Warum wird Merz niedergemacht?

CDU/CSU-Führungsspitzen ertragen anscheinend keinen CDU-Vorsitzenden, der als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag die derzeit in Umfragen wenig angesehene Ampelkoalition herausfordert und sich als kommender Kanzlerkandidat profiliert.

1. Friedrich Merz, die AfD und die “kommunale Ebene“.

Für die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach setzen sich mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Friedrich Merz, die „jahrelangen personalpolitischen Querelen um Kramp-Karrenbauer (CDU), Laschet (CDU) und Söder (CSU)“ fort. *1)

Die gerade auch in CDU und CSU verbreitete Kritik an Merz entzündet sich an seinen Aussagen zu möglicher Zusammenarbeit mit der AfD in Städten, Gemeinden, Landkreisen: *2)

  • Auf kommunaler Ebene sei die Parteipolitisierung zu weit fortgeschritten.
  • In den Kommunalparlamenten müsse nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.
  • In gesetzgebenden Körperschaften — EU-Parlament, Deutscher Bundestag, Landtage — gibt es dagegen keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD.

Diese Debatte um Friedrich Merz interessiert deshalb, weil sie von Konkurrenz der Führungsriege in CDU und CSU getrieben ist. Im Streit ohne überzeugende Führung kann der Opposition CDU/CSU der Wechsel in die Regierungsmacht kaum gelingen.

2 . Wählerschaft und Extremisten — Parlamentswahl in Spanien.

Was Wählerinnen und Wähler für einen politischen Wechsel der Regierung überzeugt oder eben nicht, lässt sich an der vorgezogenen Parlamentswahl in Spanien erkennen. Am 23. Juli 2023 konnte Spaniens Wählerschaft entscheiden:

  • ob die sozialdemokratische Regierungspartei PSOE mit ihrem Ministerpräsidenten Pedro Sánchez weiterhin die Macht ausüben kann oder
  • ob die konservative Mitte-Rechts-Partei Partido Popular (PP), geführt von Alberto Núñez Feijóo, die Regierung Spaniens übernehmen wird.

Nach einer derart dramatischen Wahlnacht, die bei engagierten Zuschauern einen Herzinfarkt hätte auslösen können, *3) gibt es — keine Entscheidung.

Für die absolute Mehrheit im spanischen Parlament, die eine Führung der Regierung gewährleistet, müssten 176 Sitze errungen werden. *4)

  • Der Wahlsieger Alberto Núñez Feijóo, Partido Popular (PP), erreichte 136 Sitze für die Deputierten der PP, immerhin 47 mehr als 2019. Selbst in einer Koalition der PP mit der rechtsextremen VOX (33 Sitze) kämen jedoch nur 169 Sitze zusammen.
  • Regierungschef Pedro Sánchez, PSOE, konnte 122 Sitze erringen, zwei mehr als 2019. Aber auch eine Koalition der PSOE mit dem progressiven Mitte-Links-Wahlbündnis Sumar (31 Sitze) ergäbe keine Regierungsmehrheit.

Eine Regierungsmehrheit könnten die führenden Parteien, die konservative PP und die sozialdemokratische PSOE, nur bilden, wenn es ihnen gelänge, kleine Parteien bzw. regionale Kleinparteien für eine verlässliche Parlamentsmehrheit zu gewinnen. Diese sind allerdings überwiegend nicht einem PP- oder PSOE-Lager verbunden und müssten jeweils von einer Regierungskoalition „überzeugt“ werden.

Somit sind in Spanien Wochen politisch ungewisser Verhandlungen zwischen den Parteien oder eine erneute Wahl im Laufe von 2023 mit ebenfalls ungewissem Ergebnis zu erwarten.

Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Udo Di Fabio, hat vor einer vergleichbaren Situation in Deutschland gewarnt: Es könne „eine elementare Verfassungskrise entstehen …, wenn keine Regierung mehr zustande kommt, ohne dass verfassungsfeindliche Parteien dabei das Sagen bekommen“. *5)

Spanien steht mit der rechtsextremen VOX und der separatistischen katalanischen Partei Junts vor eben dieser Situation.

