Wladimir Putin – Good Will verspielend!

Freunde Russlands werden nicht außer Acht lassen, welche Probleme die Menschen dieses Landes in den 1990er Jahren bewältigen mussten, welche Verdienste um Stabilität und Entwicklung sich Wladimir Putin erworben hat.

Doch nun muss ich einräumen, im Urteil über Putins Bilanz schwer geirrt zu haben.

Der sozialdemokratische Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarew fällte vor kurzem ein vernichtendes Urteil über Putin und Medwedew: „dass sie die Hoffnung in der russischen Gesellschaft auf Veränderungen zerstört haben.“*)

Die Folgen solcher Einschätzung resümiert Simon Shuster: „Nach der Ämterrochade zwischen Wladimir Putin und Dmitri Medwedew und den Wahlfälschungen im Dezember 2011 haben Russlands junge Hightech-Unternehmer, IT-Ingenieure, Wissenschaftler und Netzaktivisten ihren Nichtangriffspakt mit Putin aufgekündigt. Sie sind das Sprachrohr einer neuen Mittelschicht, die ein anderes Russland will.“**)

Wenn der politische Grundkonsens Russlands in Protesten zerbröckelt, wird es Zeit, über dessen Wert nachzudenken. In welchem Ausmass ist Russlands politische Kultur, sein ideeller Wert, sein Ansehen, sein Good Will durch Wladimir Putin abgewertet worden?

Der Höhepunkt des Good Will, der Wladimir Putin und seinem Regierungssystem zumindest in Deutschland zuerkannt wurde, lässt sich zeitlich bestimmen. In einer weitgehend auf Deutsch vorgetragenen Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001 hatte Präsident Putin die kulturelle Verbundenheit zwischen Russland und Deutschland betont.

Die Partnerschaft beider Länder und Völker stehe nicht nur für Interessen wie Sicherheit und Wirtschaft, sondern auch für gemeinsame Werte, „den Geist der Freiheit und des Humanismus, für den Lessing und Wilhelm von Humboldt den Grundstein gelegt haben … Kultur hat nie Grenzen gekannt. Kultur war immer unser gemeinsames Gut und hat die Völker verbunden.“ Großer Beifall damals im Deutschen Bundestag!

Gut zehn Jahre später muss gefragt werden:

Welchen Ruf und welches Ansehen haben Wladimir Putin und die russische Staats- und Regierungsführung heute? Welches Ansehen hat die Staatsduma, das russische Parlament?

Wie sind Fachkompetenz und Transparenz der russländischen Staatsbediensteten zu beurteilen? Sind qualitative Verbesserungen im Regierungs- und Verwaltungshandeln festzustellen?

Auf solche Fragen Antwort zu finden, hilft ein aktueller (11.07.2012) und mutiger Artikel von Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.***)

Seit Mai 2012 habe sich die Repression der Staatsführung Putin/Medwedew gegen zivilgesellschaftlichen Protest über die korrupten Zustände im Lande verschärft.

Verhaftungen von jungen Demonstranten, denen mehrjährige Gefängnisstrafen drohen; das Grundrecht auf Demonstration werde praktisch abgeschafft, wenn es mit dem hohen Risiko schwerster Strafen belegt ist; routinemäßige Internetkontrollen und immer wieder Hausdurchsuchungen bei bekannten Bürgern, die sich an Demonstrationen beteiligen.

Wir alle sehen zur Zeit im TV Bilder von der Verhaftung der Frauenband „Pussy Riot“ und deren unwürdige Behandlung vor Gericht. Langjährige Haftstrafen werden durch eine maßlos auftretende Staatsanwaltschaft beantragt. Das Verbrechen der Punk-Sängerinnen: anscheinend Parodie eines Gebets, damit Putin die politische Bühne verlässt. Ein Verbrechen gegen Staat und Religion – in Europa!

Hinzu kommt Rechtsunsicherheit für Organisationen der Zivilgesellschaft durch ein neues Kontrollgesetz für NGOs. Dieses „NGO-Gesetz“ beschloss – so der Eindruck internationaler Beobachter – eine vor der Exekutive servil agierende Duma. Es ziele vor allem auf drei Gruppen zivilgesellschaftlicher Aktivität.

Auf die Wahlbeobachtung durch die NGO „Golos“; auf ökologische Gruppen, die sich der Zerstörung von Natur durch mächtige Bündnisse aus Bürokratie und wirtschaftlichen Interessen entgegenstellen; auf die Korruptionsforschung durch Transparency International Russland.

Es ließe sich somit sagen: Das neue NGO-Kontrollgesetz ist ein Schutzgesetz für Wahlfälscher, korrupte Naturzerstörer und Bürokraten, die unter dem Schutz der „Machtvertikalen“ Putins ihr Unwesen treiben.

Wendet man auf Putins Präsidentschaft schließlich den Satz an: „Sage mir, mit wem Du umgehst, und ich sage Dir, wer Du bist“, dann geht auch noch Syriens mörderischer Diktator Assad in die Bewertung des Good Will der Regierung Putin/Medwedew ein.

Kann die Russländische Föderation unter Wladimir Putin zum Good Will des Jahres 2001 zurückfinden? Ich möchte es hoffen. Der russische Staat wird sicher autoritär, aber nicht totalitär geführt. Glauben jedoch werden es die meisten Beobachter Russlands kaum.

*) Interview in: Internationale Politik (IP), März/April 2012, S.76

**) Simon Shuster, „Gefällt mir“ – nicht mehr, IP, a.a.O., S.68.

***) Jens Siegert, Neues NGO-Gesetz in Russland … ;  russland.boellblog.org/2012/07/11/