Wahnsinn trifft Politik …

diesmal, mag vermutet werden, hat es nicht nur die SPD in Thüringen, sondern auch die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), erwischt.

Frau Kramp-Karrenbauer regiert das wirtschaftlich schwächste Bundesland Deutschlands. Sie möchte offenbar weiterhin die Regierung führen, dh. „politisch gestalten“, dh. Geld ausgeben, statt Ausgaben zu streichen und abgewählt zu werden. Darauf lauert Oskar Lafontaine mit der dortigen LINKEN.

Deshalb will die Ministerpräsidentin, dass Altschulden des Saarlandes von anderen übernommen werden – von wem auch immer. Immer jedoch vom Steuerzahler außerhalb des Saarlandes.

Wenn das nicht klappt, so kann der Zeitungleser ihre Aussagen deuten, stünde eine „radikale“ Neugliederung des Bundesgebietes zur Debatte – Konsolidierung auf einen föderalen Bestand von fünf bis acht Bundesländern.

Dies muss jedem Bürger, der von der Geschichte des deutschen Föderalismus nur minimal gehört hat, als Wahnsinn erscheinen.

Erstens, wegen der Anmaßung, ausgerechnet von der Saar aus die Bundesrepublik Deutschland umzugestalten. Immerhin, Anmaßung kennt man auch von anderen berühmt-berüchtigten Saarländern.

Zweitens, wegen der bisherigen Erfahrungen mit föderalen Debatten.

Bis 1978 galt der Verfassungs-Auftrag des Artikel 29 GG zur Neugliederung des Bundesgebiets. Die sozialliberalen Regierungen der Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt packten diesen Auftrag ab 1969 an. Betroffen waren die norddeutschen und die südwestlichen Bundesländer. Respektabler Sachverstand wurde mobilisiert.

Das Ergebnis: Null. Die Lösung: Grundgesetz ändern. Aus dem Auftrag des GG zur Neugliederung wurde: Artikel 29 (1) „Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden …“ (Hervorhebungen, RS). Lassen wir es dabei, und verkneifen wir uns zynische Bemerkungen.

Dazu kommen die Erfahrungen mit der unter Fachleuten umstrittenen Gliederung der Neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung 1990.

Und schließlich das Scheitern, die Bundesländer Berlin und Brandenburg zu vereinigen.

Drittens, bekommt Frau Kramp-Karrenbauer von ihrem CDU-Kollegen, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, bescheinigt: „Länderfusionen lösen nicht die Probleme von hoch verschuldeten Ländern. Mit wem sollte dann zum Beispiel Nordrhein-Westfalen fusionieren?“ *2)

Gute Frage, Herr Ministerpräsident. Die Antwort lässt sich erraten. Der NRW-Finanz- und Schuldenminister, Herr Walter-Borjans, zeigt bereits Verständnis für Frau Kramp-Karrenbauers Gedankengänge: „Bitteschön … Die Probleme des Saarlandes würden nicht kleiner, wenn es Teil von Rheinland-Pfalz wäre, sie wären nur nicht so sichtbar“. *3)

Und da hätten wir die Antwort auf die Frage Stanislaw Tillichs. Herrn Walter-Borjans folgend, läge eine Fusion von NRW und Bayern nahe: Die Schuldenpolitik von NRW wäre dann „nicht so sichtbar.“

Zu einem anderen Treffpunkt des Wahnsinns mit der Politik.

