Waffenexporte – deutsche Heuchelei?

Die deutsche Rüstungsindustrie ist ein idealer Watschenmann für die friedliebende Öffentlichkeit:

Man kann die Rüstungsindustrie gewaltig skandalisieren, scheinbar ohne großen wirtschaftlichen Schaden für das eigene Portemonnaie.

Unternehmen wie EADS, Rheinmetall, Krauss-Maffei, Thyssen Krupp, Diehl oder MTU Aero Engines sowie viele Unternehmen des Mittelstands rüsten die Bundeswehr, ihre Verbündeten in der NATO und viele Kunden in anderen Staaten militärisch aus – mit Kriegsschiffen, Kampfjets, Panzern, U-Booten, Gewehren, Maschinenpistolen, Munition, Elektronik etc, etc.

Aber der Beitrag der Rüstungsindustrie zur jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttinlandsprodukt) erreiche keine 2 %, einschließlich der Zulieferer würden kaum über 200 Tsd. Arbeitsplätze gesichert. „Der Rüstungsexport hatte 2011 am deutschen Gesamtexport einen Anteil von 0,12 Prozent“, schreibt die taz.*1)

Frau Sezgin analysiert: „Nullkommazwölf? Das sind ja nun wahrlich keine einschüchternd großen Zahlen. Warum also versuchen wir Rüstungsexporten, diesem Emblem des industrialisierten Bösen, nicht längst gesetzlich Einhalt zu gebieten?“ *1)

Forderungen, das „industrialisierte Böse“, den Export von Rüstungsgütern zu verbieten oder drastisch zurückzuführen, finden öffentlichen Beifall, weit über die politische Linke hinaus. „Bremst die Rüstungsexporte! Deutschland schickt ungern Soldaten in fremde Länder, dafür umso mehr Waffen. Das ist abwegig, schreibt Helmut Schmidt.“ *2)

Ganz in diesem Sinne pointiert Frau Sezgin: „Kriege zu führen, indem man einem anderen Waffen in die Hand drückt und ihn in den Kampf schickt, ist nicht friedlicher, als wenn man selber tötet. Es ist heuchlerisch.“ *1)

Wie auf dieses Stichwort „heuchlerisch“ hin, outet sich Cem Özdemir im Deutschlandfunk *3): „Die Terrormiliz IS müsse unbedingt gestoppt werden … Die Luftschläge seien nicht ausreichend, die USA müssten ihre rote Linie überschreiten und gemeinsam mit der Türkei eine Bodenoffensive starten … Da kommen offensichtlich nur die Amerikaner in Frage, vom militärischen Stand her.“

Also wieder die „Amerikaner“, wenn es darum geht, in deutsch-europäischer Nachbarschaft die Kastanien aus dem Feuer zu holen! Doch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange für Cem Özdemirs Heuchelei.

„Die Kurden werden im Kampf gegen IS alleine gelassen. Der Westen, Deutschland eingeschlossen, müsse sie hingegen mit allen Kräften unterstützen – auch mit Waffen.“ Also nicht durch Bodenkampf Kurden retten – dafür sind ja die USA zuständig – , sondern Waffen exportieren als deutscher Rettungs-Beitrag! Das erstaunt nun Özdemirs Gesprächspartnerin Frau Kaess: „Aber Sie haben sich ja bei der Abstimmung im Bundestag über Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak enthalten … Also ganz eindeutig: Sie sind dafür, dass Deutschland auch Waffen an die Kurden in Syrien liefert?“ Özdemir: Meine Position hat sich nicht geändert…“ *3)

In dieses Minenfeld öffentlicher Stimmung gegen Waffenexporte hat sich heute Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel begeben und mit Leitlinien zu deutschen Rüstungsexporten positioniert. *4)

Gabriel geht auf außen- und sicherheitspolitische, moralische, industriepolitische und öffentlich zu debattierende strategische Fragen ein.

1) Die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands – definiert durch Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes und die in den Koalitionsvertrag aufgenommenen politischen Grundsätze der Regierung Schröder/Fischer – bestimmen restriktive Vorgaben für deutsche Rüstungsexporte, soweit es um den Export in „Sonstige Länder“ bzw „Drittländer“ geht. Das sind Länder, die nicht zur EU, NATO oder zu sicherheitspolitisch zuverlässigen Partnerländern wie z.B. Schweiz oder Australien gehören. Hier werden grundsätzlich keine Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte erteilt. Es sei denn, „besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik“ veranlassen die Bundesregierung im Einzelfall, für eine Ausnahme zu entscheiden.

