2024: Die Großrisiken Putin und Trump.

Beide gefährden die Sicherheit sogar europäischer Mitglieder der NATO!

1. Trump gegen die NATO-Partner.

Trump hat versucht, das NATO-Bündnis dadurch zu entwerten, indem er für den Fall seiner erneuten US-Präsidentschaft den Auftritt als Schutzgeld-Erpresser (“protection racket“) ankündigt. *1) Damit lädt er Russland zu Übergriffen ein, denn er will diese mit einer Prüfung beantworten, ob die betroffenen NATO-Mitglieder mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. Wenn NATO-Partner die vorgegebenen Verteidigungsausgaben nicht erreichen, könne Russland mit ihnen machen, “whatever the hell they want“. *1)

Die Welt erlebt einen potentiellen US-Präsidenten, der im Wahlkampf schwadronierend Verträge und Abkommen der USA missachtet — benannt seien nur der NATO-Vertrag und das Budapester Abkommen von 1994, das mit den USA als “Garantiemacht“ die Sicherheit der Ukraine schützen sollte, nachdem diese sämtliche Nuklear-Waffen an Russland übergeben hatte.

2. Wird Trump wieder US-Präsident?

Nun sagte der Journalist Claus Kleber voraus: „Trump wird die Wahl nicht gewinnen. Die Amerikaner werden ihn nicht zum zweiten Mal wählen. Die Mehrheit wird Trump nicht wieder wählen.“ *2) Ein erleichtertes Aufatmen der Talkrunde sei hörbar gewesen, hieß es in der Presse. Kleber hält derzeitige US-Umfragen für eher belanglos; rücke der Wahltermin nahe, würden die Amerikaner eine Wahl Trumps mehrheitlich ablehnen.

Der herausragende Amerika-Kenner Kleber weiß jedoch seit Trumps Wahlsieg über Hillary Clinton im Jahre 2016, dass Trump US-Präsident werden kann, ohne die Mehrheit der US-Wählerschaft zu gewinnen. Wählerinnen und Wähler in den USA entscheiden mit ihren Stimmen über die Wahlleute ihres Bundesstaates, die dann im “electoral college“ den Präsidenten und Vizepräsidenten wählen.

In den Umfragen liegen Trump (vorn in eher ländlichen Wahlbezirken) und Biden (vorn in eher urbanen Wahlbezirken) derzeit eng beieinander. Die Mehrheit der Wahlleute im “electoral college“ könnte in dieser Lage in wenigen Bundesstaaten mit wechselnder  Mehrheit (“swing states“) durch eine relativ geringe Zahl von Wählern entschieden werden. *1) Auch wenn Klebers Hoffnung auf den Wahlsieg Bidens geteilt wird — nicht jeden wird seine frühe Vorhersage überzeugt oder beruhigt haben. *3)

3. Verstärkte Aufrüstung in der EU ist notwendig.

Sicherheit vor der Aggression Russlands beruht auf der Bereitschaft unserer Gesellschaft und der Fähigkeit der Bundeswehr, im Rahmen des NATO-Bündnisses unsere Demokratie zu verteidigen. Entsprechendes gilt gewiss für alle Mitgliedsländer der NATO-Allianz.

Deshalb hatten die NATO-Staaten im Juli 2023 auf dem Gipfeltreffen in Vilnius das Ziel vereinbart, “mindestens“ zwei Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt)  für die Verteidigung auszugeben. Dieses Ziel erreichen derzeit 18 von 31 NATO-Ländern.

NATO-Diplomaten hätten deshalb die europäischen Mitgliedsländer der NATO aufgefordert, sie „müssten Trump zeigen, dass sie jetzt mehr investieren würden und öffentlich versprechen, dies auch weiterhin zu tun, um sein Vertrauen vor den US-Präsidentschaftswahlen im November zu gewinnen.“ *4) Diese Art der transatlantischen Kommunikation scheint jedoch fragwürdig: Vielmehr sollten die NATO-Länder der EU mit deutlich verstärkter Investition in Verteidigung den US-Präsidenten Joe Biden unterstützen, der fest zum NATO-Bündnis und zur Hilfe für die Ukraine steht. Dann könnte Trump im US-Wahlkampf durch Fakten widerlegt werden, wenn er gegen die NATO und die Partnerländer hetzt.

Die Hoffnung, die EU-Partner der NATO könnten durch verstärkte Aufrüstung und Ukrainehilfe Trumps „Vertrauen vor den US-Präsidentschaftswahlen gewinnen“ ist angesichts seines Wahlkampfstils illusorisch: In den USA wird selbst bei konservativen Medien und auch bei Republikanern seit Jahren über Trump geurteilt: „Wenn er den Mund öffnet, lügt er.“ *5)

4. Ist die deutsche Gesellschaft verteidigungsfähig?

Am 22. Februar 2024 erklärte Boris Pistorius, Bundesminister der Verteidigung, im Deutschen Bundestag: „Putins Russland ist und wird auf absehbare Zeit die größte Sicherheitsbedrohung für Europa bleiben.“ *6) Deshalb rief Boris Pistorius unser Land auf, dauerhafte Hilfe an die Ukraine zu leisten und die eigene Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit zu stärken.