Pedro Sánchez, PSOE, könnte ohne Junts und weitere kleine Regionalparteien keine Mehrheit im Parlament sichern. Wie könnten die Sozialdemokraten der PSOE jedoch mit der extremen, separatistischen Junts kooperieren? (Man erinnere die Auftritte ihres Anführers, des katalanischen „Ex-Premiers“ Carles Puigdemont). Míriam Nogueras, Kandidatin für Junts in Barcelona, habe bereits die Bedingung für eine Zusammenarbeit mit PSOE klargestellt: ihre Priorität sei Katalonien, nicht die “Regierbarkeit des Staates“. *4)

Pedro Sánchez soll schon ein parlamentarisches Kooperationsangebot von Junts im Austausch für ein Unabhängigkeits-Referendum für Katalonien abgewiesen haben. Damit bliebe nur die Möglichkeit einer erneuten Parlamentswahl. *6)

3. Lehre aus der Wahl in Spanien für Deutschland.

Die Situation in Spanien nach der Wahl zeigt auf, warum die Aussagen von Friedrich Merz über eine mögliche Zusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD auf kommunaler Ebene, die „gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“, politisch gefährlich werden kann.

In Spanien fand die Wahl zu einer Zeit statt, als die konservative Partido Popular (PP) mit der rechtsextremen VOX über Dutzende von kommunalen Regierungen verhandelt habe. *6)

Dies sei eine ideale Gelegenheit für die politisch linken Kräfte gewesen, die Wählerschaft vor einer Wiederholung solcher Verhandlungen auf nationaler Ebene zu warnen. Das habe moderate Wähler der Konservativen verschreckt und das linksgerichtete Wählerspektrum mobilisiert. *6)

In Spanien ist das Ergebnis zu besichtigen, vor dem Udo Di Fabio Deutschland gewarnt hat: „Fragmentierung des Parlamentes. Keine Regierung komme mehr zustande, ohne dass verfassungsfeindliche Parteien dabei das Sagen bekommen.“ *5)

Lässt man alle Spekulationen über die Interessen der rivalisierenden Führungsebene in CDU und CSU außer acht — das tatsächliche Verhalten der spanischen Wählerinnen und Wähler hat gezeigt:

Das Vertrauen der Wählerschaft in die Führung der Parteien gründet sich auch auf den Erfahrungsraum der lokalen, kommunalen Ebene. Wer sich hier mit Extremisten einlässt, ist bei moderaten Bürgern diskreditiert — das kann politische Glaubwürdigkeit bis zur nationalen Führungsebene einer Partei gefährden.

Wegen dieses Risikos, das Merz mit seinen Aussagen zur AfD und der “kommunalen Ebene“ eingegangen ist, wird ihm zu Recht die Eignung abgesprochen, als Kanzlerkandidat die CDU/CSU in die kommende Bundestagswahl zu führen.

Deshalb wird Friedrich Merz von vielen “Parteifreunden“ niedergemacht werden.

*1) Politikwissenschaftlerin kritisiert Merz. Nach den umstrittenen Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz zu möglichen Kooperationen zwischen CDU und AfD auf kommunaler Ebene sieht die Berliner Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach einen Bruch mit der bisherigen Linie der Partei. Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 25.07.2023

*2) ZDF-Sommerinterview mit Friedrich Merz. Der CDU-Vorsitzende spricht sich im ZDF-Sommerinterview für strikte Regelungen bei der Migration aus. Er gibt sich zuversichtlich, dass die AfD in der Folge „auch wieder kleiner“ werde. Sehen Sie hier das komplette Interview; https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/berlin-direkt—sommerinterview-vom-23-juli-2023-100.html

*3) Siehe: El Periódico. Barcelona. „una noche electoral de infarto“; 24 de julio del 2023. 15:12; https://www.elperiodico.com/es/politica/20230724/resultados-elecciones-generales-2023-espana-90253694

*4) Resultados de las elecciones generales de España. Por Martín González Gómez y Lauren Leatherby. 23 julio de 2023; https://www.nytimes.com/es/interactive/2023/07/23/espanol/mundo/elecciones-espana-resultados.html

*5) AfD-Höhenflug: Verfassungsrechtler warnt vor Weimarer Verhältnissen. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, spricht der AfD ab, eine bürgerlich-konservative Partei zu sein und warnt vor einer Fragmentierung der Parlamente; Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 22.07.2023. (RS: Die AfD und DIE LINKE sind in Bezug auf „Verfassungsfeindlichkeit“ nicht gleichzusetzen; gleichwohl werden Gruppierungen beider Parteien vom Verfassungsschutz beobachtet.  Für viele Mitte-Wähler erscheint keine dieser beiden Parteien wählbar.)

*6) Spain election: No big winner as far-right Vox party fades. Spain faces the prospect of another election. By Guy Hedgecoe, BBC News, Madrid. 24.07.2023; https://www.bbc.com/news/world-europe-66287757