Dass Wahnsinn die SPD-Führung in Thüringen getroffen hat, meinen dort nicht wenige bekannte Sozialdemokraten wortwörtlich. „Ich hoffe, dass unsere Mitglieder den Wahnsinn stoppen, den der Landesvorstand beschlossen hat … Wenn wir neben unseren Themen noch den Ministerpräsidenten-Posten den Linken überlassen, ist das der Untergang der SPD in Thüringen“, warnt der Vorsitzende der SPD im thüringischen Ilmenau, Stefan Sandmann. *4)

Die über 150 Jahre alte SPD – geknechtet und verfolgt von der DDR-Staatspartei SED – will in Thüringen Juniorpartner von deren Nachfolgeorganisation DIE LINKE werden. Die SPD müsse nun „Stärke und Haltung zeigen. Leider tut sie das bisher nicht. Das ist fatal“, urteilt Stephan Hilsberg, einer der Gründer und der erste Sprecher der Ost-SPD vor der Wiedervereinigung. *4)

Zur Frage nach „Haltung“ bei der thüringischen SPD hat sich schon Ralf Stegner, stellvertretender Vorsitzender der Bundes-SPD, gemeldet. Fürchtet Euch nicht, ermuntert er seine Thüringer Kollegen. Außerdem sei das dortige „Regierungsmodell“ – SPD als Juniorpartner der LINKEN – „zunächst keines für den Bund.“ *5) Dies mag die Bundes-SPD trösten, sollte auch sie vom Wahnsinn geschüttelt sein.

Das thüringische Ramelow-„Regierungsmodell“ – LINKE, SPD, GRÜNE – zunächst nicht auf Bundesebene, da hat Herr Stegner vielleicht etwas missverständlich formuliert. Jedenfalls meint „Rot-Rot-Grün“-Stegner, dass das neue Regierungsmodell Thüringens „Voraussetzung ist, dass die SPD stärker wird. Wir verbreitern also unser Spielfeld.“ *5) Allerdings: Nicht wenigen Sozialdemokraten fehlt gegenüber Herrn Stegners Urteilsvermögen jeglicher Glaube!

Wenn sich die thüringische SPD mit Herrn Stegner in einer „babylonischen Gefangenschaft mit der Union“ wähnt, dann ist wiederum das Symptom des politischen Wahnsinns offensichtlich.

Die babylonische Gefangenschaft bzw. die jüdische Erfahrung dieses Exils dauerte bekanntlich sechs Jahrzehnte. Derart die bisherige Koalitionspolitik der SPD in Thüringen zu beschreiben, zeigt, dass Herr Stegner mit der dortigen SPD-Führung des Wahnsinns Beute geworden ist.

Wenn ihr – Stegner und SPD-Landesvorstand in Thüringen – euch so seht, dann zeigt doch „Haltung“ (Hilsberg). Brecht aus  der – ach so bitteren *6) – babylonischen Gefangenschaft mit der CDU und der Regierungsmacht. Geht zurück in die Heimat, zieht in die Opposition!

 *1) Föderalismus in Deutschland. „Nur noch sechs oder acht Bundesländer“. Von Guido Bohsem und Susanne Höll, Süddeutsche.de, Politik, 24. Oktober 2014.

*2) DTS-Meldung vom 24.10.2014, 14:13 Uhr; Tillich lehnt Länderfusionen ab.

*3) DTS-Meldung vom 25.10.2014, 08:51 Uhr. NRW-Finanzminister für Fusion kleinerer Bundesländer.

*4) DTS-Meldung vom 21.10.2014, 12:21 Uhr. SPD-Politiker kritisieren rot-rot-grüne Pläne in Thüringen. (Hervorhebung, RS). Die SPD steht nach der Landtagswahl in Thüringen im September bei 12 %. Gegenüber 2009 ist dies Resultat ein Verlust von sechs Prozentpunkten!

*5) DTS-Meldung vom 21.10.2014, 13:35 Uhr. Stegner: SPD muss sich vor Rot-Rot-Grün in Thüringen nicht fürchten. (Hervorhebung, RS).

*6) Dieses bittere Leid Stegners und der SPD-Führung in Thüringen mögen Zitate illustrieren. Damit es der Bürger nachempfinden kann. „By the rivers of Babylon, there we sat down. Yeah, yeah, we wept, when we remembered Zion.“ (Boney M.). Oder der Chor der Gefangenen in Verdis Nabucco: „Del Giordano le rive saluta, di Sionne le torri atterrate… O mia patria sì bella e perduta! O membranza sì cara e fatal!“