Ist die deutsche Gesellschaft “verteidigungsfähig“, das heißt bereit, die notwendigen Opfer für die Hilfe an die Ukraine und die Verteidigung des NATO-Bündnisses zu erbringen? Ist der deutschen Gesellschaft die Bedrohung durch Putins Russland bewusst?

Diese Fragen erfordern ungeschminkte Analyse; Pistorius betonte: Es nützt uns nichts, wenn wir das „sugarcoaten“. *6) Die Größe der sicherheitspolitischen Überzeugungsarbeit wird durch die folgenden Feststellungen deutlich:

  • Verteidigungsminister Pistorius hatte seine Rede im Deutschen Bundestag mit dem Hinweis „auf die beiden fünften Kolonnen Moskaus links und rechts des Parlaments“ begonnen. *6) Damit meinte er die AfD, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die LINKE. Aktuelle Umfragen zur “Sonntagsfrage Bundestagswahl“ für diese Parteien schwanken zwischen 27 und 30 Prozent *7). Eine starke Minderheit der deutschen Wählerschaft lehnt also jeden rüstungspolitischen Widerstand gegen das Krieg führende Russland unter Präsident Putin ab.
  • Die Münchener Sicherheitskonferenz, die Mitte Februar 2024 stattfand, wurde im Herbst 2023 durch eine Erhebung vorbereitet, um den “Sicherheitsindex“ *8) zu berechnen. Dieser stellt die öffentliche Wahrnehmung verschiedener Bedrohungsfaktoren, ihres Ernstes, des möglichen Schadens und der Abwehrkräfte des Landes dar. Er reicht von 0 (niedrigste wahrgenommene Bedrohung) bis 100 (höchste wahrgenommene Bedrohung). Der Sicherheitsindex sank in Deutschland von Oktober/November 2022 bis Oktober/November 2023 in Bezug auf Russland um elf Punkte von 78 auf 67. Die Sorge vor einem Nuklearangriff ging um 10 Punkte auf 55 zurück. Während 2022 Russland als höchstes Bedrohungsrisiko beurteilt wurde, „sehen Deutschlands Bürger die Bedrohung durch Russland (Ende 2023, rs) nur noch auf Rang sieben.“ *8)
  • Die R+V Versicherung führt seit langem Studien zu den Ängsten der Deutschen durch. So hat „die Studie ´Die Ängste der Deutschen` im Februar 2024 u. a. folgende Resultate ergeben. *9) Die sieben größten Ängste der Deutschen sind: 1. Steigende Lebenshaltungskosten (65%), 2. Wohnen in Deutschland unbezahlbar (60 %). 3. Steuererhöhungen/Leistungskürzungen (57 %), 4. Überforderung des Staates durch Geflüchtete (56 %), 5. Schlechtere Wirtschaftslage (51 %), 6. Überforderung der Politik (51 %), 7. Kosten für Steuerzahler durch EU-Schuldenkrise (50 %). Erst auf Platz 14 (Weltweit werden autoritäre Herrscher immer mächtiger (43 %)) und Platz 15 (Krieg mit deutscher Beteiligung (43 %)) werden Sorgen der Deutschen vor außen- und sicherheitspolitischen Bedrohungen registriert. *9)

Die deutsche Gesellschaft scheint also weit entfernt von einem klaren Bewusstsein, welche Bedrohung für die europäische Sicherheit von Russland unter Präsident Putin ausgeht.

5. Kann sicherheitspolitische Kommunikation die Deutschen überzeugen?

Verteidigungsminister Pistorius hatte gefordert, dass „wir jetzt alles tun müssen, um Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit, um Kriegstüchtigkeit … zu gewährleisten, … indem wir in unsere Sicherheit und in die unserer Partner investieren: mit unserem Engagement in der NATO, in der Europäischen Union, mit unserer dauerhaften Stationierung einer Brigade in Litauen und mit unseren nationalen Verteidigungsausgaben. Und es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir diese auch langfristig erhöhen müssen.“ *6)

Pistorius formulierte die Aufgabe, die deutsche  Gesellschaft von sicherheitspolitischen Notwendigkeiten zu überzeugen: Die verantwortlichen Politiker müssten „wieder darüber sprechen, was es für jede und jeden Einzelnen bedeutet, mehr für unsere eigene Sicherheit zu tun … Nur wenn unsere Gesellschaft versteht, was es bedeutet, unsere eigene Sicherheit zu stärken als Garant dafür, in Freiheit zu leben, wie wir es wollen, nur dann kann sie auch aktiv dazu beitragen.“ *6)

6. Offene sicherheitspolitische Fragen

Der Vergleich zwischen den Erhebungen, wie die Deutschen die Bedrohung durch das Russland Putins wahrnehmen, und den sicherheitspolitischen Forderungen des Verteidigungsministers Pistorius zeigt, wie lang und schwer der Weg ist, die deutsche Gesellschaft von höheren Ausgaben für die Verteidigungsfähigkeit zu überzeugen. Verteidigungsminister Pistorius wird mit der Aussage zitiert, „wir hätten noch fünf bis acht Jahre, uns auf einen möglichen Angriff Putins auf einen NATO-Staat vorzubereiten.“ *10)

