„Wahn­sinn trifft Me­tho­de“

ist ein neuer Talk im Thalia-Theater, Teil einer einfallsreichen Kampagne der Hamburger Hochschulen.

„Hei­mat­ha­fen Wis­sen­schaft“ lautet die Parole, die diesen Standortvorteil der Freien und Hansestadt Hamburg und die Bürgernähe dortiger Lehre und Forschung demonstriert. Als „Heißer Herbst“ wurde der Start der Werbung für Wissenschaft am 15. Oktober angekündigt. *1)

Ein guter Grund hinzufahren, wenn die verdammte GDL nicht streiken würde. Aber so sind sie alle – unsere gesellschaftspolitischen Organisationen. Wenn Ver.di streikt – dann etwa nicht da, wo es richtig weh tut, bei Müll, KiTas, Krankenhaus?

Wenn Politiker in Stadt und Land – schuldengebremst vom Grundgesetz – nicht das können, was sie am liebsten machen, nämlich Geld der Bürger austeilen, dann streichen sie da, wo es am meisten schmerzt. Damit das ganze Land die bleibende, große Leistung des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück verfluche.

Wie gesagt, „Wahn­sinn trifft Me­tho­de“. Also, erinnern statt reisen!

Erinnern an das Thalia-Theater. Dort wirkte in den 1970ern eine geschätzte Kommilitonin mit Ingrid Andree und Boy Gobert. Als Statistin, sagte sie, als Schauspielerin, sage ich.

Und viele Erinnerungen an die Uni. An den Lehrer Prof. Dr. Jens Lübbert. Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Sozialpolitik und – wieder kocht Wut auf die GDL – Lohn- und Konflikttheorie waren seine Forschungsfelder. Studenten in jener Zeit werden dankbar die Umdrucke zu seinen Vorlesungen erinnern. Welcher Professor war damals so nah bei seinen „Kunden“? Außerdem lud er für die Studenten Kollegen aus den USA ein: Hans Brems, Charles P. Kindleberger, Sidney Weintraub bereicherten unseren Horizont.

Professor Lübbert war Meister in der Anwendung von Christian Dietrich Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ auf die Politik. „Was sagt die revolutionäre Linke dazu?“, pflegte er mich morgens zu Aktuellem zu fragen. „Die gewaltbereite Linke“, sagte ich dann, fügte aber hinzu – es gab Kaffee und Zigaretten – „aber nur gegen das System.“

So begann meine stets unabänderliche Niederlage in der Debatte. Wie ich mich auch abmühte und vorbereitete – der „Chef“ (so nannten wir ihn unter Kollegen) des Sozialökonomischen Seminars hatte dafür gesorgt, dass die Zeitungen von der politischen Rechten bis zur Linken auf dem Lesetisch des SÖS lagen – es half nichts. Professor Lübbert blieb Meister und ich der Lehrling. Vielleicht habe ich es nach Jahren in seinem maßgeblichen Urteil zum Gesellen gebracht.

Einer der schönsten Orte der damaligen WISO-Fakultät war das Institut für Außenhandel und Überseewirtschaft. An den wenig besuchten Arbeitsplätzen der kleinen Bibliothek entdeckte ich Mitte der 1960er Arbeiten über Entwicklungsländer und ihre Strukturprobleme. Von Forschern wie Irma Adelman, Julius H. Boeke, Albert O. Hirschman, Harvey Leibenstein, Arthur Lewis, Raúl Prebisch. In einem Gespräch über das Institut sagte die Bibliothekarin Frau Weise über Professor Heiko Körner: Ein ganz gestandener Mann! Dies beschrieb Professor Dr. Heiko Körner treffend. Für ihn war klare Sprache über ökonomische Fragestellungen nicht auf die mathematische Ausdrucksweise beschränkt. Dazu gehörte damals Rückgrat. All dies findet sich schon besser bei Aristoteles, so erinnere ich eine Bemerkung Professor Körners zum mathereichen und gedankenarmen Treiben in der Volkswirtschaftslehre.

Bei der Literatursammlung für die Diplom-Arbeit hatte ich den Mikrofilm des Beitrags eines amerikanischen Forschers erhalten. Ich fragte Frau Weise nach einem Lesegerät: „Ich bin nicht sicher, ob wir das haben. Aber fragen Sie mal Herrn Ehmsen, was in dem schwarzen Kasten in seinem Büro ist.“ Der freundliche Dozent Karl Ehmsen – Lenin-Spezialist hieß es – rief: „Und ich dachte, da wär ´ne Nähmaschine drin!“ Begeistert bestand er darauf, die vollständig zerlegten und vielfach verpackten Teile selbst zusammenzubauen. Methodisch und sorgfältig vorgehend, schaffte er das Werk des späten Vormittags, an dem Lenin liegenblieb.

Studenten erholten sich oft im Gemp’s Eck. Ging man spätabends die kurze Treppe hinunter, traf einen der Bierhecht wie eine Keule. „Lasso-Schulze hat mich reingelegt“, schreit einer. „Wieso denn, der fragt doch immer, auf welchem Gebiet man geprüft werden will.“ „Ja schon, und ich hab‘ Sachenrecht gesagt.“ Homerisches Gelächter der kenntnisreicheren Juristen. „Bei Lipfert durchgefallen!“ tönt es aus einer anderen Ecke, wo jemand zu spät festgestellt hatte, dass Banken und Finanzierung ein zu dickes Brett für ihn waren. „Physikalische Chemie“, fluchen zwei schwer geprüfte Zecher, „du kannst antworten, was Du willst, der elende Proff schreit immer nur ´diffus, diffus!`“. Aber über allem hallt der Ruf, „Alwin, wo bleibt das Bier!!“.

Mitte der 1970er – bei schönstem Wetter das Sommerfest der Uni. Eine Theke dicht beim Hain vor der WISO-Fakultät. Rilkes entkommener Panther droht mit erhobener Tatze. Beste Gesellschaft mit der studentischen Linksfraktion und der schönen K.. Die Theke ist vollständig von dieser Truppe gekapert. Prinz Eisenherz hat schon das Hemd ausgezogen und lässt vor K. die Muckis spielen.

Ich gehe kurz weg, um Bekannte im WISO-Gebäude zu begrüßen. Auf dem Weg zurück zur schönen K., Prinz Eisenherz und seinen compañeros políticos entdecke ich, dass diese beste Gesellschaft beobachtet wird. Von einem Ex-Kommilitonen A., der sich hinter einer breiten Säule im Flur zum Ausgang versteckt. Der bleibt dabei, belauert die linke Garde wie ein Jäger. Die Absicht verstimmt. Ich will stören. Haue ihm auf die Schulter: „Grüß Dich, A.! Lange nicht gesehen. Auf wen wartest Du denn hier?“ A. guckt mich überrascht und völlig entgeistert an. Verduftet ohne ein Wort.

Auch das war Hamburg und seine Uni – in den 1970er Jahren. Aber wie gesagt, der Wahnsinn hatte Methode.

 *1) http://www.uni-hamburg.de/newsletter/oktober-2014/sympathiekampagne-fuer-hamburger-wissenschaft-startet.html.