Warnungen vor der AfD.

Agrarminister Cem Özdemir und Vizekanzler Robert Habeck stehen derzeit im politischen Kreuzfeuer vor allem der Bauern. Warum treffen gerade sie jetzt fragwürdige Aussagen zur AfD?

1. Gefahr des AfD-Aufwuchses durch Protestwähler

Diese Frage erscheint deshalb wichtig, weil es darauf ankommen muss, erhebliche Teile der Wählerschaft mit überzeugenden Argumenten von der AfD fernzuhalten.

Denn die kommenden Wahlen in 2024 — Europawahl 9. Juni, Landtagswahlen Sachsen, Thüringen (1. September), Brandenburg (22. September) — bestärken die Sorge vor Wahlerfolgen der AfD. Meinungsumfragen sehen die AfD aktuell bei etwa 23 % auf Bundesebene und 30 % in Ostdeutschland.

In den drei ostdeutschen Bundesländern droht schwierigste Regierungsbildung nach den Wahlen. Der CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz befürchtete heute im Deutschen Bundestag, dass diese „Teile unseres Landes unregierbar werden“ könnten.

2. Radikalisierung der AfD durch “Brandmauer“-Ausgrenzung?

Es gibt gewiss sachliche Argumente, die der AfD und ihrer Politik vorzuwerfen wären. Dennoch wird die AfD meist mit pauschal ausgrenzenden Formeln belegt, wie Prof. Werner Patzelt analysiert hat: „Ihr seid rechts, ihr seid dumm, mit euch reden wir nicht.“ *1)

Viele Wähler stimmen jedoch der AfD zu, dass es „nicht nur bei Migration und Integration massive Probleme gibt“, die von den “etablierten Parteien“ nicht wirksam bearbeitet werden. *1) Daher könnte deren Ausgrenzungspolitik gegenüber der AfD von vielen mit der Bundesregierung unzufriedenen Wahlberechtigten als persönlich kränkend empfunden werden. Hier wäre eine wesentliche Ursache zu sehen, dass Protestwähler zunehmend zur AfD wechseln.

Prof. Dr. Patzelt rät seit langem den Parteien der “demokratischen Mitte“, sich mit konkreten Behauptungen der AfD öffentlich auseinander zu setzen. Dann könne die Wählerschaft erkennen, „wie wenig praxistauglich viele AfD-Ideen selbst dann sind, wenn sie sich auf reale – und nicht bloß eingebildete – Probleme beziehen.“ *1)

Prof. Dr. Tilman Mayer urteilte heute im Welt TV, dass sich GRÜNE und LINKE im Zeitablauf “ent-radikalisiert“ hätten, während sich die AfD zunehmend radikalisiere. Er riet, „mal mit der AfD zu sprechen, wie sie wieder auf den demokratischen Boden zurückkommen kann. Mit der Kommunikation sollte nicht bis nach den Wahlen gewartet werden, dann könnte es zu spät sein.“ *2)

Die SPD hat zwar mit dem Ziel, rechtsradikale Behauptungen zurückzuweisen, einen Katalog von neun AfD-Behauptungen zusammengefasst und diese zumindest aus der Sicht von sozial-liberalen Demokraten überzeugend widerlegt. *3)

Kann dies als ein Signal für eine öffentliche politische Auseinandersetzung mit der AfD in Sachfragen verstanden werden, wie es die Professoren Patzelt und Mayer anregen? Wohl eher nicht!

Denn SPD, Grüne und FDP belegten die AfD in der heutigen Aussprache im Bundestag zum Thema “Wehrhafte Demokratie in einem vielfältigen Land – Klare Kante gegen Demokratiefeinde und Vertreibungspläne“ mit Ausdrücken wie „Demokratiefeinde, Menschenfeinde, Rassisten, Nazis, Hass- und totalitäre Terror-Partei, Hetzer und Diskurs-Vergifter“.

SPD, Grüne und FDP werden die AfD in der politischen Debatte weiterhin ausgrenzen und die AfD damit in einer radikalisierenden Märtyrerrolle isoliert halten. Zugleich war auch in dieser Aktuellen Stunde im Bundestag die Absicht vor allem grün-linker Kräfte nicht zu übersehen, der stärksten Oppositionspartei, der CDU/CSU, zu unterstellen, gemeinsame Sache mit der AfD machen zu wollen.

Vergleicht man den Rat der angesehenen Politikbeobachter Prof. Patzelt und Prof. Mayer mit der heutigen Aussprache im Bundestag über “Wehrhafte Demokratie“, dann bleibt wenig Hoffnung, dass sich die Sicht der Wissenschaftler zum Umgang mit der AfD durchsetzt.

Die Absicht grün-linker Gruppen, die Isolierung der AfD zu vertiefen und die CDU/CSU einer AfD-Komplizenschaft zu verdächtigen, wird die Polarisierung in Deutschland auf die Spitze treiben. Zugleich wähnen sich SPD, Grüne und FDP auf dem “moral high-ground“, indem sie sich selbst den “Aufstand der Anständigen“ zuschreiben.

Ob dadurch der Zug von Protestwählern zur AfD gebremst werden kann, werden die Wahlen des Jahres 2024 zeigen.

3. Bizarre Urteile von Agrarminister Özdemir und Vizekanzler Habeck über die AfD.

Öffentlichkeitswirksame Abwehr der AfD ist kaum von Bundestagsdebatten oder Partei-Dokumenten zu erwarten. Eine wirksame Abwehr der AfD ist vor allem das, was die Wählerschaft von glaubwürdigen Spitzenpolitikern erfährt, die sich als demokratisches Bollwerk gegen die AfD verstehen.

Und deshalb müssen aktuelle Ansagen zur AfD in einer Zeit starken öffentlichen Protestes gegen die Agrar- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung herangezogen werden.