Damit stellen sich schwerwiegende sicherheitspolitische Fragen:

  • Wird Putin mit Angriffen gegen NATO-Staaten abwarten, „bis wir verteidigungsbereit sind“? *10)
  • Hat die derzeit wenig angesehene Führung der Bundesregierung noch die Glaubwürdigkeit, die Deutschen von erheblichen Opfern für ihre Sicherheit zu überzeugen? Auch wenn Bundeskanzler Scholz sagt: “Ohne Sicherheit ist alles andere nichts“? 11)
  • Wirkt Trumps Hetze gegen die NATO-Partner wie eine Einladung an Putin, das NATO-Verteidigungsbündnis auf Abwehrfähigkeit zu „testen“? „Der testet uns dann nicht in Deutschland, aber vielleicht im Baltikum“, hat der frühere Außenminister Sigmar Gabriel gewarnt. *12)

Die beklemmende sicherheitspolitische Frage lautet also: Wartet das hochgerüstete Putin-Russland mit dem „Test“ des NATO-Bündnisses, bis die EU und Deutschland verteidigungsfähig sind?

*1) „Trump said he would encourage Russia to do ´whatever the hell they want` to any NATO member country that didn’t meet the alliance’s guidelines for defense spending.“ Siehe: The 2024 campaign gets grimmer, with Trump’s extremism on full display alongside concerns over Biden’s age. Analysis by Stephen Collinson, CNN. Updated 7:06 AM EST, Mon February 12,2024; https://edition.cnn.com/2024/02/12/politics/trump-biden-election-2024/index.html

*2) Wehrlos ohne die USA – ließe Trump uns mit Putin allein? „maybrit illner“ – Der Polit-Talk im ZDF vom 1. Februar 2024; https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/wehrlos-ohne-die-usa-liesse-trump-uns-mit-putin-allein-maybrit-illner-vom-1-februar-2024-100.html

*3) “Former President Donald Trump has at least a 50-50 prospect of winning the 2024 election.“ Siehe: Top Ten Global Risks for 2024. By Mathew Burrows, Robert A. Manning. In Grand Strategy. January 5, 2024; https://www.stimson.org/2024/top-ten-global-risks-for-2024/

*4) Verteidigungsausgaben: 18 NATO-Mitglieder erreichen 2-Prozent-Ziel. Von: Aurélie Pugnet | EURACTIV | übersetzt von Ingred Bauer. 14. Feb. 2024; https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/verteidigungsausgaben-18-nato-mitglieder-erreichen-2-prozent-ziel/

*5) GOP Panelist: When Trump opens his mouth he can’t help but lie. CNN; https://edition.cnn.com/videos/tv/2019/04/03/lead-panel-3-trump-taxes-live-jake-tapper.cnn

*6) Rede Boris Pistorius, Bundesminister der Verteidigung. Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Februar 2024, Seite 19621 ff; https://dserver.bundestag.de/btp/20/20154.pdf

*7) Sonntagsfrage Bundestagswahl; https://www.wahlrecht.de/umfragen/ (Die Erhebungen der verschiedenen Institute fanden zwischen dem 29.01.2024 (Infratest dimap: 27%)) und dem 23.02.2024 (INSA: 30 %) statt.)

*8) Munich Security Index 2024. MUNICH SECURITY REPORT 2024. Seite 2 – 7; https://securityconference.org/assets/01_Bilder_Inhalte/03_Medien/02_Publikationen/2024/MSR_2024/MunichSecurityIndex2024.pdf

*9) ÄNGSTE DER DEUTSCHEN. R+V-Studie: Große Angst vor politischem Extremismus. 19. FEB. 2024; https://www.ruv.de/newsroom/themenspezial-die-aengste-der-deutschen/pressemitteilungen/2024-02-19-aengste-der-deutschen-angst-vor-politischem-extremismus

*10) Interview. Historiker Sönke Neitzel. „Die Bundeswehr ist nicht kriegstüchtig“. Das Interview führte ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Ines Trams. 21.01.2024; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/bundeswehr-verteidigung-pistorius-interview-neitzel-100.html

*11) Scholz’ Rede. »Russland hat kein einziges seiner Kriegsziele erreicht« Bundeskanzler Scholz hat die EU-Partner zu mehr Finanzhilfe für die Ukraine aufgerufen. Dass Russland noch nicht gesiegt habe, sei ein Ansporn. Kritiker seines Kurses sollten sich klarmachen: »Ohne Sicherheit ist alles nichts.« 17.02.2024; https://www.spiegel.de/politik/muenchner-sicherheitskonferenz-olaf-scholz-ruft-zu-mehr-finanzhilfe-fuer-die-ukraine-auf-a-4a12e3ed-df71-42e8-92e4-b757985c47e5

*12) Deutschland und Trumps NATO-Drohung. „Unberechenbar, skrupellos und unzuverlässig“. Stand: 12.02.2024, 15:00 Uhr; https://www.tagesschau.de/inland/deutschland-trump-aeusserung-nato-100.html