GDL – zu billige Kritik.

BILD beschreibt heute die TV-Sendung „Hart aber Fair“ zu den Streiks, die von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Pilotenvereinigung Cockpit organisiert wurden.

Nicht wenige der Millionen Betroffenen rasen vor Wut, wenn sie nur daran denken.

Die allermeisten werden dem GDL-Vorsitzenden, Claus Weselsky, die Abreibung gegönnt haben, die ihm von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi verpasst wurde.

Von einer Woge der Zustimmung empörter Reisender getragen, hatte die telegene Frau Fahimi leichtes Spiel mit Weselsky, der sicher benachteiligt war durch das, was in Südamerika „cara de pocos amigos“ genannt wird.

Nun ist Frau Fahimi ebenso telegen wie giftig in der Wahl ihrer Worte: „Es ist unehrenhaft, wie Sie das darstellen“ fährt sie Herrn Weselsky über den Mund, als der seine Streikziele erläutern will.

Ärgerlich wie wir alle über streikende Lokführer und Piloten sind, weil wir lange geplante Reisen verschieben mussten – hier ist Frau Fahimi zu weit gegangen.

Dass kleine Spartenverbände wie GDL und Cockpit Riesenärger und -schaden anrichten können, ist seit vielen Jahren bekannt. Jetzt wird mit Gesetzen gedroht. Alles Populismus leerer Worte von Frau Bundesministerin Nahles und von Frau Fahimi?

Warum gibt es das Gesetz nicht längst? Die einfache Antwort steht in unserem Grundgesetz, im Artikel 9 (Vereinigungs-, Koalitionsfreiheit), Absatz (3): „Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen … dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen … geführt werden.“

Und dieser Artikel 9 GG, der einer langjährigen und hochrangigen Gewerkschaftlerin wie Frau Fahimi wohlbekannt ist, zeigt das Ausmaß ihrer „Ehrenhaftigkeit“: Mangels Rechtsbewusstsein geht sie Herrn Weselsky an die Ehre! Feine Sozialdemokratin!

Dabei haben auch Großgewerkschaften, aus denen Frau Fahimi in die SPD-Spitzenposition gelangte, Anlass, über ihre Tarifpolitik seit den 1970er Jahren nachzudenken. Könnte nicht in der Tarifpolitik eine der Ursachen für das Aufkommen von Spartengewerkschaften wie GDL u.ä. zu suchen sein?

Im Jahre 2003 richteten Wolfgang Bosbach, MdB, und einige andere Abgeordnete der Union eine Anfrage an die Bundesregierung, die mit folgender Vorbemerkung begann: „Die Spreizung der Einkommen ist auch im öffentlichen Dienst unverzichtbarer Anreiz für Leistungsbereitschaft und Ausdruck für unterschiedliche Verantwortung und Leistung. Eine Nivellierung der Bezahlung im öffentlichen Dienst konterkariert letztlich die Anreizwirkungen leistungsbezogener Besoldungselemente und ist ungerecht … Einmalzahlungen, die nur bestimmten Besoldungsgruppen zugute kommen, spiegeln sich in der vergleichenden Betrachtung der Grundgehälter nicht wider. Gleiches gilt für Sockelbeträge …“ *1)

Auf S. 1 stellt die Bundesregierung zum Thema der Anfrage fest: „Die Ergebnisse der hierzu vorgenommenen Untersuchungen zeigen, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen niedrigeren und höheren Besoldungsgruppen zugunsten der niedrigeren Besoldungsgruppen verbessert hat. Diese Tendenzen haben sich insbesondere in den Jahren seit 1980 bis Mitte der 90er Jahre verstärkt und zu deutlichen Verschiebungen gegenüber den ursprünglichen gesetzlichen Vorgaben geführt.“ *1)

Diese Aussage wird durch die folgenden Zahlenaqngaben (S. 3) für die untere (X), mittlere (V a) und hohe (I) Vergütungsgruppe für Angestellte im Öffentlichen Dienst illustriert:

1975:100 (X); 158 (V a); 303 (I). 2000: 100 (X); 140 (V a); 260 (I). Dh.: Verdiente 1975 ein Angestellter der Vergütungsgruppe I mehr als dreimal soviel wie ein Angestellter der Gruppe X, so war sein Verdienst im Jahr 2000 nur noch 2.6 mal so hoch.

Dies wird von mir als Gewerkschaftsmitglied seit über 40 Jahren ausdrücklich nicht kritisiert. Im Gegenteil!

Aber Gewerkschaften – nicht nur – im öffentlichen Dienst haben ihre Mitglieder vorwiegend in den zahlenmäßig starken unteren und mittleren Vergütungsgruppen. Bei den Angestellten des öffentlichen Dienstes sind dies 61 % (2001; *1), S. 7).

Könnte die Nivellierungstendenz durch jahrzehntelange Tarifpolitik mit Sockelbeträgen etc. bei Gruppen von hoher fachspezifischer Qualifikation – Ärzte, Lok-Führer, Piloten – zu wachsender Unzufriedenheit und schließlich zur Gründung eigener Berufsvereinigungen geführt haben? Oder zum Ausbrechen aus der betrieblichen bzw. gewerkschaftlichen Tarifeinheit?

Könnte diese Tendenz, Spartenverbände für spezialisierte Berufsgruppen „zur Wahrung und Förderung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ (Art 9 (3) GG) zu bilden, sich sogar verstärken? Zum Beispiel bei Fluglotsen, Informatikern, Mathematiklehrern, Technikern, Monteuren usw.?

Das Problem, Qualifikation und Leistung gerecht zu entlohnen, ist vielschichtige Aufgabe der Sozialpartner, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den Weltmärkten zu sichern.

Billige Hetze gegen ein aktuell scheinbar so leichtes Ziel wie Herrn Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL, wird dem Problem nicht gerecht. Deshalb sollte Frau Fahimi sich mäßigen. Und sich um Sachverstand und konstruktive Vorschläge für ein Bezahlungssystem bemühen, „das nach Leistung und Verantwortung differenziert und zugleich die Kreativität fördert.“ (*1), S. 1))

*1) Deutscher Bundestag Drucksache 15/1165 15. Wahlperiode 13. 06. 2003. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 15/1033 – Unterschiedliche Entwicklung der Bezahlung im öffentlichen Dienst. (Hervorhebung RS).