Agrarminister Özdemir und Vizekanzler Habeck, die derzeit im Fokus der öffentlichen Proteste stehen, haben sich zur AfD geäußert.

Um sich politisch zu entlasten, haben Özdemir und Habeck subtil, aber durchaus erkennbar, Rechtsextreme und AfD-Anhänger bezichtigt, die Proteste der Bauern zu unterwandern, was Organisationen der Landwirte und der Polizei jedoch zurückweisen.

Erstaunlich erscheinen weitere aktuelle Aussagen der beiden hochrangigen Grünen, die im TV übertragen wurden. *4)

  • Cem Özdemir war am 10. Januar 2024, wohl bezugnehmend auf den Rechtspopulismus Donald Trumps und der AfD, mit dem Satz zu hören: „Wir müssen alles dafür tun, dass wir in der Bundesrepublik keine US-amerikanischen Verhältnisse bekommen.“
  • Robert Habeck zog am 17. Januar 2024 nach: „Die AfD will aus Deutschland einen Staat wie Russland machen“.

Zu Özdemir: Die USA leisten in den derzeitigen militärischen Konflikten (Ukraine, Gaza, Rotes Meer) vieles, wozu Deutschlands Ampelregierung sich nicht in der Lage sieht. Obwohl diese Konflikte im Nachbarschaftsraum Deutschlands und nicht dem der USA ausgetragen werden. Statt die Regierung des US-Präsidenten Joe Biden zu unterstützen, glaubt Özdemir, vor US-amerikanischen Verhältnissen warnen zu müssen. Gerade im derzeitigen US-Wahljahr ist Özdemir ein sehr abträglicher Satz gegenüber der Biden-Regierung vorzuwerfen, der nur Donald Trumps Abneigung gegen Deutschland befeuern kann. Es mag sein, dass der bekannte Anti-Amerikanismus in Ostdeutschland Özdemir zu seiner unsäglichen Stellungnahme verleitet hat.

Für Vizekanzler Habeck will die AfD „aus Deutschland einen Staat wie Russland machen“. Vielleicht schließt Habeck dies aus der schäbigen Parteinahme der AfD für Russland in dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Aussage Habecks erscheint dennoch schon deshalb unsinnig, weil der AfD gerade von grün-linken Politikern eine radikal neoliberale Haltung in der Wirtschaftspolitik vorgeworfen wird. Dies passt überhaupt nicht zu Russlands Staatswirtschaft mit strikt durch Putins “Machtvertikale“ kontrollierten “Oligarchen“. Das sollte auch Wirtschaftsminister Habeck gemerkt haben.

4. Fazit

Die Urteile beider Politiker zur AfD können zu Recht als wenig hilfreich und fragwürdig bezeichnet werden. Angriffe derartiger Qualität auf die AfD durch  Spitzenpolitiker der Grünen könnten sich nicht nur als wirkungslos erweisen, sondern eher den Zuspruch für die AfD begünstigen.

Beide Politiker der Grünen sitzen am selben Kabinettstisch in der Bundesregierung. Und dennoch ist die Absurdität offensichtlich:

Für Özdemir droht unsere Demokratie von der AfD in US-amerikanische Verhältnisse überführt zu werden, während Habeck von der AfD russische Verhältnisse befürchtet.

Konträr-Grüne Warnungen vor der AfD — bizarrer können sie kaum sein.

Nachtrag vom 4.2.2024

Als verwerflich ist das Treffen zu werten, bei dem AfD-Vertreter sich mit Rechtsextremen der Identitären Bewegung am 25.11.2023 in Potsdam trafen, um über massive “Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund zu hetzen. Dennoch ist der Kommentar dazu von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) **) — „das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz“ — nicht nur fachlich-historisch unhaltbar. Gegenüber der Erinnerung an den Holocaust, dessen endgültige Organisation 1942 auf der Wannseekonferenz hochrangiger Naziführer beschlossen wurde, kann Faesers Vergleich als unwürdig und beleidigend empfunden werden.

**) Faeser zu AfD-Treffen. „Weckt Erinnerungen an Wannseekonferenz“. 20.01.2024; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-treffen-rechtsextreme-faeser-erinnerungen-wannseekonferenz-100.html

*1) Rechtsruck in Deutschland. Politikwissenschaftler: Umgang mit AfD „führt in politische Sackgasse“. Aktualisiert am10.08.2023; https://web.de/magazine/politik/politikwissenschaftler-umgang-afd-fuehrt-politische-sackgasse-38507174

*2) Prof. Dr. Tilman Mayers Aussagen im Welt TV habe ich fast wörtlich festhalten können. RS.

*3) Für eine solidarische Gesellschaft. Stark gegen RECHTS. Der AfD-Faktencheck: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Argumente/SPD_PV_Faktencheck_AfD.pdf. Dabei geht es um folgende Neun Behauptungen der AfD. Die AfD sei: 1. die Stimme der (schweigenden) Mehrheit, 2. die Partei der „kleinen Leute“, 3. „demokratisch und bürgerlich“; die AfD behaupte: 4. die Klimaschutzpolitik (beruhe) nur auf unbewiesenen Behauptungen, 5. die Bundesregierung sei für die Krisen im Land verantwortlich, 6. die AfD stehe für Frieden, 7. Deutschland werde von Migration überfordert, 8. die Europäische Union (schade) Deutschland, 9. Deutschland müsse raus aus EU und Euro, damit es uns besser geht. (RS: Ähnliche Bestrebungen mögen sich auch bei anderen Parteien der “demokratischen Mitte“ (Prof. Patzelt) finden lassen.)

*4) Die Äußerungen Özdemirs und Habecks im TV habe ich wörtlich festgehalten. RS