2) Deutschland habe die moralische Verantwortung, elementare Menschenrechte zu schützen. Waffen an die „unmittelbar bedrohten Kurden und Jesiden“ zu liefern, sei deshalb kein Tabubruch gegenüber dem grundsätzlichen Verbot von Rüstungsexporten in Krisengebiete.

3) Für die Große Koalition besteht ein Zusammenhang zwischen Rüstungs- und Industriepolitik: Der Koalitionsvertrag schreibt eine restriktive Exportpolitik für Rüstungsgüter vor. Zugleich stuft er „die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als eine Schlüsselbranche von nationalem Interesse ein, deren Kernkompetenzen und industrielle Fähigkeiten weiter entwickelt und deren Arbeitsplätze erhalten werden sollen.“ Damit bewege sich die deutsche Rüstungs- und Waffenexportpolitik zwischen zwei politischen „Leitplanken – Restriktionen beim Waffenexport einerseits und (dem) Ziel des Erhalts von Kernkompetenzen in der wehrtechnischen Industrie andererseits.“ *4)

4) Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Strategie-Debatte um zwei langfristig bestehende Probleme:

a) Die Debatte um Verteidigungspolitik und Rüstungsexporte müsse europäisiert werden. Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Europa seien militärische Fähigkeiten auch für die „responsibility to protect“ in europäischen Nachbarschaftsräumen zu planen. Dann müssten militärische Kapazitäten im europäisch beschlossenen Einsatzfall auch tatsächlich verfügbar sein. Der Deutsche Bundestag würde in diesem Fall „einen Teil seiner nationalen Souveränität verlieren .. Heute wohl noch kaum vorstellbar und doch eine Entwicklung, der man aus europäischer Perspektive kaum ausweichen kann.“ *4)

b) Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und auch die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie müssen für ihre Zukunftsplanungen derzeit schwerwiegende Unwägbarkeiten einkalkulieren: Ob „Russland künftig Partner oder Gegner sein wird (und) die fortdauernden Erschütterungen im Nahen Osten“ *4) sind neben Terrorismus und Cyberkriminalität nur ein Teil der Bedrohungen.

Sigmar Gabriel appelliert an die Öffentlichkeit: „Ich glaube, dass alle Beteiligten davon profitieren, aktiv die öffentliche Diskussion zu suchen … Unser Land ist eine reife Demokratie und ein geschätzter Partner in internationaler Verantwortung. Wir dürfen uns zutrauen, ein aufgeklärtes Verhältnis zu unseren Sicherheitsinteressen und militärischen Fähigkeiten zu entwickeln.“ *4)

Gabriels Argumente und sein Appell können in einer Gemengelage von bürgerschaftlicher Sorge und parteipolitischer Heuchelei gegenüber zivil-militärischem Engagement in der europäischen Nachbarschaft überzeugend wirken. Wenn die Medien und die Einrichtungen für politische Bildung seinem Aufruf folgen, „aktiv die öffentliche Diskussion zu suchen“.

*1) Debatte Rüstung. KOMMENTAR VON Hilal Sezgin, http://www.taz.de/Debatte-Ruestung/!145678/ 12.09.2014. „Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide“: Wie ich die 0.12 Prozent von Frau Sezgin auch drehe und wende, ich komme für 2012 mit 0.43 % fast auf die vierfache Quote: 4.71 Mrd. € x 1.30 $/€= 6.1 Mrd. $ dividiert durch 1407 Mrd. $ Gesamtexport gibt 0.434 Prozent Anteil des Rüstungsexports am Gesamtexport. Und so gravierend dürfte sich die Strukturquote kaum geändert haben. Aber wie dem auch sei: Frau Sezgin meint ja, ein Verbot schade nicht weiter.
(4.71 Mrd Euro Rüstungsexport, SPIEGEL, 11. Juni 2014, Plus von 25 Prozent; 1407 Mrd. $ Gesamtexport, http://de.statista.com/statistik/daten/studie/37013/umfrage/ranking-der-top-20-exportlaender-weltweit/).

*2) DIE ZEIT Nº 51/2013, 19. Dezember 2013.

*3) KAMPF UM KOBANE. Özdemir notfalls für Bodenoffensive. Cem Özdemir im Gespräch mit Christiane Kaess; 08.10.2014, http://www.deutschlandfunk.de/kampf-um-kobane-oezdemir.

*4) Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik. Datum: 8.10.2014. Ort: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin; http://www.bmwi.de/DE/Presse/reden,did=661856.html.