.

Da ist das Kuba Fidel Castros.

„Wie viele Tote das Castro-Regime auf dem Gewissen hat, ist schwer zu beziffern. Historiker gehen von mehr als 12.000 Hinrichtungen aus. Mehrere zehntausend Kubaner ertranken bei der Flucht übers Meer. *6)

Dennoch rannten die freiheitlichen Sozialisten Deutschlands dem Diktator die Bude ein.

„Gerhard Schröder kam 1985 als niedersächsischer SPD-Spitzenkandidat. Von Fidel lernte er, die Cohiba-Zigarre vor dem Rauchen in ein Gläschen Rum zu tunken.

Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul war Castros legendärem Charme erlegen. Als sie 2000 als erstes Mitglied einer Bundesregierung auf Kuba weilte, klingelte sie zu vorgerückter Stunde die mitgereisten Journalisten aus dem Bett. Sie brannte darauf, von ihrem nächtlichen Date mit Fidel zu schwärmen.“ *6)

Auch die SI hat sich mit Kuba befasst, 1998, RESOLUTION ON CUBA: „The Socialist International Committee for Latin America and the Caribbean (SICLAC), meeting in Santo Domingo on 23-24 March 1998, welcomes the constructive dialogue between the Holy See, in the person of His Holiness Pope John Paul II, and President Fidel Castro. It had the immediate effect of achieving greater recognition of religious freedom on the part of the Cuban government … We acknowledge the release of detainees by the Cuban government, and hope this will be extended to other detainees deprived of their freedom, including Vladimiro Roca.“

SI-Professionalität und Einsatz für Freiheit gegenüber SPD-Gedöns mit einem Diktator, der Blut an den Händen hat!

Ende der Beschäftigung mit Willy Brandts Nachfolger Sigmar Gabriel. Der möge das machen, was er schon als POP-Beauftragter seiner Partei am besten konnte: „Krachen lassen“ zum 150. der SPD. Dafür jetzt Lektüre bei Willy Brandt über die Bedeutung der Sozialistischen Internationale.

*1) Streit über linke Allianz überschattet SPD-Party, Birgit Baumann, 23. Mai 2013, DER STANDARD.
*2) Vgl.: Wenn das der Willy wüsste; Montag, 06.05.2013, von Andreas Niesmann, focus.de.
*3) „Die SPD hätte in ihrem alten Netzwerk bleiben sollen“, Interview von Nicole Sagener mit dem Sozialdemokraten Dr. Stephan Klecha, Göttinger Institut für Demokratieforschung, ZEIT ONLINE, 22.05.2013.
*4) SPD: Papandreou wirft SPD Spaltung der Linken vor, Süddeutsche.de; 22.05.2013.
*5) Neuer SPD-Zusammenschluss: Progressiv statt sozialistisch von Katrin Schulze; 22.05.2013 , tagesspiegel.de/politik/sozialistische-internationale …
*6) Fidel Castro – Väterchen Kuba tritt ab, von Carsten Volkery; SPIEGEL ONLINE; 19. Februar 2008.